1962 in den Schweizer Alpen: Zwei Dutzend herausragende Physiker treffen sich zu einem quantenphysikalischen Kongress. Bald häufen sich die merkwürdigen Ereignisse, Vergangenheit und Zukunft mischen sich. Regisseur Timm Kröger liefert einen der schönsten, ungewöhnlichsten deutschen Filme seit Jahren.
Gespenster der deutschen Geschichte sind allgegenwärtig
Dieser Film Noir hat eigentlich drei Anfänge und mindestens ebenso viele Enden. Dazwischen liegt eine Geschichte, die sich gradlinig vollzieht, obwohl sie an der Oberfläche zunächst chaotischer und verworrener erscheint.
Doch wer sich dem von Regie und Drehbuch ausgelegten Erzählfaden vertrauensvoll überlässt, wird mit sicherer Hand ins frühe Nachkriegsdeutschland des Jahres 1962 geführt, in ein Land, in dem die Gespenster der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts noch überaus präsent sind.
Ein bisschen Zauberberg, ein bisschen Nachkriegsthriller
Die eigentliche Handlung kreist um den Physikstudenten Johannes Leiner, der voller Hoffnung aufbricht in die weite Welt, um dort das Fürchten zu lernen und erwachsen zu werden. Das erinnert nicht zufällig an „Die zweite Heimat" von Edgar Reitz und deren Hauptfigur Hermännchen, der ebenfalls 1962 ähnlich optimistisch in die Welt hinausgeht.
Gemeinsam mit seinem Doktorvater Professor Strathen reist Johannes auf einen Physiker-Kongress in den Alpen. Ein bisschen Zauberberg, ein bisschen Nachkriegsthriller. Über allem schweben unausgesprochene Erfahrungen von Weltkrieg und Bombenangriffen, Vertreibung und Völkermord, neuer Demokratie und uraltem Antisemitismus.
Quantenphysik im realen Leben
Johannes lernt die Pianistin Karin kennen, die über ihn Dinge zu wissen scheint, die nur er selbst kennen kann, oder die gar in der Zukunft liegen. Bald steigert sich Johannes' Verwirrung zusehens.
Er glaubt, einer Verschwörung auf der Spur zu sein. Wird er selbst verrückt oder die Welt? Oder wird hier und jetzt einfach die „Vielweltentheorie" der Quantenphysik wahr?
Auf dieser Ebene erscheint „Die Theorie von Allem“ nicht weniger, als die deutsche Antwort auf Christopher Nolans „Oppenheimer" zu sein. Beide Filme handeln von der Verbindung von Wissenschaftsgeschichte, Atomphysik, und der Situation des Kalten Kriegs.
Einer der ungewöhnlichsten deutschen Filme seit Jahren
Im Gegensatz zu Nolans Film erzählt Kröger aber nicht gradlinig, sondern verschachtelt, ambivalent, auf mehreren Ebenen. Damit zeigt er die einmalige Macht des Kinos: Die Leinwand gibt auch kompliziertesten physikalischen Formeln unmittelbar sinnliche Gestalt, sie hält Widersprüche aus, und fragt nicht nach Wahrheit, sondern nach Überzeugungskraft.
Timm Kröger versucht in unterhaltsamer Form, die Wirklichkeit zu begreifen, und holt geschichtsphilosophisch weit aus. Es ist die Logik des Traums, die hier dominiert. „Die Theorie von Allem" ist ein Werk von bestechender Schönheit und einer der ungewöhnlichsten deutschen Filme seit Jahren.
Trailer „Die Theorie von Allem“, ab 26.10. im Kino:
Quantenphysik Nobelpreis 2022: Anton Zeilinger – Die zweite Quantenrevolution. Der Zufall, die Wirklichkeit und die Zukunft
Physik-Nobelpreis 2022 für den Quantenphysiker Anton Zeilinger – darauf haben viele lange gewartet. Der Österreicher galt seit Jahrzehnten als Anwärter wegen seiner bahnbrechenden Experimente zur Quantenphysik.
Zum Hintergrund: Vor mehr als 100 Jahren haben Physiker angefangen zu entdecken, dass die Welt "gequantelt" ist – und seitdem haben sie allerlei Phänomene gefunden, die dem gesunden Menschenverstand widersprechen: dass Teilchen auch Welleneigenschaften haben können, dass ihr Zustand immer "unscharf" ist und vom Beobachter abhängt oder dass Teilchen in entlegensten Gebieten der Welt auf spukhafte Art aneinander gekoppelt sein können.
Lange hatten diese Fragen nur eine naturphilosophische Bedeutung. Doch diese Phänomene werden vermutlich die Grundlagen künftiger Techniken sein wie Quantencomputer – die ersten gibt es ja schon –, Quantenkommunikation und Teleportation ("Beamen"). Auch die Frage, wie wirklich die Wirklichkeit ist, stellt sich unter den Erkenntnissen der Physiker noch einmal neu.
Anton Zeilinger lehrt an der Universität Wien.
Über die Forschungen, für die die Schwedische Akademie der Wissenschaften ihm und seinen Kollegen Alain Aspect und John Clauser 2022 den Nobelpreis zuerkannt haben, hat er schon 2013 in SWR2 Wissen berichtet unter dem Titel: Die zweite Quantenrevolution. Wie Physiker über die Wirklichkeit, den Zufall und die Zukunft denken.
Buchkritik Hanns Zischler - Der zerrissene Brief
In sieben Bildern fächert Peter Krištúfek das Leben des Arztes Alfonz Trnovský auf. In "Das Haus des tauben Mannes" entsteht das Panorama der slowakischen Gesellschaft in den Zeitläuften des 20. Jahrhunderts.
Galiani Verlag Berlin
ISBN 978-3-99200-252-8
544 Seiten
25 Euro