Flower-Power in der Musik

Die Nelke: Viva la revolution!

Stand
Autor/in
Sylvia Roth
Onlinefassung
Sebastian Kiefl

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Stürmerischer statt spießiger Charakter

Wohl kaum eine Blume hat ein derart schlechtes Image wie sie. Als Ausgeburt des Spießbürgerlichen wird sie verspottet und in eine Linie mit dem biederen Gartenzwerg gestellt. Das hat die arme Nelke wirklich nicht verdient. Denn klingt so Spießigkeit?

Der Schweizer Komponist Joachim Raff hat der Nelke einen äußerst stürmischen Charakter gegeben. Zu Recht, schließlich hat diese Blume ganze Revolutionen begleitet. Höchste Zeit also für eine Ehrenrettung.

Mehrere Nelken
Die Klatovy-Nelke feiert 2023 ihren 200. Geburtstag. Nach den napoleonischen Kriegen wurde die Blume im tschechischen Klatovy gezüchtet, seit dem 19. Jahrhundert gilt der Ort als „Stadt der Nelken“.

„Gottesblume“

Nelken werden seit der Antike gezüchtet, es gibt sie in allen Größen und Farbnuancen, mit gezackten oder glatten Blütenrändern. Der botanische Gattungsname ‚Dianthus‘ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Gottesblume“.

Eine Gottesblume mit Talent zum Flirt! In einem Lied von Theodor Storm und Max Reger schickt ein Mann seiner Liebsten morgens ein frisch gepflücktes Nelkensträußchen und landet damit einen Volltreffer ins Herz. Denn abends beim Tanz „trug sie die Nelken am Busenlatz und schaute mich an und lachte.“

Die Endlichkeit der Blume

Auch Arnold Schönberg verbindet die Nelke mit der Liebe – allerdings mit einer unglücklichen: In seinem „Mädchenlied“ lässt er eine junge Frau über die Abwesenheit ihres Geliebten klagen – und nutzt es schamlos aus, dass sich auf „Nelken“ ausgerechnet „verwelken“ reimt.

Revolutionssymbol

Schönberg hat Nelken sicherlich auch bei den großen Wiener Arbeiterdemonstrationen gesehen, denn beim Sternmarsch am 1. Mai tragen die Wiener bis heute eine rote Nelke im Knopfloch. Schließlich ist sie das Symbol der Arbeiterbewegung.

 

Bruno Kreisiky mit Nelke in der Hand
In Wien ist es üblich beim Sternmarsch am 1. Mai eine Nelke bei sich zu tragen. Auch Bundeskanzler Bruno Kreisky hielt sich am 01. Mai 1979 an diese Tradition auf dem Wiener Rathausplatz.

Eine regelrechte Hauptrolle aber übernahm die Nelke 1974 in Portugal: In Panzerläufe gesteckt, verhalf sie zur friedlichen Befreiung von der Diktatur. Bis heute feiern die Portugiesen den Jahrestag der Nelkenrevolution mit ‚cravos vermelhos‘, roten Nelken.

Graffiti-Wandbild von Nelken, abgefeuert aus einem Mörser
Graffiti-Wandbild des portugiesischen Künstlers Adres. Die Nelken, abgefeuert aus einem Mörser, spielen auf die Nelken-Revolution 1974 an.

Auch die portugiesischen Komponisten würdigen die Nelke – so etwa Eurico Carrapatoso in seinem „Valsa dos Cravos“.

Blume mit Kampfcharakter

Eine Revolutionsblume braucht einen starken Charakter, da ist die Nelke passend, denn nichts wirft so schnell um. Ihre Stängel sind äußerst stabil und sie kann sich an die ungewöhnlichsten Lebensbedingungen anpassen.

Weltweit sind mehr als 300 Nelken-Arten bekannt – ihre Standorte reichen von nassen Uferzonen bis zu trockenen Sandböden in der prallen Sonne. Selbst in Deutschland wächst sie wild.

Die vermeintlich altmodische Spießerin ist in Wahrheit also eine charakterstarke Kämpfernatur. Das Fazit ist also erfreulich: In der Musik braucht die Nelke keine Ehrenrettung – dort wird sie längst respektiert. Na dann: Vive la revolution – es lebe die Nelke!

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Sylvia Roth
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Sebastian Kiefl