Flower-Power in der Musik

Die Lotusblume: Heilig, unschuldig und orientalisiert bei Loewe, Schumann und Lehár

Stand
Autor/in
Sylvia Roth
Onlinefassung
Dominic Konrad

Sie ist umflort von Geheimnissen, scheint rätselhaft und mystisch. Ihre Blüten sind kunstvolle Skulpturen: Üppig und vielschichtig fächern sie sich auf. Kein Geringerer als Buddha soll aus ihnen geboren worden sein. Selbst in der nüchternsten Umgebung strahlt sie einen Hauch des Exotischen aus: die Lotusblume.

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Symbol des reinen Herzens und der Erleuchtung

Die Lotusblume (Nelumbo nucifera) ist ursprünglich in stehenden Gewässern von Indien bis China verbreitet. In hinduistischen und buddhistischen Kulturen gilt sie als „heilige Blume“: Symbol für die Reinheit des Herzens, für Schöpferkraft und Erleuchtung.

Lotus-Blüte
Im Buddhismus ist die Lotosblume heilig. Die symbolisiert die Reinheit des Körpers, des Geistes und der Rede.

 Aus Asien ist die Lotusblume nach Europa gelangt und dort haben sie sofort die Künstler für sich entdeckt: Heinrich Heine hat sie in seinem „Buch der Lieder“ charakterisiert. Sie habe Angst vor der Sonne und öffne sich nur für den Mond.

Heines Gedicht wurde zum Magneten, von Robert Schumann bis hin zu Charles Ives haben unzählige Komponisten es vertont, darunter auch Carl Loewe.

Mistuko Shirai singt Loewes „Die Lotosblume“

Zart und scheu? Mitnichten!

Auch wenn es gar nicht stimmt, dass die Lotusblume nur nachts blüht, der Atmosphäre dient es natürlich allemal. Also lässt auch der Dichter Emanuel Geibel sein Lotus-Exemplar im Mondschein schimmern, umkreist und besungen von einem Schwan und vertont von Clara Schumann.

Aus europäischer Perspektive scheint sie also ein zartes, scheues Pflänzchen. Aber was da blüht sind wohl vor allem die Exotismus-Fantasien! Denn die Lotusblume ist keine Mimose, im Gegenteil. Sie ist äußerst pragmatisch veranlagt: Obwohl sie in seichten, schlammigen Gewässern wächst, wird sie nie schmutzig.

Lotus-Blüten im Wasser
An den Blättern der Lotusblume perlt der Schmutz regelrecht ab. Diesen Effekt haben sich auch die Entwickler von Schutzbeschichtungen zum Vorbild genommen.

Lotus hat rundliche Blätter, die einen halben Meter Durchmesser erreichen können. An deren Wachsschicht perlt jeder Wasser- und Schlammtropfen ab. Dieses Phänomen hat den Begriff „Lotuseffekt“ geprägt.

„Die stille Lotosblume“: Diana Damrau singt Clara Schumann

Ohne Lotusblume keine Teflonpfanne

Dass alles an der Lotusblume abperlt heißt aber noch lange nicht, dass sie gefühlskalt ist: Zum Beispiel hat sie ein Herz für Frösche – sie versteckt sie unter ihren großen Blättern vor dem gefräßigen Kaiman.

Der französische Komponist Jean Wiener ist einer der wenigen, der die Lotusblume nicht exotisch verkitscht. Ansonsten kann man nämlich sicher sein: Kaum spielt eine Oper oder Operette in asiatischen Gefilden, muss die Lotusblume für's dekorative Kolorit herhalten.

Der chinesische Prinz Sou-Chong verliebt sich in die Wiener Grafentochter Lisa: Emotionaler Clash der Kulturen in Franz Lehárs „Land des Lächelns“. Am Ende sind die Herzen gebrochen. Schade um den schönen Kosenamen, den der Prinz sich für Lisa ausgedacht hat: Genau, richtig geraten! Lotusblume nennt er sie ...

Lotus-Knospen
Die Knospen der Lotusblüte finden sich als Symbol für Reinheit auch in der indischen Architektur der Mogulzeit wieder, etwa auf dem Taj Mahal in Agra.

Das Fremde ist keine Projektionsfläche – sondern ein Lernfeld

Schluss jetzt also mit klebrig verfälschenden Exotismen – viel interessanter ist doch, dass die Lotusblume neben raffinierten Selbstreinigungstechniken auch noch Lektionen in Nachhaltigkeit parat hat:

Alle Pflanzenteile der Lotusblume sind essbar und werden vor allem im asiatischen Raum regelmäßig verzehrt. Die Blätter dienen als Verpackung für Speisen, die Samenkerne werden für Gebetsketten verwendet und die getrocknete Lotusfrucht wird als Kalligrafie-Pinsel benutzt.

Kalligrafieren wir es uns also ein für allemal hinter die Ohren: Das Fremde ist keine Projektionsfläche – sondern ein Lernfeld.

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Sylvia Roth
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