Kommentar

Der Musik zuhören – zum heutigen „Welt-Zuhör-Tag“

Stand
Autor/in
Albrecht Selge

Sein Leben lang hat der kanadische Komponist und Klangforscher R. Murray Schafer auf mehr Sorgsamjeit im Zuhören bestanden. Ob zwitschernde Vögel oder lärmende Autobahnen, wir sollten die uns umgebenden Klanglandschaften aktiv erforschen, fand Schafer. Zu seinem Gedenken gibt es den Welt-Zuhör-Tag. Über die Universalität des Zuhörens hat Albrecht Selge sich Gedanken gemacht.

Mehr Einander-Zuhören braucht es an allen Fronten

„Hör doch mal zu“, sagen Eltern oft zu ihren Kindern. Dabei könnten Kinder oft genug zurückmahnen, dass ihre Eltern ihnen auch nicht zuhören. Zum einen Ohr rein und zum anderen raus, das haben wir wohl alle drauf. Nicht nur daheim.

Am Weltzuhörtag muss ich daran denken, dass der französische Geiger Renaud Capuçon mir kürzlich erzählte, als Dirigent habe er das Zuhören ganz neu gelernt. Und dass er seine Aufgabe als Orchesterchef vor allem darin sehe, alle Musiker im intensiven Einander-Zuhören zu fördern.

Dann kam er auf die politische Polarisierung in Frankreich zu sprechen: noch ein Fall, wo Einander-Zuhören dringend nötig wäre. So anstrengend das sein kann. Aber was wäre die Alternative? 

Nicht nichts hören bei John Cage

Zuhören ist sowohl etwas Privates, Familiäres als auch etwas Politisches – und etwas genuin Musikalisches. Kurzum: eine menschliche Grund-Angelegenheit. Als der amerikanische Komponist John Cage sich 1951 in einem absolut schalldichten Raum der Harvard-Universität einschließen ließ, war er überrascht von den Geräuschen, die er dennoch wahrnahm.

Das seien sein eigenes Nervensystem und sein Blutkreislauf gewesen, erklärte ihm danach ein Techniker. Cage komponierte daraufhin sein legendäres Stück 4‘33‘‘, in dem der Pianist bekanntlich nicht Klavier spielt – aber der Zuhörer eben nicht nichts hört, sondern alle möglichen Geräusche um sich herum. Dank der Stille lernt er ein neues Zuhören, alles Mögliche kann zu einer eigenen Art von Musik werden. Vom neuen, offenen Zuhören lebt alle Gegenwartsmusik.

John Cage: 4'33'' / Petrenko · Berliner Philharmoniker

Wann kommt der Einfach-mal-die-Klappe-halten-Tag?

Wenn ich nun ganz klassischer Musik im Konzert zuhöre, Haydn oder Brahms, dann am liebsten mit geschlossenen Augen. Kein zappelnder Dirigent lenkt mich ab, kein nasebohrender Paukist, keine schöne Geigerin – nichts Visuelles. Allerdings, akustisch ablenken lassen könnte ich mich ja durchaus: etwa, wenn ich zu sehr auf die Lebenszeichen meiner Nachbarn achten würde, die mich stören könnten. Zuhören ist eben auch immer eine Wahl: Wem oder was will ich zuhören? 

Manchem eben auch nicht. Sei es Plappern im Konzert oder unqualifizierte Kommentare zu irgendwas, wovon Leute keine Ahnung hat. So betrachtet und mal ganz ehrlich gesagt, wünsche ich mir neben dem lobenswerten Welt-Zuhör-Tag gelegentlich auch einen Einfach-mal-die-Klappe-halten-Tag. Im Konzert, in der Familie und im Weltgetriebe.

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Weitere Infos und Studien gibts hier:
https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acssuschemeng.1c06309
https://www.jneurosci.org/content/early/2022/04/06/JNEUROSCI.2018-21.2022
https://www.meiji.ac.jp/cip/english/news/2022/t4q24j0000006ezt.html https://www.reuters.com/lifestyle/science/japan-researchers-develop-electric-chopsticks-enhance-salty-taste-2022-04-19/

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