Buchkritik

Sandra Hoffmann – Jetzt bist du da

Stand
Autor/in
Beate Tröger

Sandra Hoffmann ist Autorin und Journalistin. Sie widmet sich in ihren Romanen immer wieder zwei gewichtigen Themenkomplexen: Der Geschichte, die ihre Figuren zu dem gemacht hat, was sie sind. Und der Liebe. So auch in ihrem jüngsten Roman „Jetzt bist du da“, der ein heißes Eisen anfasst. Er erzählt von der Anziehung zwischen der Erlebnispädagogin Claire und Janis. Die beiden trennen 26 Jahre, denn Claire ist 42 und Janis 16. Beide empfinden etwas füreinander. Aber wie gehen sie nun damit um?
Rezension von Beate Tröger.

Vor fünfzig Jahren, im Jahr 1973, erschien „Fear of flying“ von Erica Jong, einer der bahnbrechenden Romane für die literarische Artikulation weiblichen Begehrens. Sich einzugestehen, dass eine Frau Sex rein um der Lust willen haben möchte, war zum Zeitpunkt des Erscheinens noch weitgehend ein Tabu. Romane wie der von Jong und die emanzipatorischen Bestrebungen der zweiten Frauenbewegung haben daran inzwischen viel geändert. Weitgehend tabuisiert dagegen ist noch immer etwas, das Männern seit Jahrhunderten zugestanden wird: einen Mann zu begehren, dessen Mutter man sein könnte. Genau das geschieht der 42-jährigen Waldpädagogin Claire in Sandra Hoffmanns neuem Roman „Jetzt bist du da“. Sie hat sich nach zahlreichen enttäuschenden Liebesbeziehungen mit ihrem Hund Nora in ein Haus im Wald zurückgezogen, wo sie ihren Lebensunterhalt dadurch sichert, dass sie erlebnispädagogische Camps anbietet.

Alleinleben geht leicht, habe ich gemerkt, als ich einmal entschieden habe, dass ich es mögen will.

Doch dann taucht eine neue Gruppe auf, zu der auch der androgyn wirkende Janis gehört. Auf den ersten Blick hält Claire den zarten Jungen für ein Mädchen, das sie an eine Freundin erinnert. Über diese Erinnerung kommt etwas in Gang, das in Claires Gegenwart immer mehr Raum nimmt, umso mehr, als Janis sich ebenso sehr von Claire angezogen fühlt. Doch ebenso groß wie das Begehren, ist auch die Scheu auf beiden Seiten. Beinahe. Denn nach sieben Wochen taucht Janis wieder im Wald auf

Ich sehe dich auf dem Spaltklotz sitzen hinterm Haus im Schatten, deine nackten Knöchel unterm Saum der blauen Cordhose, die du oft getragen hast im Camp, ich sehe dich im weißen T-Shirt, sehe deine gebräunten Arme und wie du mit der linken Hand die Haare aus der Stirn streichst, mit der rechten auf dem Telefon herummachst, mit dieser merkwürdigen Lässigkeit benutzt du deinen langen Daumen, mit dem du dir dann über die Augenbrauen fährst, als müsstest du sie ordnen. Ich sehe, wie du aufschaust, mich anschaust, wie du lächelst, als du mich siehst, wie dein Gesicht leuchtet.

Sandra Hoffmann erzählt die Etappen einer unmöglich scheinenden Annäherung mit großer Behutsamkeit. Janis‘ Auftauchen in Claires Leben regt nicht nur deren Begehren an sondern auch ein Nachsinnen über die eigene erotische Sozialisation.

Warum erzähle ich das alles? Es ist meine Geschichte. Und nur ein Zufall verbindet deine mit meiner. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich deine Geschichte kennenlernen möchte. Ob es mir guttut, sie kennenzulernen. Nein. Das wird es nicht. Aber etwas geschieht mit mir, etwas hast du mit mir zu tun.

Bis zum Ende bleibt in der Schwebe, wie die Geschichte mit Janis und Claire ausgeht. Und wer nun einwendet, eine Besprechung solle nicht spoilern, dem sei gesagt, dass es „Jetzt bist du da“ genau darum überhaupt nicht geht. Viel wichtiger und sehr gelungen ist, wie der Roman sich zwischen Lustgewinn und Triebverzicht, zwischen Konvention und Begehren bewegt. Er lotet die Grenzen und Möglichkeiten aus, die mit dem eigenen, durchaus konventionalisierten Begehren der beiden Figuren verbunden sind. Und er findet immer wieder die richtigen Worte für Dinge, die so schwer zu sagen sind. Als Claire Janis Pasta mit Gemüse kocht, und Janis nach dem Fenchel darin fragt, greift sie …

… ein paar dünne Spalten Fenchel und hält sie ihm hin. Er hebt die Hand, aber dann entscheidet er sich anders. Claire zuckt, als sie seinen Mund an ihren Fingern spürt, aber sie lässt den Fenchel nicht fallen. Er nimmt ihn mit den Lippen auf, sie zieht die Hand nicht weg, nichts passiert, nur sein Herz pocht so, als ob er sich gerade getraut hätte, an einen Klippenrand zu treten, um aus großer Höhe ins Meer zu springen.

Die Kipppunkte dieser eigenwilligen Begegnung herauszuarbeiten, die Ambivalenzen, die damit einhergehen auszuhalten, sich Zeit zu lassen in der Entfaltung beider Perspektiven, das gelingt Sandra Hoffmann in diesem Roman. Eine Folie, die der Erzählerin die Chance gibt, das innere Erleben anders zu akzentuieren, ist dabei der Lebensraum Wald, sind die Tiere. Das ist mal witzig, wenn Janis und Claire Mardern bei der Paarung zuhören. Es ist tragisch, wenn der Zaunkönig einen intimen Moment zwischen Janis und Claire stört. Es ist, so oder so, auch Ausdruck einer Demut vor aller Naturhaftigkeit des menschlichen Daseins, die bei Hoffmann für sich stehen darf.

Ich will eigentlich auch nicht, dass der Zaunkönig über mir so laut redet. Obwohl ich ihn für gewöhnlich gern höre mit seiner Meckerstimme. Niemand antwortet ihm, und er schimpft immer weiter. Ich wünsche mir nichts mehr als Tiere, die neben mir laut reden. Aber nicht jetzt. Es lenkt mich ab. Wenn ich allein bin, bin ich mit allem um mich herum verbunden. Bin ein Teil des Ganzen. Ich bin nicht bedeutender als jedes Tier hier draußen.

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