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Stephan Anpalagan – Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft

Stand
Autor/in
Eva Karnofsky

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Die Integration von Ausländerinnen und Ausländern könnte besser laufen. Das ist bekannt. Das Material, das der Theologe und Unternehmensberater Stephan Anpalagan darüber zusammengetragen hat, ist dennoch schockierend. Sein Fazit: Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit schaden nicht nur den Betroffenen, sondern auch der deutschen Wirtschaft.

Der Titel klingt etwas sperrig, „Kampf & Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft“. Das Buch von Stephan Anpalagan ist es jedoch keineswegs. Als Sohn einer Einwandererfamilie aus Sri Lanka hat er zwar selbst erlebt, was es heißt, darum kämpfen zu müssen, in der Mitte der deutschen Gesellschaft akzeptiert zu werden.

Der Theologe, Publizist und Unternehmensberater klagt jedoch nicht, sondern er belegt mit sehr viel Material – Statistiken, Umfragen, Forschungsergebnissen – wie sich die Situation von Einwanderern und Geflüchteten in Deutschland darstellt. Er versteht es dabei sehr gut, die Leserin mitzunehmen, denn er schreibt locker, oft umgangssprachlich und bleibt immer sachlich. Manchmal scheint der Theologe durch, der den Menschen ins Gewissen redet, ihre Einstellungen und Verhaltensweisen angesichts der Faktenlage doch mal zu überdenken.

Immenser Schaden durch verfehlte Integration

Sein Credo: Es schadet vor allem Deutschland, wenn Menschen mit dunkleren Hautschattierungen oder anderem Glauben nicht in der Mitte der Gesellschaft Fuß fassen können. Deutschland braucht einerseits Touristen, vor allem aber hunderttausende Fachkräfte. Aber wer möchte in einem Land arbeiten, in dem nur die Arbeitskraft, aber nicht der Mensch willkommen ist, fragt er.

Was Deutschland verloren geht, wenn sich das nicht ändert, schildert er an einigen Beispielen: Die Max-Planck-Gesellschaft etwa hatte vor einigen Jahren Probleme, hochkarätige Forscher aus dem Ausland nach Dresden zu holen, weil diese um ihre Sicherheit fürchteten. Rechte Gewalt beeinflusse inzwischen bei 18 Prozent der Unternehmen die Standortentscheidung.

Und dann das Beispiel von Jawed Karim und seiner Familie: Die deutsche Mutter ist Biochemikerin, der Vater stammt aus Bangladesh und war Technologie-Fachmann bei 3M in Neuss. Wirklich angenommen fühlten sich die Karims nie und so wechselte der Vater, als hier 1992 die Häuser ausländischer Familien brannten, zu 3M in den USA. Dort entwickelte Sohn Jawed Karim dann mit einigen Kumpels erst die PayPal-App und dann Youtube. Er machte Milliarden.

Die deutsche Ausländerpolitik ist von Widersprüchen geprägt

Anpalagan fragt weiter, warum immer wieder gut integrierte Menschen ausgewiesen werden, weil etwas mit ihrem Aufenthaltsstatus nicht stimmt, obwohl sie in Mangelberufen arbeiten. Und warum wende sich sogar die AfD an die Bundesregierung, Menschen fürs Spargelstechen die Einreise zu erleichtern, obwohl die Partei doch sonst eher nicht durch Ausländerfreundlichkeit auffalle? Die Ausländer-Politik, das macht Anpalagans Buch deutlich, ist von Widersprüchen geprägt.

Anapalagan geht davon aus, dass die Mehrheit der Zugewanderten die Sehnsucht verspüre, sich zu integrieren, doch es werde ihnen nicht leicht gemacht. Er nennt prominente Fußballer als nur ein Beispiel: Sie würden nur so lange als Deutsche angesehen, wie sie Tore schießen: „Du kannst machen, was du willst, du kannst dich verhalten, wie du willst. Es reicht nicht. ... Du bleibst immer ein Deutscher auf Bewährung“, so der Autor.

Was dann in letzter Konsequenz dazu geführt habe, dass sich ein Mesut Özil vom Diktator Erdogan vereinnahmen ließ. Gern werden mangelnde Deutschkenntnisse als Grund dafür zitiert, warum die Integration nicht gelinge. Dem widerspreche, dass auch hier geborene Menschen mit Migrationshintergrund schwerer eine Wohnung oder einen Job finden als weiße Menschen mit deutschem Namen. Und je höher die Gehaltsstufe, um so schwieriger werde es. Wofür er Belege bringt. Sekretärin kann man noch werden, Abteilungsleiterin dagegen eher selten.

Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung begreifen

Die Leitkultur als Maßstab für Integration tauge auch nichts, legt er dar. Auf Inhalte abgeklopft, entpuppe sie sich als Worthülse. Vieles von dem, was Stephan Anpalagan schreibt, hat man schon mal gehört – es ist die systematische Zusammenstellung der Fakten, die nachdenklich stimmt und die Frage aufwirft, wie sich ein Einstellungswandel durchsetzen ließe. Der schon um der Wettbewerbsfähigkeit des Landes willen bitter nötig wäre. Anpalagan schlägt vor, sich ein Beispiel an Kanada zu nehmen: Da werde Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung angesehen.

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Eva Karnofsky