Buchkritik

Naoise Dolan – Das glückliche Paar

Stand
Autor/in
Kristine Harthauer
Kristine Harthauer, SWR Kultur Autorin und Moderatorin

Naoise Dolans Debütroman „Aufregende Zeiten“ war ein internationaler Erfolg. Jetzt versucht die 32-Jährige mit ihrem zweiten Buch daran anzuknüpfen. Ein Heiratsroman mit einem notorischen Lügner als Bräutigam und einer Braut, der der Durchblick fehlt.

Es gibt viele Gründe, warum Celine ihren Verlobten Luke nicht heiraten sollte. Einer davon: Er hat sie mit mindestens einer ihrer Brautjungfern betrogen.

Bei jedem anderen Paar wäre „Der Bräutigam hat die Braut wahrscheinlich vor ein paar Jahren mit der Brautjungfer betrogen“ schon die Megakatastrophe. Aber für dieses glückliche Paar an diesem glücklichen Tag lief das total unter business as usual.

Unsteter Herzensbrecher trifft Pianistin

Das glückliche Paar, das sind Celine und Luke: Ein Millennial-Pärchen. Sie ist 26, er zwei Jahre älter und ein unsteter Herzensbrecher mit einer langen Liste an Exfreunden und -freundinnen: Luke ist groß und schlank, hat dunkles Haar und einen Job bei einer multinationalen Hi-Tech-Firma in Dublin. Celine hingegen wird als auf „geschmackvolle Weise hässlich“ beschrieben: quadratisches Gesicht, dezente Kleidung.

Das auffälligste an ihr: Die schwarzen Lederhandschuhe, die sie sogar in warmen Sommernächten trägt und auch auf Partys nicht auszieht. Denn Celine ist Konzertpianistin. Ihre größte Angst ist es, sich an ihren Händen zu verletzen. Das Klavier ist ihr Leben. Ihr Kopf ist voller Musik und wenn Celine gerade nicht am Piano sitzt, übt sie auf ihrer inneren Klaviatur weiter. Diese Hingabe fand Luke zu Beginn ihrer Beziehung noch sehr anziehend. Kurz nach der Verlobung sieht das schon ganz anders aus:

Celine hat echte Klavierfinger. Mit abgekauten Nägeln. Wenn sie spielt und ein Klicken hört, wird das Problem auf der Stelle gelöst. Die Haut an ihren Händen ist schwielig, dabei cremt sie sie abends ein. Jeden Abend. Versucht mal, jemandem zu glauben, der im Taxi zu euch sagt: „Ich will dich jetzt sofort“ und zu Hause geht sie immer, ohne Ausnahme, zuerst ins Bad und cremt sich die Hände ein. Und nicht, um mir einen runterzuholen, das müsst ihr mir bitte glauben.

Ein Brautpaar, das nicht miteinander spricht

Abfällige Kommentare über seine Verlobte - nicht die einzige Macke, die Luke hat. Sein größtes Problem: Er hasst es, Entscheidungen zu treffen. Dass die beiden überhaupt verlobt sind, grenzt an ein Wunder. Luke wirft Celine vor, sie habe ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und zur Verlobung gedrängt. Das sagt er ihr aber nicht direkt, sondern denkt es nur. Denn anstatt miteinander zu sprechen, betrügt und belügt er Celine. Und versteckt sich sogar auf seiner eigenen Verlobungsfeier.

Er ist zu nervös, um sich unter die Leute zu mischen. So verkriecht er sich, bis Celines Ex-Freundin Maria ihn findet und mit ihm die Party verlässt. Bis zu ihrem Hochzeitstag wird Celine nicht wissen, wohin und mit wem Luke von ihrer Verlobungsfeier verschwunden ist. Sie möchte es im Grunde auch gar nicht erfahren. Celine ist jemand, die sich die schwierigsten Klavierstücke mit großer Lust und Hartnäckigkeit erarbeitet. Mit ähnlichem Arbeitseifer hat sie auch die Beziehung zu Luke aufgebaut. Und das möchte sie nicht einfach aufgeben:

Sie hatte ihm schon viele Vertrauensvorschüsse gegeben, hatte ihre gesamte Beziehung mit dem Vorschießen von Vertrauen verbracht, war eine alte, erfahrene Vertrauensvorschießerin. Wenn sie ihm nicht mehr vertraute, wurde sie ins Straucheln geraten. Es wäre das Aus für die Wohnung in der Nr. 23, die Katze und das gesamte Leben, das Celine kannte. Das wollte sie nicht. Und deswegen würde sie ihm vertrauen.

Alle wissen Bescheid, nur nicht die Braut

Dieses „Glückliche Paar“, wie der Titel suggeriert, begleiten wir auf zähen 300 Seiten. Vom Abend ihrer Verlobung bis zum Tag ihrer Hochzeit - wobei bis kurz vor Schluss unklar ist, ob die beiden wirklich heiraten. Dazwischen kommen allerlei Gründe ans Licht, warum Celine und Luke lieber getrennte Wege gehen sollten, sich dazu aber nicht aufraffen können.

Diese Beziehung umkreist Naoise Dolan in ihrem Roman in sechs Teilen. Jeder Teil begleitet eine der zentralen Charaktere: Die Braut, den Bräutigam, die Trauzeugen. Jede dieser Figuren blickt anders auf das vermeintlich glückliche Paar. Aber allen wird klar, dass jemand wie Luke nicht für den Bund der Ehe geschaffen ist. Das weiß Celines Schwester Phoebe, die Einzige, die ihm klar ihre Meinung sagt. Das weiß auch Archie, Lukes Trauzeuge und Exfreund. Er kommt über die typische Luke-Mischung nicht hinweg: Minimale Zuneigung kombiniert mit fehlendem Bindungswillen.

Das Lukespezifische ist, dass du deine Partner beschissen behandelst, nur um rauszufinden, ob sie dich hinterher immer noch lieben.

Ob Celine Luke immer noch liebt, das ergründet Naoise Dolan in „Das glückliche Paar“ auf ermüdende Weise: Anstatt ihre Figuren interagieren oder wenigstens ins Gespräch kommen zu lassen, ergehen sich die Protagonisten in Selbst-Analyse und Nabelschau. Und obwohl dieser Text Nähe zu seinen Figuren suggeriert, bleiben diese lediglich Archetypen. Holzschnittartige Beispiele von Millennials: Die Künstlerin, der Workaholic, der bindungsscheue Typ, die Schwarze beste Freundin. Es gibt keinen Raum für eine überraschende, moderne Liebesgeschichte. Stattdessen serviert Dolan eine Textmischung bestehend aus Rückblicken und Grübeleien garniert mit SMS-Chatverläufen in Kapiteln, die manchmal nur aus drei Wörtern bestehen.

Natürlich kam Maria.

Dazwischen streut Dolan banale und sehr kitschige Beobachtungen ein - zum Beispiel über einen zerbrochenen Schwan aus Glaskristall:

Die Brauttasche lag immer noch auf Celines Schoß. Sie hatte beide Schwanenhälften in einen Socken gesteckt, um ihre Hände zu schützen, und Satinhandschuhe angezogen, man wusste ja nie. Das Glas konnte ihr nicht wehtun. Aber Luke konnte es.

Müde Erkenntnis: Das Patriarchat sabotiert die Liebe

Jedem in diesem Buch ist klar: „Celine, renn, so schnell du kannst“. Aber keiner spricht das aus. Und die Braut selbst blickt einfach nicht durch. Naoise Dolan verpasst die Chance, zu erzählen, warum. Die Erzählerin bleibt so blind wie ihre Figuren, ohne dass das ein Stilmittel ist, das eine neue Ebene eröffnet.

In einer Liebesgeschichte voller queerer Figuren - sowohl Celine als auch Luke sind bisexuell - herrscht weiterhin das Patriarchat mit seinen engen Vorstellungen darüber, wie eine glückliche Beziehung in eine lange Ehe mündet. Und alles dreht sich um den bindungsscheuen Millennial, den weißen Cis-Mann - der Mittelpunkt Romantischer Komödien und Liebesromane.

Was bei Jane Austen gespickt war mit Witz und scharfsinniger Gesellschaftsanalyse, reduziert sich bei Dolan auf diese einzige, banale Erkenntnis: In einer patriarchalen Gesellschaft können sich auch queere Paare selbst nur schwer von patriarchalen Ideen über die Liebe lösen. Celine bleibt eine Gefangene dieses Systems. Keine neue Erkenntnis, aber definitiv eine, die weh tut. Doch der Schmerz geht nicht tief, weil Naoise Dolan auch literarisch so unentschieden bleibt, wie ihre Figuren in der Liebe.

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