Buchkritik

Michael Lentz – Grönemeyer

Stand
Autor/in
Ina Beyer

Die erste umfassende Werkbiografie des großen deutschen Musikers Herbert Grönemeyer, verfasst vom Lautpoeten und Literaturprofessor Michael Lentz. Eine tiefgehende Analyse des Grönemeyerschen Musik-Kosmos, nach deren Lektüre man viele Songs neu hören wird.

Seit Jahrzehnten wird seine Musik als tönende Lebenskunst rezipiert. Für viele wurden die Lieder Herbert Grönemeyers zum Soundtrack der eigenen Biographie.

In das Leben von Autor Michael Lentz allerdings trat Herbert Grönemeyer verhältnismäßig spät und auch nicht mit seinen Liedern, sondern mit seiner Anfrage.

Weil 2003 im Debütroman von Michael Lentz, „Liebeserklärung“, immer wieder Liedzeilen der CD „Mensch“ eine Rolle spielten, lud Grönemeyer den Schriftsteller nach London ein und unterhielt sich mit ihm. Das Gespräch landete auf der DVD des Albums und die Männer wurden Freunde.

Grönemeyer und Lentz: Eine fruchtbare Künstlerfreundschaft 

Und da fast noch nichts Relevantes, Analytisches zu Stimme, Musik und Texten Grönemeyers veröffentlicht war, wie der Lautpoet, Literaturprofessor und Musiker Michael Lentz feststellte, machte er sich daran, eine stattliche, 385 Seiten starke Werkbiografie zu schreiben.

Das war eine gewisse Herausforderung, da vielleicht auch ein wenig Neuland zu betreten, fernab auch eines generalisierenden poptheoretischen Zuschnitts, sondern ganz, wie man in der Literaturwissenschaft sagt „close reading“ diesmal dann „close hearing“ ganz nah am Stoff bleiben und den mal, sowohl von den Texten her als auch der Musik bis hin in die harmonischen Analysen auseinanderzunehmen.

„Herbert Grönemeyer vertont keine Texte, sondern vertextet Musik. Töne sagen und erzählen bereits etwas, oft schon das Wesentliche. Es entsteht eine Stimmung, ein Bild, eine atmosphärische Temperatur. Der Text erklärt dann, führt aus, ergänzt und passt sich an, indem er an formale Vorgaben wie Takt und Silbenzahl, Rhythmus und Zeiteinheiten gebunden ist.“ (Michael Lentz - Grönemeyer)

Aufschlussreiche Analysen und biografische Fundstücke 

Sich immer wieder einen Grönemeyer-Song zwischen den Zeilen zu gönnen, tut der Lektüre gut – die an vielen Stellen einen musiktheoretisch hoch belastbaren Leser voraussetzt.

Man kann die ausgeklügelten wie aufschlussreichen Analysen von Harmonien, einzelnen Texten oder stimmlichen Besonderheiten aber durchaus auch als Anreiz für den interessierten Laien verstehen: nach der Lektüre wird man die Songs neu hören. Oder man widmet sich von Anfang an verstärkt dem biografischen Teil des Buches.

Verweilt in der frühen Kindheit des Musikers, geprägt von der musischen Mutter aus baltischem Adel, deren Vorfahren Russen waren. So wurden abends am Bett der drei Grönemeyer-Brüder viele estnische, russische und deutsche Lieder gesungen.

Der Vater, promovierter Bergwerksingenieur, lebensfroh, feierfreudig, und humorvoll, pflegte über seine westfälische Mentalität zu scherzen: „Wir sind schlicht, aber sehr ergreifend.“ Herbert Grönemeyer, die gelungene Mischung seiner zielstrebig-sentimentalen Eltern, singt, seit er vier Jahre alt ist. 

Ich bin Dauersänger, sagt Herbert Grönemeyer von sich. Ich wollte aber nie Sänger werden, ich sang ja bereits.

Ein anspruchsvolles Kompendium für Fan und Fachmann 

Erste Erfolge jedoch feiert er als Schauspieler – 1981 als Leutnant Werner im Film „Das Boot“. Drei Jahre, aber bereits vier weitaus unbeachtete Studioalben später dann endlich auch der musikalische Durchbruch mit „4630 Bochum“. Es folgen viele Platten, phantastische Konzerte, schwere Schicksalsschläge, neues Lebensstrahlen.

Michael Lentz erzählt davon, auch vom politischen Engagement des Künstlers, fokussiert aber auf das Werk Grönemeyers, geht da ins interpretatorische, untersuchende Detail. So ist ein anspruchsvolles Kompendium entstanden, in dem jeder etwas finden kann, das ihn interessiert – ob Fan oder Fachmann. Wer aber ist der ideale Leser? 

Man muss, sage ich mal recht selbstbewußt, eine gewisse Kompetenz mitbringen, eine textliche, eine musikalische, und diese ganzen einzelnen Komponenten verbindende Kompetenz. Und das war die Herausforderung und deswegen: Der ideale Leser bin ich selber.

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