Auf der südkoreanischen Insel Jeju spukt es. Denn dort ereignete sich vor 75 Jahren ein entsetzliches Massaker, von dem Lim Chul Woo in seinem neuen Roman erzählt. 1948 wurde Jagd gemacht auf vermeintliche Kommunisten. Von 400 Dörfern auf Jeju, das heute als subtropisches Urlaubsparadies gilt, wurden 270 zerstört. Auch die Familie von drei Kindern traf es, die dadurch zu Geistern wurden.
Wer flüstert und wispert denn da aus der Mauer? Wer murmelt und tuschelt und zischt? Es sind drei Kinder, die im neuen Roman des südkoreanischen Autors Lim Chul Woo herumgeistern. „Ein Flüstern aus der Mauer“ heißt der Roman, denn dort, in der Mauer, da wohnen die drei Geschwister. Als Geister. Manchmal kann man sie erahnen, als flitzende Lichtpunkte zum Beispiel.
Der Pensionär Han Minu erkennt sie kaum. Er ist aus der Megacity Seoul auf die Insel Jeju gezogen und hat dort ein altes Haus gekauft. Seinen Lebensabend stressfrei genießen, das will er. Aber er beschäftigt sich auch viel mit der Geschichte der Insel, wo es 1948 zu einem entsetzlichen Massaker kam. Wer als links galt, als Kommunistenfreund, wurde auf Jeju ganz einfach abgeknallt. Von 400 Dörfern wurden 270 zerstört. Auch die Familie der heute noch umherflirrenden Kinder traf es. Davon wispern die drei in eigenen Kapiteln. Das klingt traurig und fröhlich zugleich, denn die drei warten noch immer auf ihre verschollene Mutter, aber sie treiben auch einigen Schabernack.
Geister – das sind letztlich die gewaltsam Gestorbenen. Es sind die, die keine Ruhe finden. Die zwischen Diesseits und Jenseits festhängen. Durch die koreanische Literatur spuken sie häufiger, auch durch die Bücher der Bestsellerautorin Han Kang. Oft sind es schamanische Rituale, die den Untoten helfen, auch jetzt bei Lim Chul Woo, der in seinem neuen Roman wieder sehr nachdenklich erzählt. Und es helfen Träume. Pensionär Han kann die flirrenden Kindergeister zwar nicht sehen, aber er kann sie träumen! Es sind diese zauberhaften Zwischenräume, in denen man die Toten treffen, ihnen helfen und sie erlösen kann.