Buchkritik

Peter Handke – Die Ballade des letzten Gastes

Stand
Autor/in
Alexander Wasner

Peter Handke wurde in den 90er Jahren und dann noch einmal rund um den Nobelpreis heftig kritisiert. Seine uneindeutige Distanzierung von serbischen Kriegsverbrechen ließ ihn vielen verbohrt erscheinen, seine trotzige Antwort darauf wurde fast zum geflügelten Wort: „Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen.“

Aber das trifft den Kern. Handke ist in der „Ballade des letzten Gastes“ ganz klassisch. Immer wieder taucht sein Jähzorn auf, direkt neben dem Wunsch nach Einsamkeit. Es ist ein virtuoses Spätwerk.

Knapp 200 Seiten, das ist für ein Buch eine Idealstrecke, wie 90 Minuten für eine Theater- oder Kinoaufführung. Man kann es an einem oder zwei Abenden gut bewältigen, und auch mnemotechnisch bereitet es nicht zuviel Probleme: Man kann sich ganz gut merken, was man gelesen hat.

Der neue Handke hat genau die knapp 200 Seiten, ist in graues, etwas grobes, sehr schlichtes Leinen gebunden, der Schutzumschlag zeigt einige Flechten, die aussehen wie klassisch-griechische, Sie wissen schon, an den Säulen die Akanthusblätter.

Nichts ist da ohne Sinn, nichts ohne Bedeutung. Handke geht seinen Weg weiter ins Klassische, auch mit dem neuen Buch „Die Ballade des letzten Gastes“. Ballade nennt man seit dem Barock ein erzählendes Gedicht, die Klassiker Goethe und Schiller waren große Balladendichter. Handke hat ein Faible für Genre-Bezeichnungen, seine umfangreicheren Bücher hat er nicht Roman, sondern Erzählung, genannt, Ballade ist dann sowas wie die Kurzform seines Erzählens, das macht es nicht leichter, es ist eher sowas wie ein verdichteter Extrakt seines Schreibens, das Handke berühmt und bis zum Nobelpreis gebracht hat.

Ein Rückkehrer, der alles anders vorfindet

Der Held heißt Gregor (wie der Bruder von Handkes Mutter, nicht zum ersten Mal heißt ein Held bei Handke Gregor) gegen Ende des Buchs erfährt man: Er heißt Gregor Werfer, er arbeitet auf einem anderen Erdteil, reist ins Dorf der Kindheit, natürlich legt er wie Handke-Helden das seit dem ersten Roman „Die Hornissen“ tun, mit dem Bus die letzte Etappe zurück.

Nur dass es keine Penelope gibt, die zehn Jahre gewartet hat, sondern eine Familie, bei der der Vater zum wortlosen Kartenspiel einlädt, die alleinstehende Schwester ihn mit einem Kind auf dem Arm überrascht – und vom Bruder Hans nur die Nachricht kommt, er sei als Fremdenlegionär in einem Krieg in den Tropen erschossen worden.

Auf dem „Taschentelefonschirm“ ploppt diese Nachricht auf, soviel altmodische Eindeutschung des Smartphones muss sein. Nach 20 Seiten ist das Romanumfeld komplett. Die Erschütterung Gregors ist groß, er wagt nicht, die Todesnachricht weiterzugeben. Stattdessen geht er zum Kind der Schwester – und beschimpft es, zuerst harmlos als „Nichtsnutz“, dann immer heftiger:

»Mundräuber !«, »Klein Moses, schwimmend fern vom Nil in der eigenen Pisse !«, »Furzkaspar !«, »Mostbirnkopf !«, »Rotzglockenzieher !«, »Buchhalter !«, »Hallodri mit dem weißen Verliererarsch !«, „Ringelspielbesitzersseitentrieb“

Auch eine Art „Publikumsbeschimpfung“

Das Kind jauchzt auf, es fühlt sich bemerkt und unterhalten. Natürlich erinnert das erheblich an Handkes frühe Stücke, etwa die Publikumsbeschimpfung, mit der er in den 60er Jahren bekannt geworden ist, bei dem Schauspieler auf der Bühne stehen, das Publikum wüst beschimpfen und ihm anschließend vor dem eigenen Abgang applaudieren.

Dieser Abgang kommt, Gregor Werfer bricht auf, nur ist die Natur verschwunden. Die Heimat ist zur zersiedelten Agglomeration, zur Zusammenballung, geworden. Es gibt keine Grenze zwischen Stadt und Land, zwischen Kultur und Natur, selbst der Obstgarten der Eltern ist verschwunden, Gregor Werfer geht immer weiter.

Die ausgedehnte Wanderung dauert eine Woche, eine Reduzierung, eine umgekehrte Schöpfung, eher eine Erschöpfung des Helden. Die Natur spiegelt diese Erschöpfung, die Außenwelt spiegelt die Innenwelt, auch da denkt man an ein frühes Werk des Autors, und so ist das Buch eine anspielungsreiche Wanderung.

Vielleicht ist es damit nicht das ideale Einstiegswerk für künftige Handke-Leser, aber eine Einladung, sich mit dem Werk zu befassen. Am Ende findet Gregor in Gasthäusern eine Art von Bestimmung seiner selbst als letzter, wörtlich: „ganz schön seltsamer“ Gast auf der Welt.

Präzise Prosaminiaturen über taumelnde Helden

Man staunt, wie Handke einfach so sein Ding durchzieht, seine von den kleinbürgerlichen Verhältnissen der Kindheit geprägte Klassik schreibt, seine hochelegant kurzatmige Satzverschachtelungstechnik pflegt, seine radierungsgleich gestochenen Prosaminiaturen, seinen immer taumelnden Helden begleitet auf der Wanderung. Und man liest und staunt auch über die Präzision, mit der Handke in der Erschütterung Gregors nebenbei auch ein Echo schreibt auf die Kritik an seiner Haltung im Jugoslawienkrieg. Angst und Trotz sind spürbar und vielleicht auch, man zögert, das zu sagen, aber Kafka steht bei Handke schließlich immer Pate, Scham spielt mit und das alles macht aus Gregor eine Art Kippfigur.

Es handelte sich um keine Todesgefahr, jedenfalls keine unmittelbare. »Kippen«, das hieß nicht »abstürzen«, sondern schlicht »kippen«. Es drohte ihm kein Berufsverbot. Man war nicht auf der Spur all der Morde, die er als junger Mann seinerzeit begangen hatte, wenn auch jeweils allein im Traum. Er war nicht geisteskrank, und es war kein Wahn, der ihm einflüsterte, auf des Messers Schneide zu sein, und auch kein Teufel, und wenn, dann einer, der es nicht ganz schlecht mit ihm meinte.

Es ist ein Spätwerk, die ganze Erzählung zeigt es. Und es ist eine sehr schöne Erzählung von der Selbstreduktion, vom Verschwinden. Irgendwann kocht sich der Held Tee aus den Flechten, die den Schutzumschlag zieren, er schläft in Bombentrichtern und man weiß nicht so genau, wie man das verstehen soll, aber es sind starke Sätze:

Als ich mich schnarchen hörte beim Schlaf im Bombentrichter. Aus heiterem Himmel angefallen von einem Schmetterling

Sätze, die er schon als letzter Gast formuliert, als der, der sich erschöpft am Rand von was auch immer einfindet. Bei Handke ist also wieder einmal alles zusammen gedacht: Die Wunden wie die Wunder der Natur, der Menschheit, des Autors. Man kann da eine Form von ästhetischem Idealismus herauslesen, und genau das ist Klassik. Ob man mitgeht oder nicht, ist eine der schönen Formen von Freiheit, die sich heute jeder nehmen kann, das Buch jedenfalls ist wie sein Held und wohl auch sein Autor letzter Gast in einer Literaturlandschaft, die sich, ich würde sagen: leider, rasant verändert hat. 

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