Buchkritik

Kae Tempest – Divisible by Itself and One / Teilbar durch sich selbst und eins

Stand
Autor/in
Ulrich Rüdenauer

Diese Gedichte haben etwas Öffnendes und Rauschhaftes – nach Kae Tempests Coming-out als non-binär beschreibt der neue Gedichtband „Divisible by Itself and One / Teilbar durch sich selbst und eins“ den Weg vom eigenen Körper hin zu einem gemeinsamen Empfinden.

Ob Kae Tempest mit einer Band auf der Bühne Texte über treibenden HipHop-Beats und ätherischen Ambient-Synthie-Sounds vorträgt, oder wie gerade in Edinburgh alleine im Scheinwerferlicht steht: Die Auftritte vor einem meist jungen, diversen, urbanen Publikum haben etwas Suggestives, Beschwörendes.

Als Spoken-Word-Artist rappt Tempest im schneidend-klaren Süd-Londoner Akzent von Liebe und Körpern, von Lebensmustern und Begrenzungen, von Hoffnung und Depression, von Verbundenheitsgefühlen und antiken Göttern, die unsere Genderdiskurse aufmischen.

Nach ein paar koketten, lustigen Einführungsfloskeln wird es live on stage konzentriert und ernst: Tempest reißt die Zuhörer:innen mit in einen Wörterstrom, der von Binnenreimen und Alliterationen, von immer wiederkehrenden Motiven und Wendungen angetrieben wird, und dem man sich schwer entziehen kann.

Es ist die reine performative Verausgabung – eine atemlose Stunde, euphorisch und beschwörend, klar und kraftvoll, aber auch die Sätze selbst sind überbordend und verschwenderisch in ihrer Direktheit und Verletzlichkeit. Gedichte aus verschiedenen Phasen werden von Tempest zu einem fließenden Langpoem verknüpft, punkt- und absatzlos geht eines ins andere über, und mit der Zeit bilden sich motivische Zusammenhänge, die mindestens so sehr von der Semantik wie von Phrasierung und Sprechmelodie gestiftet sind.

Kae Tempest wurde in England bereits mit etlichen Elogen und Ehrungen bedacht, und das hat nicht zuletzt mit diesen überschäumenden Live-Momenten zu tun. Auf dem Papier sind die Texte von Kae Tempest, die früher als Kate veröffentlichte und sich inzwischen als non-binär identifiziert, ebenfalls frisch und mitreißend. Zumal, wenn man Tempest einmal auf der Bühne gesehen, diese Stimme im Ohr hat.

Das gilt alles auch für den jüngsten Band, der gerade in einer Englisch-Deutschen-Ausgabe erschienen ist: „Divisible by Itself and One / Teilbar durch sich selbst und eins“. Die Texte haben eine rhythmische, poetische Kraft, spielen mit verschiedenen Formen, manchmal auch mit dem, was man einmal visuelle Poesie nannte; meist aber bleiben sie einem Hip-Hop-affizierten, oralen Drive verpflichtet. Am besten liest man sie laut oder hört Tempest selbst, wie hier „Pride“ aus dem jüngsten Hörbuch.

Thematisch geht es um viel, um alles, um „den Freak in meinem Körper“, den Body, der durch Schmerzen geht, durch eine „glorreiche Metamorphose“; um die Absurdität von Beziehungen und die Kraft der Gemeinschaft, um Sex und Liebe, und dass beides immer politisch ist, eine gesellschaftliche Dimension hat:

„Für Euch // Meine Menschen. Meine wunderschönen Menschen. Meine / wunderschönen Trans-Menschen, natürlich wie das Leben“

heißt es im „Lovesong für Queens, Studs, Butches, Daddies, Fags und all die anderen Engel“, der die eigenen Zweifel am Coming Out und das geradezu überfließende Bekenntnis zu der neuen Identität mit allem gebotenen Pathos nachzeichnet:

„Ich wünschte ich hätte all diese
Jahre in euren Armen verbracht nah bei euch
und hättet ihr meinen Kopf rasiert und mir auf die Schultern
geklopft und mich unter eure sanften Flügel genommen und gekämpft mit mir jedes Mal wenn ich kämpfen musste und mir Dinge beigebracht die ich alleine lernen musste.“

Bleibt man auf der linken Seite des Buches, beim englischen Original, macht die Lektüre sinnliche Freude – und ergibt Sinn. Schaut man nach rechts zu den Übersetzungen, wird es allerdings ärgerlich. Klar, solche eigentlich für die Bühne gemachten, einer englischsprachigen Spoken-Word-, Pop- und Rap-Tradition entstammenden Texte sind so ziemlich die undankbarste Aufgabe für eine Übersetzerin.

Doch ist das noch kein Grund, unentschlossen zwischen einer Interlinearübersetzung und oftmals dubiosen, entstellenden oder gar unverständlichen Übertragungen hin und her zu springen. Man fragt sich ein wenig ratlos, ob sich das Lektorat irgendwann mit diesem Buch beschäftigt hat. Im Gedicht „Getting on“ heißt es beispielsweise:

„I feel as jagged as the old blackbird
I spend the morning watching from the sink.“

Wörtlich ließe sich das so übersetzen: Das lyrische Ich fühlt sich angeschlagen wie die alte Amsel, die es morgens vom Waschbecken aus beobachtet. Bei Rike Scheffler wird daraus:

„Ich fühl mich kantig wie die alte Amsel,
Der ich vom Waschbecken aus meinen Morgen schenke“

Aus dem nüchternen „She liked to not remember where she’d been“ wird ein prätentiös-poetisches „Sie mochte es, wenn Orte aus der Erinnerung fielen“. Oder bei der Zeile „The way she saw it, it was hers to hate“ konstruiert Scheffler einen ziemlich verkorksten Satz, um das „her“ irgendwie ins Deutsche zu bringen:

„Wie sie ihn sah, war er ihrer, ihn zu hassen.“

In den Übersetzungen gibt es leider keine Stringenz und auch keinen Rhythmus, noch nicht einmal Zuverlässigkeit, aber auch keine entschiedene, sich vom Original lösende Nachdichtung, die ja durchaus ihren Reiz besitzen könnte. Zeilen wie diese, in deren schöner formaler Schlichtheit ganz entfernt Emily Dickinson nachhallt, haben im Englischen etwas Klares:

„I headed out into the night
jasmine on the wind.
The dark was like a losing fight.
It spat its tooth and grinned.
My solitude was lifted
by a gradual cigarette;
the more I try to fill the void
the bigger it will get.“

Im Deutschen finden sich hingegen Betulichkeit und Ungenauigkeit:

„Ich brach auf in die Nacht
Jasmin im Wind.
Die Dunkelheit verlorener Krach.
Spuckt ihren Zahn aus und grinst.
Meine Einsamkeit gemildert
von einer Zigarette, nach und nach;
je mehr ich versuche die Leere zu füllen
desto mehr wächst sie an.“

Man fragt sich nicht nur hier, warum in den ersten vier Zeilen um des Reimes Willen eine unzulängliche Übertragung steht, in den zweiten vier Zeilen aber auf den Reim verzichtet wird. Die Liste unseriöser Stellen ließe sich leider beliebig erweitern. Wer also des Englischen einigermaßen mächtig ist, sollte sich besser gleich die Original-Ausgabe kaufen – die ist sogar ein bisschen günstiger als die zweisprachige von Suhrkamp. Allen anderen sei gesagt: Kae Tempest ist besser, als es die Übersetzung ahnen lässt.

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Autor/in
Ulrich Rüdenauer