„Alle Kunstwerke, die uns beeindrucken, haben eine ´Jetzt-Qualität`. Sie scheinen nie alt zu werden. Ich hoffe, das ist bei meinen Bildern auch der Fall.“, sagt der Fotokünstler Jeff Wall. Mit einer umfangreichen Werkschau zeigt die Fondation Beyeler in Basel, wie vielfältig die Arbeiten des Kanadiers sind. Jeder Ausstellungsraum ist ein Bilderkosmos, der die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Realität und Fotografie neu stellt.
Die Fotos von Jeff Wall sind wiedererkennbar und zeitlos
Wer den Raum betritt, ist schon gefangen: „Dead Troops Talk“ – „Tote Soldaten sprechen“ heißt eines der einprägsamsten Bilder der Ausstellung, das beleuchtete Großdia zeigt: Blutverschmierte Leichen getöteter Soldaten an einem steinigen Hang. Aber – wer sich langsam näher an die über vier Meter breiten, metallgefassten Lichtkasten heranwagt, entdeckt: mit diesem Kriegsschauplatz stimmt etwas nicht. Die Toten liegen nicht leblos da, sie scheinen ihre Wunden zu betrachten, sprechen miteinander, lachen gar. Eine Szene wie aus einem Horrorfilm. Jeff Wall bezeichnet das Bild von 1992 als Vision, die Bezug auf den Afghanistankrieg nimmt.
Neue Ausstellung in der Fondation Beyeler Wovon lässt sich der weltbekannte Fotograf Jeff Wall inspirieren?
Der Kanadier Jeff Wall hat die zeitgenössische Fotografie geprägt. Viele seiner Arbeiten sind angeregt durch Gemälde oder Skulpturen. Welche Werke haben den Fotografen inspiriert?
Das Werk in Historienbildmanier ist vor über 30 Jahren mithilfe digitaler Bildverarbeitung in monatelanger Studioarbeit entstanden. Heute – vor dem Hintergrund der Kriege in der Ukraine und in Gaza – lesen wir das Bild ganz neu. Das Foto steht exemplarisch für das, was viele Werke dieser Ausstellung auszeichnet: Trotz der allgegenwärtigen Bilderflut sind die Fotos von Jeff Wall wiedererkennbar. Sie tragen eine gewisse Zeitlosigkeit in sich. Eine Eigenschaft, die dem Künstler Jeff Wall besonders wichtig ist.
Parcours durch den Jeff-Wall-Bilderkosmos
Die Ausstellung besteht aus elf Räumen, darin werden die Bilder nicht chronologisch gegenübergestellt – eine Art Parcours, keine klassische Retrospektive. Jeder Raum soll ein eigener Bilderkosmos sein, der das breite Spektrum von Jeff Wall fasst
Jeff Wall zeigt in vielen Aufnahmen prekäre gesellschaftliche Verhältnisse, aber er hält auch seine Beobachtungen der Mittel- und Oberschicht fest. Auf zwei Bildern von 2018 zeigt Wall jeweils einen Mann und eine Frau, die scheinbar teilnahmslos in elegant eingerichteten Wohnzimmern sitzen. Einmal gemeinsam auf einem Sofa – einmal getrennt auf einem Sessel und einer Couch. Trotz ihrer räumlichen Nähe wirken sie distanziert. Die Stille zwischen den beiden ist fast greifbar. Eine verstummte Paarbeziehung. Erst bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die beiden Bilder nicht dieselben Paare zeigen. Schlagartig wird deutlich, wie leicht wir uns von der eleganten Fassade – den Kulissen, der Kleidung und den Frisuren – täuschen lassen. Der vielsagende Titel: „Pair of Interiors“ – Interieur Paar.
Meister der inszenierten Fotografie
Jeff Wall gilt als Meister der inszenierten Fotografie - für seine Bilder baut er - ähnlich wie beim Film - ein ganzes Set auf.
Jede scheinbar zufällig ins Bild verirrte Figur wird einzeln inzensiert, fotografiert und am Ende alles zusammengesetzt – in mühevollster Kleinstarbeit. Die Bilder stecken voller Zitate aus der Kunstgeschichte – versteckter Symbol- und Handlungsebenen.
Und zugleich habe der Fotokünstler von Anfang an auch dokumentarische Fotografien gemacht, bei denen er keine Veränderung der Motive vorgenommen hat. „Realismus ist, wenn die Kunst noch lebendiger wirkt als das Leben selbst.“, sagt Jeff Wall – seine Faszination für die Fotografie ist ungebrochen.
Die Bilder sind reich an Beobachtungen unterschiedlicher Lebenswelten, jeder kann auf die eine oder andere Weise einen Bezug zu seinem eigenen Leben herstellen – eine Stärke von Walls Bildern, sagt Kurator Martin Schwender.
So sind die Bilder nicht nur Zeugnis einer bestimmten Gegenwart. Sie stellen Fragen zur Zukunft. Eines der jüngsten Werke in der Ausstellung zeigt eine alte Frau in einer Art Bibliothek – sie hält eine löchrige Socke in den Händen und scheint zu überlegen, ob sie sie stopfen soll. Es wirkt, wie eine Art Traumbild – wie gehen wir mit unserem Erbe um – erhalten wir es – oder muss immer etwas Neues kommen? Wieder so ein Bild, das vermutlich auch noch in 40 Jahren funktionieren wird.
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