Ausstellung im Stuttgarter Erinnerungsort „Hotel Silber“

„Gestapo vor Gericht“ – Wie NS-Verbrecher nach dem Krieg freigesprochen wurden

Stand
Autor/in
Silke Arning
Moderatorin Silke Arning

Ermordung, Deportation, Verfolgung, Entrechtung – die Gestapo war in viele NS-Verbrechen verstrickt. Doch die Ermittlung und Verurteilung der Täterinnen und Täter nach dem Krieg verlief weitgehend erfolglos, wie die Ausstellung „Gestapo vor Gericht“ im Stuttgarter Erinnerungsort „Hotel Silber“ zeigt. Die berühmte „Schlussstrichmentalität“, aber auch die Präsenz ehemaliger Nazis in der Justiz der jungen Bundesrepublik, sorgten für ein wenig entschiedenes Vorgehen. Einmal vor Gericht, beriefen sich die Angeklagten zumeist darauf, sie hätten in Notstand gehandelt und wurden freigesprochen.

Urteil des Landgerichts vom Oktober 1952 verhöhnte die NS-Opfer

Das Urteil des Stuttgarter Landgerichts vom Oktober 1952 muss wie Hohn in den Ohren der NS-Opfer geklungen haben. Denn den Angeklagten, Mitarbeitern der Gestapo in Württemberg, wurde höchst richterlich bescheinigt: sie hätten in Notstand gehandelt und seien daher trotz der objektiv begangenen Verbrechen freizusprechen.

Für Kurator Friedemann Rincke vom Erinnerungsort „Hotel Silber“ ein zweifelhaftes Urteil. Die Gestapo-Beamten hätten sich darauf berufen:, um Leib und Leben fürchten müssen, wenn sie den Anweisungen nicht gefolgt wären. Bedauerlicherweise habe das Stuttgarter Schwurgericht das einfach ohne Beweisaufnahme akzeptiert.

Stuttgarter Erinnerungsort „Hotel Silber“:

Enge Zusammenarbeit der Behörden verhinderte Verurteilung

Angeklagt waren damals mehrere Gestapo-Beamte, die für die Deportation tausender Menschen verantwortlich gemacht wurden. „Beihilfe zur schweren Freiheitsberaubung“ lautete der Tatvorwurf.

Dass es zu keiner Verurteilung kam, erklärt Friedemann Rincke auch mit der engen Zusammenarbeit aller Behörden: „Denn die Deportation sind zentral von der Gestapo organisiert worden, aber unter Beteiligung ganz anderer staatlicher Behörden. Die Landratsämter haben das vor Ort organisiert, das Finanzamt hat das jüdische Vermögen kassiert für den Staat. Das heißt, es sind noch andere beteiligt. Und vielleicht spielte das in den Köpfen eine Rolle: wenn wir hier urteilen, dann haben wir da einen Domino-Effekt.“

Die Ausstellung steckt die Täter von damals „hinter Gitter“

Doch zumindest in der Ausstellung sind die Täter nachträglich noch hinter Gitter gelandet. Ihre steckbriefartigen Kurzbiografien und Fotos sind in einer Art Gitterregal eingebaut, das den gesamten Raum in verschiedene, inhaltliche Bereiche teilt.

Dabei geht es um die ersten frühen Kriegsverbrecherprozesse der Alliierten oder auch um die Gründung der Zentralen Ermittlungsstelle in Ludwigsburg. Etwa 2500 Jüdinnen und Juden wurden von der württembergischen Gestapo in Konzentrations -und Vernichtungslager in die besetzten Ostgebieten deportiert.

SS-Oberscharführer Wilhelm Boger aus Stuttgart folterte in Auschwitz

In Ausschwitz regierte auf besonders brutale Weise der Gestapo-Mitarbeiter und SS-Oberscharführer Wilhelm Boger aus Stuttgart, der im Frankfurter Ausschwitz-Prozess 1965 betonte: „Während der nationalsozialistischen Herrschaft gab es für mich nur den Gesichtspunkt: die gegebenen Befehle des Vorgesetzten auszuführen. Ohne mein Zutun komme ich nach Ausschwitz. Keinen Zweifel will ich offenlassen, dass die verschärften Vernehmungen, wie ich sie befohlen von mir auch ausgeführt wurden. Aber nicht das Auschwitz als grausame Vernichtungsstätte des europäischen Judentums stand im Mittelpunkt meiner Betrachtungen, sondern allein die Bekämpfung der polnischen Widerstandsbewegung und des Bolschewismus.“

Von 7000 Beschäftigten des Reichssicherheitshauptamtes wurden nur sieben verurteilt

7000 Beschäftigte des Reichssicherheitshauptamtes, zu dem SS, Gestapo und Kriminalpolizei zählten, wurden im Auftrag der Berliner Generalstaatsanwaltshaft in den 1960er Jahren durchleuchtet. 3000 davon wurden als verdächtig eingestuft, sieben am Ende verurteilt.

Paula Lutum-Lenger, Direktorin vom Haus der Geschichte baden-Württemberg, sagt zur Bedeutung der Akten der Berliner Generalstaatsanwaltshaft heute:„ Wir als Historiker müssen sagen, dass das für uns heute eine große Quelle ist. Ein enorm wichtiger Quellenbestand. Ob sie über Zwangsarbeit arbeiten, ob man sich mit Konzentrationslagern mit all den Verbrechen des NS-Staates beschäftigt, kann man aus diesen Akten, die dort für die Vorermittlung zusammengetragen wurden, einen enormen Wissenschaftsschatz finden, der uns in der Forschung und in der Kenntnis über diese Zeit sehr viel liefert.“

Hinter der Chiffre „Gestapo“ standen handelnde Menschen

Ein Bestand, der daran erinnert, dass hinter der Chiffre „Gestapo“ aktiv handelnde Menschen standen, die sich entscheiden mussten, ob und wie weit sie mit einem verbrecherischen Staat gemeinsame Sache machen.  An dieser Stelle schlägt die Ausstellung den Bogen in die Gegenwart und man sieht sich mit der Frage konfrontiert: Was bedeutet es, korrekt zu handeln?

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