Seit fünfzig Jahren dreht Woody Allen jedes Jahr einen Film – neben Meisterwerken manchmal auch solide Mittelklasse. An die Intensität seines Hauptwerks reicht auch sein neuer Film „Ein Glücksfall“ nicht heran. Hier treffen sich nach Jahren die Jugendfreunde Fanny und Alain in Paris wieder und beginnen eine Affäre. Als dann jedoch der Ehemann von Fanny – ein dubioser Geschäftsmann – verschwindet, wird der Film zu einer Kriminalgeschichte, der nur ein Glücksfall am Ende zu einem guten Ausgang verhilft.
Zufall oder Schicksal?
Zufall, Schicksal oder göttliche Fügung, vielleicht auch einfach Glück: nach Jahren treffen sich Fanny und Alain in den Straßen von Paris wieder. Die beiden sind zusammen zur Schule gegangen, damals in New York. Inzwischen ist Fanny verheiratet und Alain getrennt.
Lou de Laâge als Fanny und Niels Schneider als Alain wirken von Anfang an wie alte Vertraute. Ihr Haar glänzt im gleichen Goldbraun, sie kommen sich mit der körperlichen Unbefangenheit von Jugendlichen nahe. Alain gesteht Fanny, dass er immer für sie geschwärmt hat. Für ihn ist das Treffen ein Wink des Schicksals. Wenn die beiden in Erinnerungen schwelgen, hüllt Woody Allen sie in das Licht eines goldenen Oktobers.
Dunkle Gerüchte um das Vermögen des Gatten
Ganz anders sieht das in der mondänen Wohnung aus, die Fanny mit ihrem Ehemann Jean bewohnt. Kühle Räume in grau und schwarz. Ein Zimmer ist für Jeans Spielzeug-Eisenbahn reserviert. Melvil Poupaud als Jean wirkt mit seinem stechenden Blick ein bisschen zu zwanghaft, um wirklich charmant zu sein. Und da sind dann auch noch die Gerüchte, die im sogenannten Freundeskreis zirkulieren. Das hindert aber niemanden, mit dem reichen Jean und seiner eleganten Frau das Wochenende auf dem Land zu verbringen, um zur Jagd zu gehen.
Schon in einem seiner frühesten Sketche als Stand up Comedian hat Woody Allen die Geschichte von einer Elchjagd erzählt. Vielleicht schließt sich jetzt mit seinem fünfzigsten Film der Reigen. Viel aufregender als die Jagd findet Fanny allerdings ihre heimlichen Treffen mit Alain in Paris, die Stunden im Park, in den Straßencafés, in der Künstlermansarde. Und dann verschwindet ihr Geliebter auf einmal und die Geschichte wird zur Krimikomödie.
Das Drehbuch entscheidet für oder gegen ein Happy End
Kann man das Leben planen wie eine Spielzeugeisenbahn oder lässt man sich lieber treiben, fragt der heiter verbrämte Film. An die Intensität von Woody Allens Hauptwerk kommt „Ein Glücksfall“ nicht heran. Aber nach einer längeren Durststrecke interessiert sich der Regisseur wieder für seine Figuren, setzt überraschende Nahaufnahmen wie ironische Kommentare und spielt hintergründig mit der Doppelbödigkeit des Kinos, das Illusion als Realität anbietet. Am Ende durchkreuzt pures Glück eine teuflische Intrige. Das ist die Macht des Drehbuchautors. Im Film ist er es, der über das Happy End entscheidet. Ein Glücksfall.
Trailer „Ein Glücksfall“, ab 11.4. im Kino
Aktuell im Kino
Italiens erfolgreichster Film 2023 „Morgen ist auch noch ein Tag“ – Bizarr-komische Tragikomödie von Paola Cortellesi
Das Regiedebüt von Paola Cortellesi ist Italiens meistgesehener Film 2023. Er spielt im Rom der Nachkriegszeit und ist in der Film-Ästhetik des legendären italienischen Autorenkinos gedreht. Cortellesi spielt auch die Hauptrolle, eine Frau zwischen Aufbruch und Tradition in einer Macho-Gesellschaft.
Dramen auf dem Mitttelmeer Der Traum von Europa: Drama „Ich Capitano“ über zwei Teenager auf der Flucht
Zwei Jugendlichen aus dem Senegal, die sich auf den Weg nach Italien machen: Ein Film über das Erwachsenwerden, gedreht für die große Leinwand in den satten Farben eines Western.
Ausgezeichnet mit zwei Oscars Familienidylle am Abgrund der Hölle: Jonathan Glazers Meisterwerk „The Zone of Interest“ mit Sandra Hüller
Das Privatleben von Hedwig Höß und ihrem Mann Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz: Eine schizophrene Familienidylle, nur durch eine Betonmauer getrennt vom Vernichtungslager.