Ein Satz im Schulbuch der Tochter
Auf die Idee zu seinem bekanntesten Roman habe ihn ein einziger Satz in einem Schulbuch seiner Tochter gebracht, erzählte der Schriftsteller James Clavell (1921 – 1994). Dort habe gestanden: „Im Jahr 1600 ging ein Engländer nach Japan und wurde dort ein Samurai.“
1975 erschien „Shogun“ und wurde zum Weltbestseller: 15 Millionen Bücher verkauften sich bis 1990. Zur anhaltenden Popularität trug nicht zuletzt auch ein Fernsehmehrteiler nach Clavells Roman bei, mit Richard Chamberlain und Kurosawa-Schauspieler Toshiro Mifune in den Hauptrollen.
Jetzt wurde der Roman neu verfilmt, wieder als Miniserie. Seit 27. Februar sind die ersten Folgen auf Disney+ zum Streaming verfügbar, weitere Folgen werden wöchentlich veröffentlicht. Die Hauptrollen übernehmen der britische Schauspieler Cosmo Jarvis als Seefahrer John Blackthorne und der Japaner Hiroyuki Sanada als Fürst Toranaga.
Clavells Roman „Shogun“, neu verfilmt auf Disney+
Ein Schiffsbauer aus Gillingham
Der Engländer, von dem Clavell im Schulbuch seiner Tochter gelesen hatte und der zum Vorbild für seinen Romanhelden John Blackthorne wurde, war der Schiffsbauer und Seefahrer William Adams.
Adams wurde 1564 in Gillingham geboren, einer Kleinstadt etwa 50 Kilometer östlich von London in der Grafschaft Kent, wo der Fluss Medway und die Themse in die Nordsee münden. Mit 12 Jahren verliert Williams seinen Vater und tritt in der Folge als Lehrling in die Dienste eines Werftbesitzers bei London. Dort erhält er eine Ausbildung in Schiffsbau, Navigation und Astronomie.
Mit 24 Jahren tritt Williams der Royal Navy bei, wo er das Kommando über die „Richard Duffield“, ein Versorgungsschiff, erhält. In der Schlacht bei Gravelines 1588, in der die britische Marine unter Francis Drake die spanische Armada besiegt, sorgen Adams und seine Schiffscrew für den Nachschub an der Frontlinie.
Eine Handelsmission verschlägt Adams nach Japan
Zehn Jahre segelt Adams als Navigator auf Handelsschiffen zwischen England und Nordafrika. Er heiratet und wird Vater zweier Kinder. Dann erhält er im Jahr 1598 den Auftrag, als Hauptnavigator einer fünfschiffigen Rotterdamer Handelsflotte nach Ostindien, heute Indonesien, zu segeln.
Die Flotte sticht am 24. Juni 1598 in See. Die Route soll über die Kapverden und Guinea nach Südamerika, durch die Magellanstraße Richtung Asien führen. Doch die Reise gestaltet sich schwierig. Immer wieder kommt es zu Kämpfen mit Einheimischen, die Besatzung leidet unter schlechten Wetterbedingungen, Versorgungsengpässen und Krankheit.
Nur eins der fünf Schiffe erreicht sein Ziel. Von den anderen Schiffen sinkt eines, zwei fallen in die Hände der Spanier und Portugiesen. Die „Liefde“, auf der William Adams zuletzt das Kommando hat, landet im April 1600 vor der japanischen Insel Kyushu.
Gestrandet im isolierten Kaiserreich
Japan ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein vom Rest der Welt weitestgehend isolierter Inselstaat. Als einzige westliche Macht befinden sich portugiesische Missionare im Land. Ihnen hat Papst Alexander VI. 1494 im Vertrag von Tordesillas die Vorherrschaft in der Region zugebilligt.
Als die von der Reise geschwächte Besatzung in Kyushu von Bord geht, wird sie vom dortigen Regionalfürsten festgesetzt. Portugiesische Priester, die als Übersetzer vermitteln sollen, bezichtigen die Neuankömmlinge der Piraterie. Das Schiff wird beschlagnahmt und die Besatzung an den Fürstenhof von Osaka geschickt.
Dort sollen sie vor Tokugawa Ieyasu treten, den mächtigsten Mann eines Regentschaftsrates, der die Vormundschaft für den erst siebenjährigen Erben des kürzlich verstorbenen Shogun innehat.
Tokugawa persönlich verhört Adams und zeigt sich beeindruckt von dessen Wissen über Seefahrt, Schiffsbau und Mathematik. Und nicht nur das: Adams informiert Tokugawa über weltpolitische Umstände, die ihm von den Missionaren vorenthalten wurden. Etwa, dass Europa kein unter der katholischen Kirche geeintes Reich ist oder dass der Papst der portugiesischen Krone die Hoheit über die halbe Welt inklusive Japan zugesprochen hat.
Tokugawa Ieyasu greift nach der Macht
Tokugawa nutzt die instabile politische Lage für seine eigenen Machtambitionen. Im Oktober 1600 reißt er nach dem Sieg in der Schlacht von Sekigahara die Herrschaft an sich und lässt sich vom Kaiser zum Shogun und damit zum de-facto-Regenten Japans ausrufen.
Zwischen dem Shogun und dem Schiffbrüchigen entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis. Adams‘ Einblicke in die Gemengelage auf dem europäischen Kontinent sind wertvolle Informationen für Tokugawas Außenpolitik. So wertvoll, dass der Shogun Adams die Rückkehr nach England verbietet.
Adams wird zur wichtigen Figur bei Hofe. Er entwirft und baut für die japanische Flotte die ersten Schiffe nach westlichem Vorbild. Tokugawa setzt ihn auch als Handelsdiplomaten ein. Unter Adams‘ Einfluss knüpft Japan neue Handelsbeziehungen mit den Niederlanden und nach England. Im Auftrag des Shogun reist Adams durch Ostasien, um dort die Handelsbeziehungen zu stärken.
Der europäische Samurai
Tokugawa Ieyasu zeigt sich für William Adams Einsatz erkenntlich. Er schenkt ihm ein Lehen auf der Halbinsel Miura und gestattet ihm das Tragen zweier Schwerter – eine Ehre, die ausschließlich den Samurai vorbehalten ist. Der Engländer führt den ehrenvollen Titel eines Hatamoto, eines Beraters und direkten Vasallen des Shogun.
Schließlich lässt Tokugawa William Adams offiziell für tot erklären und unter dem japanischen Namen Miura Anjin wiederauferstehen. Mit der Todesmeldung wird Adams‘ Frau in England offiziell zur Witwe und Adams selbst zum Japaner. Miura Anjin heiratet Oyuki, die Tochter des Verwalters der Burg Edo, das von Tokugawa zur neuen Hauptstadt auserkoren wird und es bis heute unter dem Namen Tokio bleibt.
Bleibendes Erbe in den Handelsbeziehungen nach Westen
Seine englische Heimat sieht William Adams nie wieder. Als Tokugawa Ieyasu 1616 stirbt, bleibt der Engländer trotzdem eine einflussreiche Person am Hof des Shogun und führt mehrere Expeditionen nach Südostasien durch. Am 16. Mai 1620 stirbt der 55-jährige Adams bei Nagasaki an einer Tropenkrankheit.
Unter Tokugawas Nachfolgern schottet sich Japan vor dem Einfluss ausländischer Mächte hermetisch ab. Die Handelsbeziehungen zur niederländischen Ostindien-Compagnie, die William Adams aufgebaut hatte, blieben jedoch auf einer kleinen Insel im Hafen von Nagasaki bestehen – als einziger Kontakt zum Westen bis ins 19. Jahrhundert.