Film über jüdische Denunziantin Stella Goldschlag

Täterin und Opfer: „Stella. Ein Leben“ mit Paula Beer

Stand
Autor/in
Julia Haungs
Julia Haungs, Autorin  und Redakteurin, SWR Kultur

Die Jüdin Stella Goldschlag spürte ab 1943 als sogenannte Greiferin hunderte untergetauchter Juden und Jüdinnen auf und lieferte sie der Gestapo aus. In „Stella. Ein Leben“ erzählt Regisseur Kilian Riedhof („Meinen Hass bekommt ihr nicht“) ihre Geschichte. Ein heikles Unterfangen, das nicht wirklich gelingt.

Stella erkennt die tödliche Gefahr zu spät

Stella Goldschlag sprüht vor Lebensenergie: Die auffallend schöne junge Frau ist der strahlende Mittelpunkt einer Swingband im Berlin der 40er-Jahre. Blond und blauäugig wie sie ist, käme niemand auf die Idee, dass Stella Jüdin ist. Vermutlich deshalb verkennt die 18-Jährige die tödliche Gefahr, in der sie selbst sich genauso befindet wie ihre Freunde und ihre Eltern. Verzweifelt versucht ihr Vater, Visa für die USA zu bekommen.

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Berlin, August 1940. Die 18-jährige Stella Goldschlag (Paula Beer) lebt mit ihren Freunden für den Jazz. Bild in Detailansicht öffnen
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Toni und Gerd Goldschlag (Lukas Miko und Katja Riemann, Bildmitte) sind stolz auf ihre Tochter Stella. Bild in Detailansicht öffnen
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Sie träumt von einer Karriere als Sängerin in New York. Der Stadt, in der die Musik von Cole Porter und Louis Prima zu Hause ist. Bild in Detailansicht öffnen
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Sie sehnt sich danach, dem Krieg und den Gefahren in Deutschland zu entkommen. Als Tochter jüdischer Eltern ein Traum, der wenig Chancen hat, wahr zu werden. Bild in Detailansicht öffnen
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Drei Jahre später sind alle Hoffnungen, alle Bemühungen der Eltern um eine gemeinsame Auswanderung in die USA dem verzweifelten Kampf ums Überleben gewichen. Bild in Detailansicht öffnen
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Stella und ihre Mutter Toni Goldschlag (Katja Riemann) müssen Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten. Bild in Detailansicht öffnen
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Stelas Eltern droht die Deportation, Stella (Paula Beer) weiß, dass sie ihre Eltern Toni (Katja Riemann) und Gerd (Lukas Miko) wahrscheinlich nicht wieder sehen wird. Bild in Detailansicht öffnen
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Bei dem Versuch, an Lebensmittelkarten zu kommen, lernt Stella den jüdischen Passfälscher Rolf (Jannis Niewöhner) kennen und verliebt sich in ihn. Bild in Detailansicht öffnen
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Um sich und ihre Eltern zu retten, beginnt Stella (Paula Beer) für die Gestapo zu arbeiten. Bild in Detailansicht öffnen
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„Stella“ ist inspiriert von einer wahren Lebensgeschichte und erzählt die erschütternde Geschichte einer jungen Frau, die – konfrontiert mit dem brutalen System eines Verbrechensstaates – keinen anderen Ausweg findet, als andere und damit auch sich selbst zu verraten. Sie wird Opfer und Täterin zugleich Bild in Detailansicht öffnen

Nervenkitzel im Untergrund

Statt in die USA geht es für die Familie zur Zwangsarbeit in eine Waffenfabrik. Als Stella den jüdischen Passfälscher Rolf kennenlernt, taucht sie mit ihm ab. Trotz der ständigen Gefahr, die das Leben im Untergrund mit sich bringt, genießt Stella ihre Freiheit, den Nervenkitzel und das Gefühl, dem NS-Staat immer wieder ein Schnippchen zu schlagen. Regisseur und Co-Drehbuchautor Kilian Riedhof schildert Stellas Leben bis zu ihrer endgültigen Verhaftung 1943 sehr ausführlich. Vermutlich, um Verständnis aufzubauen für die monströse Entscheidung, die Stella treffen muss.

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Um sich und ihre Eltern zu retten, beginnt Stella (Paula Beer) für die Gestapo zu arbeiten.

Die historische Stella Goldschlag verriet mehrere hundert Menschen

Um diese genauer zu erkunden, fehlt dann im zweiten Teil allerdings die Zeit oder der Wille. Damit sie und ihre Eltern nicht ins KZ müssen, stellt sich Stella in den Dienst der Gestapo. Als sogenannte Greiferin spürt sie untergetauchte Juden und Jüdinnen auf. Mehrere hundert Menschen hat die historische Stella Goldschlag auf diese Weise der Ermordung preisgegeben. Paula Beer spielt sie mit einer stählernen Härte, die nur wenig Raum für Zweifel, Reue oder Mitleid lässt. Selbst ihren Freunden gegenüber.

Heikles Thema: Juden und Jüdinnen als Täter

Geschichten von Juden und Jüdinnen, die selbst zu Tätern wurden, sind ein extrem heikles Thema. Gerade für einen deutschen Regisseur ist die Gefahr groß, dass das Ganze zu einer Entlastungserzählung verkommt. In der Gerichtsszene am Ende zeigt sich die moralische Unmöglichkeit einer Situation, in der Deutsche über eine Jüdin richten, die, um der Opferrolle zu entkommen, zur Täterin wird.

Kilian Riedhof ist sich dieser Gratwanderung bewusst und riskiert entsprechend wenig Ambivalenz. So deutet er die spätere Entwicklung Stella Goldschlags, die zum Christentum konvertierte und zur Antisemitin wurde, auch nur sehr dezent an.

Der Abspann buchstabiert die Botschaft des Films

Im Abspann buchstabiert er zur Sicherheit noch einmal die Botschaft seines Films aus: dass Stella Goldschlag Opfer und Täterin zugleich war. Einer tieferen Auseinandersetzung mit ihr und ihren Motiven geht der Film aber aus dem Weg.

Die Frage, warum die Nationalsozialsten eigentlich ihre Opfer – zum Beispiel als KZ-Kapos oder eben als Fahnderinnen – zu Mittätern machten, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, warum es für Deutsche offenbar immer wieder ein Bedürfnis ist, von jüdischer Schuld zu erzählen.

 Trailer „Stella. Ein Leben“, ab 25.1. im Kino

STELLA. EIN LEBEN. - Trailer - Ab 25. Januar 2024 nur im Kino.

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