Kulturmoment des Jahres

Emilia Pérez: Mehr Spektakel geht nicht

Stand
Autor/in
Pia Masurczak

Ein Musical über einen Drogenboss und weibliche Identität: Jacques Audiard hat mit "Emilia Pérez" mindestens drei Filme in einem gemacht. Und es ist diese wilde Mischung, die für SWR Kultur-Redakteurin Pia Masurczak den Gewinnerfilm von Cannes zu ihrem Kulturmoment des Jahres macht.

Verwirren und Überraschen: Eine Story voller Wendungen

„Emilia Pérez“ hat ohne Frage zu viel von allem: zu viele Plot-Twists, zu viele Themen, vielleicht auch zu viele Klischees über Mexiko. Die Story ist rasant und lässt sich in aller Kürze so zusammenfassen: Der gefürchtete Drogenboss Manitas will endlich als Frau leben und wird zu Emilia Pérez. Die Anwältin Rita soll gegen viel Geld die Operationen und ein neues Leben organisieren.

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Doch Jahre später vermisst Emilia ihre Kinder, kehrt zurück und lebt schließlich mit Ehefrau Jessi und den Söhnen, die sie für eine Tante halten, wieder in Mexiko. Dort beginnt sie, ihre Vergangenheit zu bereuen, und gründet eine Organisation, die nach Verschwundenen sucht. Doch ihre gewalttätige Vergangenheit lässt sie nicht los.

Ach ja, das Ganze ist ein Musical. Eine Freundin hatte den Film ausgesucht, und ohne Erwartungen fand ich mich in einem Kinoerlebnis wieder, das mich überraschte und überwältigte.

Klischees bedienen und trotzdem fesseln

Zugegeben, man muss sich auf diese wilde Story einlassen wollen. „Emilia Pérez“ bedient viele bekannte Bilder: Drogenkriminalität, Bandenkriege, verscharrte Leichen und trauernde Hinterbliebene prägen die Erzählung. Doch trotz dieser Klischees hat mich der Film gepackt. 130 Minuten lang starrte ich gebannt auf die Leinwand, weil es so viel zu sehen gab – so viele Wendungen, so viele extreme Charaktere. Es ist ein Spektakel, das mit seinen Übertreibungen dennoch tiefer geht, als es auf den ersten Blick scheint.

Fragen stellen und Abgründe aufdecken

Hinter dem grellen Musical-Glanz liegt ein harter Kern. Es geht um Identität, um das Ringen mit der eigenen Vergangenheit. Kann Emilia Pérez ihre Geschichte hinter sich lassen, indem sie äußerlich eine andere wird? Ihre Verwandlung zu einer Frau schafft einen neuen Anfang, doch die Gewalt und Schuld bleiben präsent. Diese Spannung zieht sich durch den Film und erzeugt eine düstere Atmosphäre, die mich beinahe wie in einem Horrorfilm tief in den Sessel drückte.

Singen und verstören: Die Rolle der Musik

Die Musik in „Emilia Pérez“ polarisiert – sie ist schräg, bissig und gleichzeitig großartig. Besonders beeindruckend fand ich eine Szene, in der Rita bei einer Spendengala für Emilias Menschenrechtsverein singt. Voller Sarkasmus entlarvt sie die Spender als korrupt und selbst mörderisch.

Hier wirkt die Musik wie ein Verfremdungseffekt im Brecht’schen Sinne: Sie zwingt dazu, hinter die glänzende Fassade des Spektakels zu blicken. Rita bricht nicht nur die scheinbare Zivilität des Gala-Publikums, sondern stellt auch meine eigene Zuschauerrolle infrage. Plötzlich fühlte sich der Kinosessel unbequem an – und genau das machte den Reiz aus.

Begeistern und nachdenklich machen: Ein Film, der bleibt

„Emilia Pérez“ ist ein Film, der fordert – überladen, wild und oft absurd, aber gleichzeitig tiefgründig und berührend. Er wagt es, große Themen anzusprechen: Identität, Schuld, Gewalt und Vergebung. Trotz oder gerade wegen seiner Übertreibungen regt der Film zum Nachdenken an. Viel mehr kann man von einem Kinoerlebnis nicht verlangen.

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