Mit ihren Leaks erweisen Whistleblower der Öffentlichkeit einen großen Dienst und werden mit maximaler Härte bestraft. Reality Lee Winner machte 2017 publik, wie Russland die US-Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen versuchte. In „Reality“ erzählt Tina Satter von der Vernehmung und Verhaftung der Whistleblowerin. Ein beklemmendes Kammerspiel mit einer großartigen Sydney Sweeney.
Filmdialog entstammt dem Mitschnitt des FBI
Reality ist sowohl der Name der Hauptfigur in diesem Film als auch ein Hinweis auf dessen ungewöhnliche Machart. Denn die Dialoge entspringen wortwörtlich der Realität, festgehalten auf einem Mitschnitt des FBI aus dem Juni 2017, als zwei Beamte die Whistleblowerin Reality Lee Winner verhörten und verhafteten.
Zu dem Zeitpunkt arbeitet die 25-Jährige als Übersetzerin für Paschtu und Farsi bei der Nationalen Sicherheitsbehörde der USA, der NSA. In dieser Funktion hat sie Zugang zu vielen Geheimdokumenten. Eines davon beschreibt, wie Russland versucht hat, die US-Wahl 2016 durch das Hacken von Wahl-Software zu beeinflussen. Verbotenerweise gibt sie diesen Bericht an das Nachrichtenportal „The Intercept“ weiter.
FBI-Aktion folgt einer unbekannten Dramaturgie
Als zwei FBI-Beamte vor ihrem Zuhause in Georgia auftauchen, wirkt Reality jedoch zunächst ahnungslos. Von Anfang an scheint der Ablauf der FBI-Aktion einer festgelegten, dem Zuschauer und Reality unbekannten Dramaturgie zu folgen.
Sind es zunächst nur die beiden freundlich wirkenden Männer im Kurzarmhemd, die die junge Frau ein bisschen zu ihrer Arbeit, ihren Haustieren und ihren Hobbys befragen, rauschen bald aus dem Nichts dunkle SUVs heran. Darin ein Trupp FBI-Agenten, die das Haus durchsuchen und das Grundstück mit Tatort-Flatterband absperren.
Sydney Sweeny überzeugt in der Hauptrolle
Reality weiß kaum, wie ihr geschieht. Plötzlich findet sie sich in einem leeren Abstellraum in einer Verhör-Situation wieder. Zunehmend wird sie in die Enge getrieben.
Sydney Sweeny in der Hauptrolle spielt groß auf. Man spürt beinahe körperlich, wie es sich anfühlen muss, wenn ihr klar wird, dass ihr bisheriges Leben vorbei ist. Obwohl die beiden Männer nie die Stimme erheben, vermittelt die Inszenierung von Tina Satter die unterschwellige Bedrohlichkeit der Situation. Vor allem, weil die FBI-Beamten Reality lange im Unklaren darüber lassen, was sie genau wissen.
FBI-Protokolle werden zum beklemmenden True-Crime-Kammerspiel
Der Film „Reality“ basiert auf Satters eigenem Theaterstück „Is This a Room“. Stück und Film konzentrieren sich auf das Vernehmungsprotokoll des FBI. Aus diesem Verwaltungsdokument macht Satter ein beklemmendes True-Crime-Kammerspiel.
Die Regisseurin nutzt die filmischen Mittel in ihrem Leinwand-Debüt geschickt, stellt durch die Kameraperspektive die Machtverhältnisse klar, baut kurze Rückblenden ein und verankert das Geschehen mit Aufnahmen aus dem Instagram-Profil der echten Reality Winner immer wieder in der Wirklichkeit.
Die erste Whistleblowerin der Ära Trump
Zwar entzieht sich der Film einer politischen Bewertung des Whistleblowertums., doch es wird klar, dass Satters Sympathie ihrer Protagonistin gilt – der ersten Whistleblowerin in der Regierungszeit Donald Trumps.
Für ihren Geheimnisverrat wurde sie zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Eine sehr hohe Strafe angesichts der Tatsache, dass sie mit ihrer Enthüllung über Russlands Wahleinmischung der Demokratie einen großen Dienst erwiesen hat.
Es passt, dass der Film nun ausgerechnet zu einem Zeitpunkt ins Kino kommt, da Donald Trump gute Chancen hat, erneut ins Weiße Haus einzuziehen. Es erinnert daran, wie angreifbar die Demokratie nach wie vor ist.
Trailer „Reality“, ab 8.2. im KIno
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