1989 rettet Arielle Disneys Zeichentrickstudio
Dass die Reaktionen auf die Besetzung von Halle Bailey sehr emotional waren, überrascht nicht. „Arielle, die Meerjungfrau“ ist einer der beliebtesten Filme des Studios mit den Mauseohren – und einer seiner wichtigsten: Denn „Arielle“ hauchte der bereits totgesagten Trickfilmsparte neues Leben ein.
Der unerwartete Tod von Walt Disney hatte das Studio Ende der 1960er-Jahre in eine dauerhafte kreative Sinnkrise gestürzt. Nach dem finanziellen Misserfolg von „Taran und der Zauberkessel“, der 1985 einen Verlust von über 20 Millionen Dollar einspielte, stand Disneys Zeichentricksparte Mitte der 1980er-Jahre vor dem Aus.
„Arielle“ war für Disney ein Anachronismus, eine Rückbesinnung auf die klassischen Märchenstoffe, mit denen das Studio groß wurde: „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ hatte Disney 1937 als feste Größe in Hollywood etabliert und „Cinderella“ (1950) nach den schwierigen Kriegsjahren für schwarze Zahlen gesorgt.
Die Handlung in Bildern:
Zentraler Erfolgsfaktor: Die Musik
„Arielle, die Meerjungfrau“ war gleichzeitig auch eine musikalische Revolution: Disney übersetzte erstmals die Erzählweise von handlungsorientierten Musicals ins Kino. Mit Texter Howard Ashman und Komponist Alan Menken verpflichteten die Produzenten zwei Musicalmacher, die kurz zuvor mit „Der kleine Horrorladen“ einen Überraschungshit am Broadway gelandet hatten.
Die Songs des Films sollten die Handlung vorantreiben oder die emotionale Bindung zu den Figuren vertiefen, so der Anspruch. Das Konzept ging auf: „Arielle, die Meerjungfrau“ gewann bei den Oscars 1990 die Trophäen für die beste Filmmusik und den besten Song für „Unten im Meer“. Diesen Erfolg sollte Disney in den folgenden Jahren regelmäßig wiederholen.
Der Film begründete die sogenannte „Disney-Renaissance“: Filme wie „Die Schöne und das Biest“, „Aladdin“, „Der König der Löwen“ und „Mulan“ wurden im Fahrwasser des Erfolges rund um die kleine Meerjungfrau produziert. Davon zehrt Disney bis heute.
Aktualisierung ja, aber nicht zu viele Freiheiten
Angesichts der Beliebtheit des Originals ging man beim Remake in Sachen Kreativteam keine Risiken ein: Regisseur Rob Marshall ist ein anerkannter Spezialist für Filmmusicals. Seinen Durchbruch hatte er 2002 als Regisseur des Oscar-gekrönten Films „Chicago“.
Gemeinsam mit Original-Komponist Menken arbeitete Lin-Manuel Miranda, seit „Hamilton“ der gefragteste Musical-Autor Amerikas, an neuen Songs für den Film. Entstanden sind zwei neue Balladen für Arielle und Prinz Erik sowie eine Rap-Nummer für Arielles tierische Begleiter, die Krabbe Sebastian und den Vogel Scuttle.
Größere Abweichungen vom Original traut sich die neue „Arielle“-Verfilmung allerdings nicht: Figuren wie Meerhexe Ursula und vor allem Erik bekommen zwar etwas mehr Hintergrund und Motivation, die Handlung bleibt im Großen und Ganzen jedoch gleich, in mehreren Szenen sogar bis in den Wortlaut. Auch bei den populären Songs des Originals wurden nur kleinere Passagen textlich dem Zeitgeist angepasst, die Änderungen bleiben dabei aber so minimal, dass sie kaum ins Gewicht fallen.
Halle Bailey trägt den Film auf ihren Schultern
Eine „woke“ Neuausdeutung, wie von vielen gefürchtet und von manchen gehofft, ist das Remake nicht geworden. Dafür bleibt der Film zu brav und zu ehrfürchtig. Eher verstärkt der Film die moderat feministischen Tendenzen, die bereits das Original hatte: Arielle, die neugierige Meerjungfrau, folgt ihrer Sehnsucht nach der Menschenwelt. Wie schon 1989 dient der Prinz dafür nur als ein Katalysator.
Aller Zweifel und allem Hass zum Trotz trägt Hauptdarstellerin Halle Bailey den Film auf ihren Schultern – mit Bravour! Sie hat sowohl die Stimme, um Arielles großer Sehnsuchtsballade „In deiner Welt“ neues Leben einzuhauchen, als auch den Charme, um die Meerjungfrau frisch und lebendig wirken zu lassen.
Mit Sicherheit hat das Remake nicht das Zeug, um den Zeichentrick-Klassiker in der Fan-Gunst abzulösen, aber dennoch ist die neue „Arielle“ eine charmante, bildgewaltige und kurzweilige Neufassung des Unterwasser-Märchens, für jüngere Generationen genauso wie für Disney-Nostalgiker.