Als Kristina den deutlich jüngeren Patrick kennen lernt, glaubt sie, ihren Ex-Geliebten Jakob wiederzuerkennen. Aber der ist schon lange tot. Kann man die Seele eines Verstorbenen in einem anderen Menschen wiederfinden? Dominik Graf hat darüber einen seiner schönsten Filme gemacht, mit einer umwerfenden Verena Altenberger.
Verlust eines geliebten Menschen
Physiotherapeutin Christina hat mit ihren Erinnerungen und Visionen zu kämpfen. Auch 20 Jahre nach dem Tod ihres Geliebten Jakob hat sie diesen Verlust noch nicht verwunden. Sie war damals Teenager, er Ende 30 und verheiratet. Jakob stark auf dem Weg zu ihr starb bei einem Verkehrsunfall. Dann lernt Christina zufällig den 20-jährigen Patrick kennen, in dem sie „ihren“ Jakob wiederzuerkennen glaubt. Und Patrick singt ihr schon nach kurzer Liebeslieder.
Die Amour fou weckt Erinnerungen
Jetzt ist es der junge Mann und die reifere Frau, wenn man so will, eine Amour fou. Gerade für Christina ist sie eine schicksalhafte Verbindung, die viele Erinnerungen weckt und sie verwirrt. In ihrem Kopf verschmelzen beide Männer mehr und mehr zu einer Person, Patrick ist zugleich fasziniert und überfordert.
Ob man dem Gedanken von Seelenwanderung oder schicksalhaften Ereignissen überhaupt etwas abgewinnen kann oder nicht, ist gar nicht so entscheidend. Dominik Grafs Film ist eine intensive Reflexion über die Liebe und den Tod, über Momente des Zusammenseins, die das Gefühlsgedächtnis des Körpers formen und über die Grenzen des Lebens hinaus verbinden.
Zauberhafte Filmmusik und eine Kamera mit Eigenleben
Der Film geht ganz zauberhaft mit Musik um, die Spannung mit Klaviergirlanden oder dissonanten Klängen auflädt und den Eindruck vermittelt, als würde man in Christinas Kopf reinkriechen. Die Kamera scheint dagegen manchmal ein Eigenleben zu führen, fährt an den Gesichtern vorbei, lässt sich inspirieren von Unschärfen, die aus zu großer Nähe entstehen oder von Lichtreflexen, die plötzlich eine Spinne einfangen als Symboltier der fragilen Erinnerung. Dann erlaubt sich Dominik Graf wieder Leerstellen und harte Schnitte, lässt die Story episodisch dahingleiten.
Grandiose Verena Altenberger in einem der schönsten Filme von Dominik Graf
Das fordert die Zuschauer vielleicht mehr als viele andere Fernsehfilme. Aber „Gesicht der Erinnerung“ nimmt einen auch immer wieder mit und bleibt bis zum bittersüßen Ende sehr überzeugend. Mit poetischer Bildsprache, klasse Dialogen, mit unaufdringlichem Humor und einer umwerfenden Verena Altenberger als Christina, die die Liebe in vielen Facetten verkörpert: schwärmerisch verträumt, gleichzeitig nonchalant geerdet und latent gefährdet.
In den Rückblenden spielt übrigens ihre eigene Schwester Judith die junge Kristina, auch das ist sehr besonders. Der Tod ist ein harter Einschnitt, gleichzeitig fließt von der Energie des Lebens und der Liebe zweier Menschen irgendwo irgendetwas weiter. Aus diesem geheimnisvollen Zwischenraum hat Dominik Graf mit „Gesicht der Erinnerung“ einen seiner schönsten Filme gemacht.
„Gesicht der Erinnerung“ in der ARD Mediathek und am 8.2. im Ersten
Film Ode an die Freundschaft – Das belgische Kinodrama „Close“ von Lukas Dhont
In „Close“ erzählt der belgische Regisseur Lukas Dhont die Geschichte einer innigen Jungs-Freundschaft, die auf schreckliche Weise zerbricht. Ein herzzerreißender Film über die Macht des Anpassungsdrucks in einer Gesellschaft mit normierten Geschlechterbildern. Gerade wurde „Close“ für den Oscar als „bester fremdsprachiger Film“ nominiert.