Deutsche Erstaufführung

Émilie du Châtelet – Oper über eine vergessene Heldin der Wissenschaft in Mainz

Stand
Autor/in
Ursula Böhmer

Mathematikerin, Physikerin, Philosophin, Übersetzerin – Émilie du Châtelet war eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen des 18. Jahrhunderts. Die finnische Komponistin Kaija Saariaho ließ sich von der emanzipierten Ausnahmeerscheinung inspirieren, bevor sie vor einem Jahr an einem Hirntumor starb. Die Oper am Staatstheater Mainz setzt das Stück einfühlsam um.

Emilie - Staatstheater Mainz
Als Aristrokaten-Tochter im Jahr 1706 geboren, wird Émilie von ihrem aufgeschlossenen Vater genauso wie ihre Brüder gefördert und unterstützt. Im Bild: Emilie, gespielt von Julietta Aleksanyan.

1706: Keine gute Zeit für Wissenschaftlerinnen

Leise, verwunschen beginnt die Oper „Emilie“ von Kaija Saariaho. Die Finnin ist eine Meisterin fürs Atmosphärische, lässt in den Streichergruppen feine Klangteppiche weben, auf denen vereinzelt Bläser und Schlagzeuger kleine, helle Farbtupfer setzen.

Ein Cembalo erinnert an barocke Zeiten des Absolutismus: Die Zeit, in die die Aristrokaten-Tochter Émilie 1706 hinein geboren wird. Eigentlich keine Zeit für Frauen, die Wissenschaft betreiben und forschen möchten.

Doch Émilie hat einen aufgeschlossenen Vater, der sie genauso wie ihre Brüder fördert und unterstützt.

Unehelich schwanger mit 42

Émilie heiratet standesgemäß und wird Mutter, hat aber auch eine langjährige Affäre mit dem Philosophen Voltaire, geht schließlich noch eine Liaison mit dem Dichter Jean-François de Saint-Lambert ein – und wird schwanger von ihm.

Mit 42 Jahren ist das damals noch ein hohes Risiko. Genau hier setzt Kaija Saariahos gut einstündige Oper ein: Von Todesahnungen gequält, lässt Émilie ihr Leben Revue passieren, in neun Szenen.

Emilie - Staatstheater Mainz
Von Todesahnungen gequält, lässt Émilie ihr Leben Revue passieren, Im Bild: Alexandra Samouilidou

Die Newton-Übersetzung will sie noch fertigstellen

Von der Liebe ebenso enttäuscht wie von der bigotten Gesellschaft, die über „die Gefallene“ tratscht, sucht Émilie Trost in der Wissenschaft: Vor allem die Übersetzung von Newtons Buch „Philosophicae Naturalis Principia Mathematica“ möchte sie noch fertigstellen.

Sie selbst hat unter anderem über das Feuer geforscht – vergleicht es mit dem Feuer der Liebe. Der „Frucht“ dieser Liebe, die in ihr keimt, rät sie zu einem selbstbestimmten Leben, zu Mut und Leidenschaft.

Emilie - Staatstheater Mainz
Maren Schwier als Émilie

Komponistin Kaija Saariaho setzte sich trotz Diskriminierung durch

Es wundert wenig, dass Kaija Saariaho sich die emanzipierte Wissenschaftlerin Émilie du Châtelet als Heldin für ihre Oper ausgesucht hat. 1952 in Helsinki geboren, wird Saariaho bei ihrer ersten Bewerbung um ein Kompositionsstudium noch abgelehnt – sie werde ja eh bald heiraten, heißt es. 

Mit Mut und Ausdauer setzt sich Saariaho schließlich durch, studiert auch in Freiburg und macht international Karriere. „Emilie“ ist die dritte von insgesamt vier abendfüllenden Opern. Magisch, wenn sie bei Emilies Erinnerung an den Vater oder an Voltaire Stimmverzerrer einsetzt: Die live gesungene Sopranstimme bekommt dadurch ein männliches Double – ein schönes Klangbild für Emilies Selbstgespräche.

Emilie - Staatstheater Mainz
Der Mainzer Regisseur Immo Karaman splittet die Figur in gleich vier Emilies auf: Oben: Julietta Aleksanyan und Alexandra Samouilidou, unten: Bettina Fritsche und Maren Schwier.

Drei Sopranistinnen und eine Schauspielerin teilen sich die Hauptrolle

Kaija Saariaho hat „Emilie“ eigentlich als Monodrama konzipiert. Der Mainzer Regisseur Immo Karaman splittet dagegen die Figur in gleich vier Emilies auf: Drei Sopranistinnen und eine Schauspielerin teilen sich die Rolle.

In opulent geblümten Rokoko-Kleidern stehen sie in vier Kammer-Boxen, die auf der Mainzer Bühne übereinandergestapelt sind: mal geziert, mal frivol mit ihren Reizen spielend, mal überwältigt forschend, mal an der Situation verzweifelnd. 

Kaija Saariaho ist im Juni 2023 gestorben 

Auf den schwarzen Tafel-Wänden der Boxen werden immer mal wieder – von unsichtbarer Hand – Emilies physikalische Formeln aufgezeichnet. Projektionen, hinter denen sie dann zu verschwinden scheint: Emilie im Mathe-Wunderland.

Kaija Saariaho hatte die Idee von der vierfachen Emilie für die Mainzer Aufführung noch abgesegnet, bevor sie im vergangenen Juni starb. 

Hervorragende Sopranistinnen

Eine sehens- und hörenswerte Wahl: Die hervorragenden Sopranistinnen Julietta Aleksanyan, Alexandra Samoulidou und Maren Schwier und die Schauspielerin Bettina Fritsche zeigen Emilie als Frau zwischen glasklarer Vernunft und lebenshungriger Leidenschaft.

Und Generalmusikdirektor Hermann Bäumer setzt Kaija Saariahos mysteriöse Klangwelten mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz einfühlsam in wundersame Töne. Bravi.

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Autor/in
Ursula Böhmer