In Giuseppe Verdis Oper „Il trovatore“ jagt ein musikalischer Hit den anderen. Die Staatsoper Stuttgart hat sie sich in einer Neuproduktion von Regisseur Paul-Georg Drittrich vorgenommen. Dessen Regiekonzept geht zwar nicht auf, dafür punktet der italienische Romantik-Spezialist Antonello Manacorda mit seinem nuancenreichen Dirigat.
Konfuses Verdi-Werk als präsurrealistischer Bilderbogen
Giuseppe Verdis Oper „Il trovatore“ („Der Troubadour“) begleitet das Gerücht, es sei eines der konfusesten Stücke der Operngeschichte. Vertauschte Kinder, Zeit- und Ortssprünge, eine achtteilige Szenenfolge, die kaum eine lineare Geschichte erzählt.
Mit seiner Inszenierung an der Staatsoper Stuttgart scheint Regisseur Paul-Georg Dittrich dem Gerücht in gewisser Hinsicht Nahrung zu geben. Er will die Oper als einen präsurrealistischen Bilderbogen verstehen, der mehr einer Traumlogik folgt.
Zwischen Westernduell und Zombiefilm
In Christof Hetzers sich verjüngendem Bühnenkasten erscheint eine üppige Bilderfolge. Sie wird durch mehr fallende Vorhänge getrennt als in Verdis Szenenfolge vorgesehen ist und durchbricht damit den musikalischen Fluss.
Es beginnt mit faschistischem Kinderdrill auf dem Spielplatz. Die erste Begegnung Manricos mit seinem unerkannten Bruder Luna, die sich um Leonora streiten, gerät zu einem ein Westernduell vor Pferdekadaver. Die Mutterszene der Azucena zum Clownstheater. Leonora will nicht als Nonne ins Kloster gehen, sondern durchstreift als Rotkäppchen einen Wald aufgereihter Jäger im Karoanzug.
Im zweiten Teil folgt der Bürgerkrieg des Stücks als Zombie-Teenager-Horror-Movie. Und am Ende wird alles klar, scheinbar. Alle haben das gleiche Kostüm an wie Graf Luna. Alles ist Luna und wir sitzen im Bühnenkasten seiner bildgewordenen Alpträume.
Hier hat sich der Regisseur verhoben
Es mag sein, dass die szenischen Brüche, diese Ballettsequenzen mit Breakdancern zur explodierenden Musik, dieses Theater mit seinen popkulturellen Anspielungen, den heftigen Schnitten und einer an den Filmen Quentin Tarantinos angelehnten Ästhetik dem Kolportagehaften der Oper entspricht. Der Denkfehler liegt aber im Fokus auf die Figur des Grafen Luna. Denn eigentlich ist nicht er die traumatisierte Zentralfigur.
Azucena ist es, die in Verwirrung das eigene Kind an Stelle des Grafenkindes ins Feuer des Scheiterhaufens geworfen hat, um die Verbrennung der Mutter als Hexe zu rächen, und dennoch das andere Kind als eigenes aufzieht und liebt. Am Ende lässt einen diese Inszenierung bei aller technischen Brillanz ratlos zurück.
Warum folgen wir fast drei Stunden dem Innenleben Lunas, wo doch der ganze Totentanz dieser Oper mit der Figur der Azucena steht und fällt? Hier hat sich einer verhoben und auch zu viel gewollt. Oft ist es schlicht langweilig. Für ein Total-Theater taugt Verdis auf musikalischen Drive gesetzte Oper nur bedingt.
Trotz mangelhaftem Konzept entgeht die Inszenierung gängigen Klischees
Die szenische Dehnung zwingt den Dirigenten Antonello Manacorda zu einer Mittellage des Tempos und macht ihm einen gewissen Strich durch die Zeitrechnung des Komponisten. Aber was er mit dem Staatsorchester an den gemeinhin unterschätzen Nuancen der Instrumentationskunst Verdis herausholt, ist wunderbar: düsteres Holz, strahlende Trompeten und samtige Streicherläufe.
Der ausgewogen balancierten Klang-Palette entsprechen die Sängerinnen und Sänger nur bedingt. Am ehesten die dunkel-mächtig glühende Azucena von Kristina Stanek. Als Manrico strahlt Atalla Ayans Tenorstimme, aber das durchgängig. Mit den Bel-Canto-Feinheiten der Leonora-Partie ist die reife Stimme von Selena Zanetti überfordert. Die akustische Innenwelt des Grafen Luna ist bei Ernesto Petti leider an allzu großes Forcieren geraten, inklusive pauschaler Baritongesten.
Diese machtvolle Behauptung hilft über das konzeptionelle Missverständnis der Regie kaum hinweg. Dennoch ist die Aufführung allen Klischees entronnen, die mit der Erfolgsgeschichte von Verdis düsterer Oper so oft einhergehen. Das ist ihr Surplus, bei zahlreichen Minusstellungen.
Mehr über Giuseppe Verdi
Opernaufführung Oper „Don Carlos” von Giuseppe Verdi am Theater Freiburg
Wenngleich Giuseppe Verdis große Oper “Don Carlos“ mittlerweile zu den beliebtesten Werken des Komponisten gehört, dieses ursprünglich für Paris als „Grande Opéra“ komponierte Geschichtspanorama nach Schillers gleichnamigem Drama ist ein „Work in Progress“ geblieben, das mehrfach über- und bearbeitet wurde. Das Theater Freiburg hat sich in diesem Sinne ebenfalls an eine neue Version der vieraktigen italienischen Fassung mit ergänzenden Texten des österreichischen Dramatikers Thomas Köck in der Regie von Michael von zur Mühlen und der musikalischen Leitung von André de Ridder gewagt.
Oper Opernredakteur Bernd Künzig über die „Simon Boccanegra“-Premiere in Zürich
Am Wochenende hat am Opernhaus Zürich eine Neuproduktion von Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“ Premiere gefeiert. In der Inszenierung von Andreas Homoki gab der Bariton Christian Gerhaher sein Rollendebüt, Fabio Luisi dirigiert seine letzte Verdi-Produktion als Zürcher Generalmusikdirektor. SWR2-Opernredakteur Bernd Künzig schildert seine Eindrücke der Premiere, die unter Corona-Sicherheitsvorkehrungen stattgefunden hat und vom SWR in Koproduktion mit ARTE mitgeschnitten worden ist.
Abendkonzert Das Verdi-Requiem mit dem Bachchor Mainz und der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
Es ist ein gewaltiges Werk. Seine Dimensionen sind so enorm wie seine Besetzung: Die Messa da Requiem von Giuseppe Verdi - eine Komposition, die eine machtvolle Wirkung auf das Publikum ausübt. Der Bachchor Mainz und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz brachten dieses "musikalische Gebet" in der Christuskirche in Mainz zur Aufführung.