Unverständnis: Sind die Strafen deutscher Gerichte zu mild?
Ein Vergewaltiger kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Ein Raser, der einen Unfall mit Todesfolge verursacht, Fahrerflucht begeht und vor Gericht keine Reue zeigt, bekommt lediglich eine geringe Haftstrafe. Solche oder ähnliche Meldungen sorgen immer wieder für Unverständnis und Diskussionen über unser Strafrecht.
Fall der getöteten Luise: Kinder und Strafrecht
Ein zwölfjähriges Mädchen wird erstochen aufgefunden. Tatverdächtig: zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren. Laut Polizei (Stand: 15.3.2023) haben sie die Tat auch gestanden, sind aber vor dem Gesetz immer noch "mutmaßliche Täterinnen". Mit diesem Fall kommt erneut die Frage auf, warum in Deutschland Kinder unter 14 Jahre vor dem Gesetz nicht strafmündig sind.
Getötete Luise - wie Experten den Fall einordnen
Die Rechtslage in Deutschland ist eindeutig: Die Staatsanwaltschaft kann keine Anklage erheben und übliche Strafen entfallen. Stattdessen sind Familiengerichte und Jugendämter zuständig. Diese können gegebenenfalls Maßnahmen zur Erziehungshilfe anordnen. Auch eine Unterbringung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie ist möglich.
Ja, sagt Elisa Hoven weiter, das Gesetz sei alt, man müsse es im Lichte neuer psychologischer Erkenntnisse sicher neu evaluieren - andere Länder haben da durchaus auch andere Altersgrenzen für die Strafmündigkeit.
Zweifel und Kritik an der deutschen Rechtsprechung
Einer jährlichen Umfrage eines bekannten Rechtsschutz-Versicherers zufolge halten knapp 54 Prozent der Bevölkerung in Deutschland die Verurteilungen für "zu mild". Auch das Vertrauen in die Gerichte hat demnach gelitten: Knapp 70 Prozent vertrauen der Justiz zwar grundsätzlich, halten die Gerichte in Deutschland aber für überfordert.
Was sind die Stärken unseres Justiz- und Rechtssystems?
Elisa Hoven ist Professorin für Strafrecht, Direktorin des Instituts für Medienrecht an der Universität Leipzig und Richterin am sächsischen Verfassungsgericht. Sie befasst sich immer wieder mit spektakulären und prominenten Rechtsfällen, die unser Gerechtigkeitsempfinden herausfordern. Als gefragte Expertin in den Medien erklärt Elisa Hoven, warum unser Rechtssystem so ist, wie es ist.
Unter ihrer Anleitung entsteht an der Universität Leipzig auch der Podcast „Jetzt erst Recht”. Dort greifen ihre Student:innen aktuelle und spannende Themen rund um Strafrecht und Kriminalpolitik auf - zu Wort kommen Expert:innen aus Justiz, Medien, Medizin und Wirtschaft.
Gibt es einen Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit?
Im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit hat sich Elisa Hoven auch schon mit Tierrechten und Tierwohl beschäftigt: Sie wirkte an einer aufwändigen Studie zu Ermittlungsverfahren gegen 150 Tierquäler:innen mit, von denen gerade einmal 11 vor Gericht kamen.
Psychologe Prof. Mario Gollwitzer | 25.2.2022 Strafe, Rache, Vergeltung - ist das gerecht?
Was ist gerecht, was ungerecht? Was akzeptieren wir, wogegen rebellieren wir? Mit diesen Fragen - in Corona-Zeiten hochaktuell - beschäftigt sich Mario Gollwitzer.
In SWR1 Leute besprechen wir mit Elisa Hoven, wo Recht und Gerechtigkeit in Konflikt treten und wo aber auch die Stärken unseres Rechtssystems liegen.