Statistik, Motive, Konsequenzen

Getötete Luise - wie Experten den Fall einordnen

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Kinder, Totschlag, Mord - diese Begriffe kann man im Kopf kaum zusammenbringen. Es türmt sich ein Fragenberg auf, zum Beispiel zu Motiv oder Konsequenzen wie jetzt im Fall Luise. Was sagen Experten?

Fassungslosigkeit hat sich auch in Rheinland-Pfalz angesichts des Gewaltverbrechens an Luise aus Freudenberg (NRW) breitgemacht. Die Zwölfjährige wurde am vergangenen Sonntag tot im Kreis Altenkirchen gefunden. Tatverdächtig sind laut Staatsanwaltschaft zwei minderjährige Mädchen.

Freudenberg

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Am Nachmittag SWR4 Rheinland-Pfalz

Experten aus den Fachbereichen Psychologie, Kriminologie und Rechtswissenschaften versuchen, Sachverhalte einzuordnen und Antworten zu finden.

Ist die Zahl der schweren Straftaten von Minderjährigen gestiegen?
Wo befinden sich die tatverdächtigen Kinder derzeit?
Ist die aktuelle Altersgrenze für Strafmündigkeit nicht mehr zeitgemäß?
Strafunmündig heißt nicht ohne Konsequenz - welche Maßnahmen sind denkbar?
Was passiert in Erziehungsheimen?
Welche Motive können Kinder für ein schweres Verbrechen haben?
Was bringt Kinder dazu, so eine Tat zu begehen?

Ist die Zahl der schweren Straftaten von Minderjährigen gestiegen?

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von NRW, sagte in Reaktion auf die Tat, dass es seit Jahren einen beunruhigenden Anstieg von Straftaten auch durch Kinder unter 14 Jahren gebe. Julia Biastoch, Juristin für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Göttingen, sagt hingegen: "Die Kriminalität in dieser Altersklasse ist eher leicht und keinesfalls dramatisch angestiegen. Bundesweit stünden 19 Fälle von Tötungsdelikten mit Tatverdächtigen unter 14 Jahren in der polizeilichen Kriminalstatistik für 2021. "Schwere Straftaten kommen extrem selten vor - und deshalb erschüttern sie die Gesellschaft auch so sehr", sagt Biastoch.

Für Rheinland-Pfalz findet sich in den entsprechenden Statistiken für 2022 eine "Straftat gegen das Leben" in der Altersklasse 12-14. Ein Jahr zuvor waren es zwei Straftaten in dieser Alterklasse.

Wo befinden sich die tatverdächtigen Kinder derzeit?

Untersuchungshaft oder ähnliches ist aufgrund der Strafunmündigkeit nicht vorgesehen. Die beiden Mädchen leben nach Angaben der zuständigen Behörden im Kreis Siegen-Wittgenstein vorerst nicht mehr bei den Eltern. Sie seien außerhalb des häuslichen Umfelds untergebracht. Kontakt bestehe allerdings weiter zwischen Eltern und Kindern. Weitere Angaben werden zum Schutz der Persönlichkeitsrechte nicht gemacht.

Ist die aktuelle Altersgrenze für Strafmündigkeit nicht mehr zeitgemäß?

Die Altersgrenze für die Strafmündigkeit liegt bei 14 Jahren. Eine strafrechtliche Verfolgung ist daher ausgeschlossen. Infolge dessen wurden schnell Rufe nach einem Absenken der Altersgrenze für die Strafmündigkeit laut. Kriminalpsychologe Rudolf Egg, langjähriger Direktor der Kriminologischen Zentralstelle des Bundes und der Länder, stellt im SWR-Interview die Gegenfrage: "Würden Sie ein zehnjähriges Kind ins Gefängnis stecken wollen?" Nichtsdestotrotz müsse man eine Antwort auf die Frage finden, wie man mit diesen Kindern umgeht.

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Strafunmündig heißt nicht ohne Konsequenz - welche Maßnahmen sind denkbar?

Denkbare Maßnahmen sind nach Meinung von Juristin Biastoch Erziehungshilfen unter Aufsicht des Jugendamtes oder auch eine Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie oder in einem Erziehungsheim. Bei schweren psychischen Auffälligkeiten sei auch die Unterbringung in einer Kinder- oder Jugendpsychiatrie möglich.

Was passiert in Erziehungsheimen?

Julia Biastoch erklärt, dass es dort nicht um eine Bestrafung gehe. Der Ansatz sei, Defizite in der Entwicklung und Erziehung aufzudecken und diesen entgegenzutreten. Dabei stünden pädagogische und therapeutische Maßnahmen im Fokus.

Welche Motive können Kinder für ein schweres Verbrechen haben?

Kriminologe Christian Pfeiffer lässt im Gespräch mit dem SWR keinen Zweifel daran, dass extreme Gefühlsebenen keine Erwachsenenangelegenheit sind: "Auch Kinder im Alter von 12, 13 können unglaublich stark, sie völlig überwältigende Hassgefühle, Wutgefühle entwickeln."

Biastoch weist darauf hin, dass Kinder in ihrer geistigen Entwicklung und emotionalen Steuerungsfähigkeit einem Erwachsenen nicht gleichstünden. Bestimmte kindliche Verhaltensweisen könnten für Erwachsene daher schwer nachvollziehbar sein und in einem Fall wie diesem kaum zu begreifen.

Zu einem kindlichen Mörder oder einer Totschlägerin wird man nicht geboren, dazu wird man gemacht.

Einen Unterschied zwischen kindlichen Motiven und denen eines Erwachsenen sieht Kriminalpsychologe Egg. Bei letzteren gehe es oft um die Themen Geld, Liebe, Sexualität. Bei Kindern, so Egg, drehten sich die Dinge um Konflikte auf dem Schulhof und Streitigkeiten, die das Alter mit sich bringen.

Was bringt Kinder dazu, so eine Tat zu begehen?

Egg sagt dazu: "Es muss eine Erklärung geben, aber wahrscheinlich gibt es nicht nur ein einziges Motiv." Es sei davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Dingen zusammenkomme - die einfache stromlinienförmige Erklärung sei nicht zu erwarten. Er betont weiter: "Dass es so extrem wurde, ist zwar etwas Seltenes, aber leider etwas, was doch vorkommen kann."

Sein Kollege Pfeiffer stellt klar: "Zu einem kindlichen Mörder oder einer Totschlägerin wird man nicht geboren, dazu wird man gemacht." Es müsse aufgeklärt werden, was in den beiden Familien abgelaufen ist. Wer liebevoll, gewaltfrei erzogen werde, der sei gefeit davor, eine solche Tat zu begehen. "Wer aber sehr viel Frust angehäuft hat, Ohmachtgefühle erlebt hat, selber gelitten hat unter schlimmen Erfahrungen, der ist eher instabil und dann auch eher überwältigt von Wut."

Pfeiffer stellt klar, dass Wut zum Menschen dazu gehöre. Aber wenn Wut zur Tötung des Gegenübers führe, dann "gehört da schon noch etwas anderes dazu". Das zu klären sei wichtig, damit das Jugendamt die richtigen Entscheidungshilfen bekomme, was mit den beiden tatverdächtigen Kindern geschieht.

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