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Rechtsterrorismus in Deutschland – Von der Nachkriegszeit bis heute

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Autor/in
Rainer Volk
Rainer Volk
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Anton Benz
Candy Sauer

Am Jahrestag des rechtsextremen Anschlags in Hanau mit neun Opfern fragen viele, ob Staat und Gesellschaft Nazi-Terror lange verharmlost haben. Ein Blick in die Geschichte Deutschlands zeigt: ja.

Der Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 gehört zu einer Reihe von Neonazi-Anschlägen in Deutschland, darunter der Anschlag in Halle, der Mord an Walter Lübcke, der NSU-Terror und das Attentat auf das Oktoberfest 1980.

Die Forschung versucht erst seit Kurzem aufzuklären, wie viele rechtsterroristische Gewalttaten seit den 1950er-Jahren verübt wurden, ob dahinter wirklich nur Einzeltäter stecken oder ob es doch ein strukturelles Problem gibt. Starben Menschen, weil der Staat auf dem rechten Auge blind ist?

Braune Netzwerke nach 1945

Die ersten Anschlagspläne brauner Netzwerke haben nach 1945 Einrichtungen der alliierten Sieger in Deutschland gegolten – zum Beispiel dem Alliierten Militärtribunal in Nürnberg. Steffen Liebscher ist Kurator am "Memorium Nürnberger Prozesse". In einer Ausstellung zum Rechtsterrorismus seit 1945 zeigt er: Aufarbeitung des NS-Terrors und Demokratie sind von Anfang an eines der wichtigsten Motive für rechte Gewalt:

Direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich der Rechtsterrorismus gegen den demokratischen Staat gewendet, gegen Menschen gewendet, die an der Aufarbeitung der NS-Verbrechen maßgeblich beteiligt waren. Das ist etwas, was Rechtsterroristen nicht anerkennen wollten: Dass es ein anderes Deutschland gibt, das sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit insofern auseinandersetzt, dass die Verbrechen der Deutschen vor Gericht gebracht werden.           

Archivradio-Gespräch Nürnberger Kriegsverbrecherprozess

Von November 1945 bis Oktober 1946 saßen die führenden Nationalsozialisten auf der Anklagebank des Internationalen Militärgerichtshofs, den die Alliierten eingerichtet hatten.

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1950er-Jahre: Antikommunismus und Rechtsextremismus im Kalten Krieg

1950 wurde der Bund Deutscher Jugend (BDJ) gegründet. Offiziell organisierte der BDJ Jugendfreizeiten und engagierte sich öffentlich gegen den Kommunismus. Er wurde auf Initiative der CIA gegründet und wurde hauptsächlich von amerikanischen Institutionen finanziert. Dadurch sollten milizartige Strukturen geschaffen werden, die sich gegen eine Invasion der Sowjetunion wehren konnten.

Eine Tagung des Bund Deutscher Jugend (BDJ) 1953. Stehend zu sehen ist Paul Lüth (1921-1986), Gründer und Anführer des BDJ.
Eine Tagung des Bund Deutscher Jugend (BDJ) 1953. Stehend zu sehen ist Paul Lüth (1921-1986), Gründer und Anführer des BDJ.

In enger Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Geheimdienst wurden Mitglieder des BDJ militärisch ausgebildet. Außerdem führte der "Technische Dienst" des BDJ eine "schwarze Liste" mit Menschen, die im Fall einer sowjetischen Invasion "kaltgestellt" werden sollten.

Den USA war dabei egal, dass innerhalb des BDJ offen rechtsextremes und antisemitisches Gedankengut propagiert wurde. Für sie war der Kalte Krieg gegen Moskau wichtiger als die Gefahr durch militante Neonazis in Deutschland. Auch in Teilen der Bundespolitik wurde die vom BDJ ausgehende Gefahr ignoriert. Beim BDJ-Pfingsttreffen 1952 traten sowohl Bundestagsabgeordnete der CDU als auch der FDP auf.

1960er-Jahre: Verharmlosung antisemitischer Verbrechen

In den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren gab es eindeutige Hinweise auf organisierte antisemitische Aktivitäten in der Bundesrepublik. Eine Welle von Schmierereien, unter anderem an Synagogen, sorgte zwar für Empörung, eine wirkliche Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus fand aber nicht statt.

Rudi Dutschke auf dem Vietnamkongress am 17. Februar 1968. Rudi Dutschke galt als Wortführer der Studierendenbewegung in den 1960er-Jahren. Am 11. April 1968 wurde Rudi Dutschke von einem Neonazi angeschossen. In der Aufarbeitung des Attentats blendeten die Ermittlungsbehörden aus, dass der Täter rechtsextreme Hintermänner hatte, von denen er mit Waffen versorgt wurde und die mit ihm Schießtrainings absolvierten. Rudi Dutschke erlag 11 Jahre später den Spätfolgen des Attentats.
Rudi Dutschke auf dem Vietnamkongress am 17. Februar 1968. Rudi Dutschke galt als Wortführer der Studierendenbewegung in den 1960er-Jahren. Am 11. April 1968 wurde Rudi Dutschke von einem Neonazi angeschossen. In der Aufarbeitung des Attentats blendeten die Ermittlungsbehörden aus, dass der Täter rechtsextreme Hintermänner hatte, von denen er mit Waffen versorgt wurde und die mit ihm Schießtrainings absolvierten. Rudi Dutschke erlag 11 Jahre später den Spätfolgen des Attentats.

Was Menschen drohte, die sich für eine grundlegende Entnazifizierung einsetzten, zeigt das Beispiel Fritz Bauer. Der hessische Generalstaatsanwalt war maßgeblich an der Ergreifung des ehemaligen SS-Funktionärs Adolf Eichmann beteiligt. Darüber hinaus initiierte er den ersten Auschwitzprozess in Deutschland.

Die Historikerin Barbara Manthe erklärt, wie gefährlich sein Engagement für Fritz Bauer war:

Der stand bei einigen der rechtsterroristischen Gruppen als Ziel auf ihrem Plan. Also sie wollten ihn umbringen – oder entführen.

1970er-Jahre: regelmäßige rechtsterroristische Anschläge

1970 gründete sich die rechtsextreme Organisation „Aktion Widerstand“. An deren erstem Kongress nehmen 3.000 Besucher teil. Binnen eins Jahrs spalteten sich einzelne Gruppen ab, die im Laufe der 1970er-Jahre zahlreiche rechtsterroristische Anschläge planten und durchführten.

Eine Splittergruppe der "Aktion Widerstand" übte Sprengstoff-Anschläge auf Szenekneipen im Westteil von Berlin aus. Eine Gruppe um einen ehemaligen Polizeischüler schändete jüdische Friedhöfe. Behörden konnten einen Anschlag der "Europäischen Befreiungsfront" und einen Sprengstoffanschlag auf die Synagoge in Hannover verhindern.

Das Terrorjahr 1980

Den vorläufigen Höhepunkt des rechten Terrors bildete das Jahr 1980. Im August verübten sogenannte "Deutsche Aktionsgruppen" Bomben-Anschläge auf Unterkünfte von Menschen mit vietnamesischer Herkunft. Zwei Menschen starben.

Am 26. September zündete ein rechtsextremer Attentäter einen Sprengsatz auf dem Münchner Oktoberfest. 13 Menschen starben. Früh decken Journalisten und Anwälte der über 200 Verletzten auf, dass der Täter zur rechtsextremem "Wehrsportgruppe Hoffmann" gehörte, die 1973 gegründet wurde. Allerdings erkennt der Generalbundesanwalt erst im Sommer 2020 an, dass es sich dabei um einen rechtsterroristischen Anschlag handelte.

Am 19. Dezember werden der jüdische Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Fria Poetschke ermordert. Auch diese Tat begeht ein Mitglied der "Wehrsportgruppe Hoffmann".

1980er-Jahre: Ausländerfeindlichkeit als Motiv rechten Terrors

Laut Rechtsterrorismus-Forscher Gideon Botsch waren bis in die 1980er-Jahre die Verherrlichung des Nationalsozialismus, Antikommunismus und Antisemitismus die Hauptmotivation für rechten Terror. Ab den 1980er-Jahren spielte Rassismus gegen Menschen mit Migrationshintergrund eine immer größere Rolle.

Im Oktober 1981 findet die Polizei ein gewaltiges Arsenal an Waffen, Munition und Sprengstoff. Der Besitzer des Arsenals, Heinz Lembke, war gut mit den Deutschen Aktionsgruppen und der Wehrsportgruppe Hoffmann vernetzt. Vermutlich versorgte Lembke viele Neonazis mit Waffen und Sprengstoff. Die Täter vom Oktoberfestattentat 1980 gaben an, den Sprengstoff von Lembke bezogen zu haben.
Im Oktober 1981 findet die Polizei ein gewaltiges Arsenal an Waffen, Munition und Sprengstoff. Der Besitzer des Arsenals, Heinz Lembke, war gut mit den Deutschen Aktionsgruppen und der Wehrsportgruppe Hoffmann vernetzt. Vermutlich versorgte Lembke viele Neonazis mit Waffen und Sprengstoff. Die Täter vom Oktoberfestattentat 1980 gaben an, den Sprengstoff von Lembke bezogen zu haben.

1990er-Jahre: Rechtsterrorismus nach der Wiedervereinigung

Mit der Deutschen Einheit gilt der Antikommunismus nicht mehr als ideologisches Element des Rechtsterrorismus in Deutschland. Doch personell legt die gewaltbereite rechte Szene durch das Ende der DDR zu. Gideon Botsch zufolge dringen die westdeutschen Wortführer der rechtsterroristischen Szene in die jugendliche Skinhead-Subkultur im Osten ein und stacheln diese zu Gewalt an. Das führt zu einer neuen Welle von rechtem Terror

Im August 1992 werfen über 100 Rechtsextreme Brandsätze auf die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter in Rostock-Lichtenhagen. Im November 1992 zünden Neonazis in Mölln (Schleswig-Holstein) zwei Häuser an, in denen Familien türkischer Herkunft wohnen. Drei Menschen sterben. In Berlin werden 1998 und 2002 Sprengstoffanschläge auf jüdische Friedhöfe verübt. Am Düsseldorfer Bahnhof werden zehn Menschen jüdischen Glaubens zum Teil schwer verletzt, als dort ein Sprengsatz gezündet wurde.

2000er-Jahre: Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)

In den 2000er-Jahren eskaliert der rechte Terror weiter. Zwischen 2000 und 2006 verübt die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund Anschläge auf neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund. 2007 erschießt ein Mitglied des NSU die Polizistin Michèle Kiesewetter, ein weiterer Polizist wird lebensgefährlich verletzt.

Spätestens mit der NSU-Mordserie wird deutlich: Deutsche Rechtsterroristen sind seit Jahren eng vernetzt mit Gruppen im westlichen Ausland, vor allem in Großbritannien und den USA. Und sie haben sich an das dortige Ideologie-Reservoir und Gewalt-Know-how angehängt. Für den Rechtsterrorismus-Forscher Gideon Botsch zeigt die späte Aufklärung der internationalen Vernetzungsstrukturen, dass der organisierte rechte Terror von den Sicherheitsbehörden unterschätzt wurde:

In Deutschland ist man immer davon ausgegangen: Die sind zu blöd dazu, die schaffen das nicht, die reden viel, die haben Gewaltfantasien – aber die setzen nichts davon um.

2019: Mord an Walter Lübcke und Anschlag auf die Synagoge in Halle

Auch nach der Anschlagsserie des NSU nimmt die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten in Deutschland nicht ab. Im Juni 2019 wird der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke Opfer eines rechtsextremistischen Mordes. Am 9. Oktober 2019, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, versucht ein Rechtsextremist, schwer bewaffnet in die Synagoge in Halle einzudringen. Danach ermordet er zwei Menschen in einem Döner-Imbiss.

2020: In Hanau werden aus rassistischen Motiven 9 Menschen getötet

Bei einem Terroranschlag in Hanau am 19. Februar 2020 erschoss der Täter rassistischen Motiven neun Menschen. Danach brachte er seine Mutter um und anschließend sich selbst.

2022: Razzia gegen die sogenannte "Reichsbürger-Szene"

An 7. Dezember 2022 filzten tausende Polizistinnen und Polizisten auf Anordnung des Generalbundesanwalts eine dreistellige Zahl an Wohnungen und Büros in ganz Deutschland. Sie nahmen über 50 Personen aus der rechtsextremen sogenannten "Reichsbürger-Szene" in Gewahrsam. Der Vorwurf: Vorbereitung eines Staatsstreichs:

Als Hauptbeschuldigter gilt ein Adliger: Heinrich der XIII. Prinz Reuß. Der Prinz soll als ein neues Staatsoberhaupt vorgesehen gewesen sein. Eine weitere Person, die ebenfalls zur mutmaßlichen Terror-Zelle gehören soll, ist Birgit Malsack-Winkemann. Sie saß bis zur letzten Legislatur-Periode für die AfD im Bundestag. Auch weitere Personen sollen der Gruppe angehören – darunter mehrere mit militärischem Hintergrund.

Fehlende Aufarbeitung der Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland

Der Blick zurück zeigt: Rechter Terror in Deutschland ist kein neues Phänomen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es organisierte rechtsextreme Gewalt, aus antikommunistischen, antisemitischen und rassistischen Motiven. Die Gruppen waren miteinander und international vernetzt. Lange war dennoch von vereinzelter Gewalt von Allein-Tätern die Rede. Warum wurde der organisierte rechte Terror so lange übersehen?

Neben einer Unterschätzung des Problems trägt dazu laut Gideon Botsch bei, dass sich das bürgerlich-konservative Milieu nicht ausreichend mit rechtem Terror auseinandersetzt. Er meint: Politikerinnen und Politiker aus dem eher konservativen Spektrum hätten ihre ideologischen Scheuklappen nicht abgelegt:

Diese Auseinandersetzung des bürgerlich-konservativ Milieus (...) wird bis heute von diesen Kreisen konsequent verweigert – ob möglicherweise die eigene Ausländerpolitik, die eigene antikommunistische Orientierung oder auch die Stellungnahmen des konservativen Spektrums in Fragen der Vergangenheitspolitik hier zu einer Radikalisierung beigetragen haben könnten.

SWR 2021 / 2023

Geschichte Deutsche Erinnerungskultur – Blinde Flecken der Aufarbeitung

In Deutschland sieht man sich gerne als "Erinnerungsweltmeister". Doch der wachsende Rechtsextremismus ist auch ein Hinweis darauf, dass in der deutschen Erinnerungskultur etwas fehlt.

Das Wissen SWR Kultur

Anschlag in Hanau 2020

Hanau

Das Jahr danach Der Hanauer Anschlag

Hans Rubinich hat Angehörige der Opfer besucht, die alle schon sehr lange in Hanau leben und arbeiten, sprach mit dem Opferbeauftragten und dem Oberbürgermeister.

SWR2 Leben SWR2

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25.3.1961 Generalstaatsanwalt Fritz Bauer fordert Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen

25.3.1961 | In einem Interview aus dem Jahr 1961 erklärt der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, warum es notwendig sei, die Naziverbrechen gerichtlich aufzuarbeiten.

11.4.1968 Attentat auf Rudi Dutschke – Live-Reportage vom Tatort

11.4.1968 | Vor dem Büro des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am West-Berliner Kurfürstendamm schießt der junge rechtsextreme Hilfsarbeiter Josef Bachmann dreimal auf Rudi Dutschke. Ein Reporter schildert die Situation.

10.12.1991 Drei Monate nach Hoyerswerda: Angela Merkel zu rechter Jugendgewalt

10.12.1991 | Drei Monate nach den Ausschreitungen von Neonazis in Hoyerswerda: Frauen- und Jugendministerin Angela Merkel stellt zusätzliche Gelder für Jugendarbeit in Ostdeutschland zur Verfügung.

Behörden

Sicherheit Rechtsextreme in Uniform – Rassismus bei Polizei und Justiz

Polizisten dürfen nicht aus Sympathie mit Rassisten und Rechtsextremisten deren Gewalttaten decken. Dass es so sein könnte, zeigen die Ermittlungsfehler im NSU-Komplex und zum Attentat von Hanau am 19. Februar 2020.

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Baden-Württemberg Schwerpunkt der Razzien Nach Razzia gegen "Reichsbürger": Weitere Verdächtige in U-Haft

Nach einem deutschlandweiten Polizeieinsatz gegen eine terroristische Vereinigung sind 13 mutmaßliche "Reichsbürger" in Haft. Ein Schwerpunkt der Aktion war in Baden-Württemberg.

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NS-Verbrechen Klaus Barbie – Grausamer Nazi und US-Agent

Klaus Barbie war als "Schlächter von Lyon" berüchtigt, ein besonders grausamer Gestapo-Folterer. Nach dem Krieg diente er dem US-Geheimdienst und wurde erst mit einem Trick geschnappt.

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