Private und berufliche Krisen werden dem Komponisten Arnold Schönberg zur Voraussetzung für selbstbewusste Wege ins Neuland der Musik. Er experimentiert mit der menschlichen Stimme und erfindet die Komposition mit „zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“.
Neue Wege in Krisenzeiten
Wien, 1908: Arnold Schönberg ist in einer Krise. Seine Frau hat ihn betrogen, sein Freund und Mentor Gustav Mahler ist nach New York gegangen und seine jüngste Komposition, die Kammersymphonie op. 9, hat einmal mehr einen Skandal produziert.
Schönberg sucht nach neuen Gestaltungsmitteln. Er zeichnet und malt — vor allem Selbstportraits. Es ist ein Ringen um künstlerische Notwendigkeit, ein „Zwang des Ausdrucksbedürfnisses“, wie er selbst es nennt.
Skandal: Das Streichquartett op. 10
Sein Schüler Anton Webern schenkt ihm den gerade erschienenen Lyrikband „Der siebente Ring“ von Stefan George, und in einem dieser Gedichte findet Schönberg einen Satz, der seine Situation kaum treffender beschreiben könnte: „ich fühle luft von anderem planeten“.
Schönberg vertont Georges Text in seinem Opus 10: einem Streichquartett mit Sopranstimme.
Dessen Uraufführung markiert gleich den nächsten Skandal. „Das Publikum“, notiert der Komponist, „lauschte dem ersten Satz ohne jegliche Reaktion. Aber sobald der zweite Satz begann, fingen einige zu lachen an, und hörten nicht mehr auf, die Aufführung zu stören“.
Schönberg geht seinen eigenen Weg
Das Publikum ist immer noch nicht bereit für Schönbergs Musik. Aber dem ist das jetzt endgültig — auf gut Wienerisch gesagt — wurscht. Er geht seinen Weg und folgt einer Motivation, die, wie er sagt, „stärker ist als Erziehung und mächtiger als künstlerische Vorbildung“.
Mit den „Drei Klavierstücken op. 11“ verlässt Schönberg im Februar 1909 das Fundament von Dur und Moll. „Atonal“ nennt die konservative Kritik diese Musik und verkennt damit die Absicht des Komponisten.
Schönberg geht es nicht darum, die musikalische Tradition zu negieren. Im Gegenteil: Er sieht sich als derjenige, der den überfälligen Schritt zu ihrer Weiterentwicklung getan hat.
„Einer hat es sein müssen“
Dass er damit alles andere als ein Publikumsliebling wird, nimmt er in Kauf: „Einer hat es sein müssen, keiner hat es sein wollen. Da hab' ich mich halt hergegeben“, soll Schönberg einmal gesagt haben.
Schönberg versteht seine kompositorische Arbeit durchaus als eine Art der Forschung, gewissermaßen als Artistic Research — auch wenn es diesen Entwurf erst 100 Jahre später geben wird.
Schönberg hat es geschafft. Er hat seine eigene Klangsprache, seinen eigenen Ausdruck gefunden. Er ersinnt neue musikalische Formen und Techniken, wie etwa den „Sprechgesang“ in seinem Zyklus Pierrot Lunaire.
Zwölftonmusik: Ein neues Kompositionskonzept
Aber das reicht ihm noch nicht. „Ich möchte“, schreibt er, „der Struktur meiner Musik einen Gedanken zugrunde legen, der alle anderen Gedanken hervorbringt“. Ein System also, ein Kompositionskonzept. Das findet er im Sommer 1921: die Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen.
Die Suite für Klavier op. 25 ist eine Pioniertat: die erste Komposition, in der alle zwölf Töne der chromatischen Skala gleichberechtigt verwendet werden.
Ein reaktionärer Revolutionär
Jetzt könnte man glauben, dass die zwölftönigen Stücke endgültig mit allem brechen und eine vollkommen neue Musik anstreben. Aber das Gegenteil ist der Fall: Schönberg nähert sich den traditionellen Formen wieder an: der Suite, der Variation, dem Konzert.
„Er schuf sich eine Revolution, um Reaktionär sein zu können“. So brachte er sein Schüler Hanns Eisler auf den Punkt. Populärer wird seine Musik dadurch allerdings auch jetzt nicht — was Schönberg, wie gewohnt, mit Fassung trägt.
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