Fünfter Todestag des Autors und Kolumnisten

Haudrauf Wiglaf Droste: Warum es einen wie ihn nicht mehr gibt

Stand
Autor/in
Wilm Hüffer
Wilm Hüffer, SWR2 Moderator und Redakteur

Wiglaf Droste war ein begnadeter Autor, Kolumnist und Sänger. Am 15. Mai 2019 starb er, im Alter von 57 Jahren. Fünf Jahre nach seinem Tod fragt sich: Hätte dieser Haudrauf in den Shitstorms der Gegenwart noch eine Chance? Die Antwort: Eher nein.

Wiglaf Droste: Einer, der sich mit allen prügelte

Zu Lebzeiten wurde Wiglaf Droste immer wieder mit Kurt Tucholsky verglichen. Seine größte Zeit waren die 90er Jahre. Er schrieb an gegen alles, was platt ist, moralistisch, gegen jede selbstgerechte Zufriedenheit. Gegen DDR-Nostalgie, Kirche und Bundeswehr, gegen Nazis, selbstgerechte Linke und Feministinnen.

Er prügelte sich mit allen, manchmal sogar körperlich. Doch gegen die Shitstorms der Gegenwart käme wohl auch ein Wiglaf Droste nicht mehr an.

Wiglaf Droste wollte vor allem eins: Dass es sich niemand gemütlich macht. Dass Leute nicht einfach nachplappern, was sie hören. Er hasste den „warmen Mief“ der Community mit ihrer festen Meinung, ganz egal welcher.

Wiglaf Droste 2009 beim Lesefestival in Erfurt
Wiglaf Droste 2009 beim Lesefestival in Erfurt

„Ist das Hirn zu kurz gekommen, wird sehr gern Moral genommen“

Vor allem darauf knüppelte er ein: auf die intellektuelle Bequemlichkeit. Er wetterte gegen Selbstgerechtigkeit und Moralismus. „Ist das Hirn zu kurz gekommen, wird sehr gern Moral genommen“, war eines seiner Bonmots.

Schon in den 80er und 90er Jahren machte er sich damit unendlich viele Feinde. Was er heute erleben würde, in den digitalen Bubbles, in den täglichen Shitstorms? Ein kleiner Rückblick genügt, um sich das vorzustellen.

Wiglaf Droste bei einem Auftritt mit dem Spardosenterzett
Wiglaf Droste versuchte sich immer wieder auch als Sänger. Oft trat er mit dem Spardosenterzett auf. Das Jazz-Trio kommt aus dem Ruhrgebiet.

„Der Schokoladenonkel“: Wiglaf Droste und der Feminismus

Immer wieder holzte Wiglaf Droste gegen Feministinnen. Männer würden vorschnell als Missbrauchstäter denunziert, fand er. Und schrieb 1993 in der „Titanic“ einen berüchtigten Text über den „Schokoladenonkel“.

Darin stellte er sich vor, wie das wäre, im Görlitzer Park einem kleinen Mädchen einen Schokoladenkäfer zu schenken. Und malte sich aus, von der „Schweinepresse“, von „Bild“ bis „Emma“, als Pädophiler an den Pranger gestellt zu werden.

Eine Nürnberger Lesben-Zeitung warf ihm vor, dass er „sexuelle Gewalt verharmlost, beschönigt und umdefiniert“. Bei einer Lesung in Kassel kippten Frauen sogar Scheiße vor die Saaltür. In Tübingen ging Droste selbst auf einen Besucher los und schlug ihn. Später entschuldigte er sich für diesen Übergriff.

Wiglaf Droste bei einer Prügelei 1993 in Tübingen
Wiglaf Droste schreckte auch vor Krawall nicht zurück. Das verwackelte Bild aus einer Dokumentation des NDR zeigt ihn 1993 bei einer Prügelei in Tübingen. Er selbst war auf einen Besucher losgegangen.

„Jeden Tag Begrüßungsgeld“: Wiglaf Droste und die Ostdeutschen

In Hassliebe war Wiglaf Droste den Ostdeutschen verbunden, insbesondere den Brandenburgern, deren einziges Talent darin bestehe, „einem das Leben zur Hölle zu machen“.

Im „Rolling Stone“ schrieb er 1996, es gebe „nichts Peinlicheres als einen DDR-Bürger ohne DDR“. Die neuen Länder bezeichnete er auch mal als „fünf neue Imbissbudenaufstellflächen“. Die Ostdeutschen wollten am liebsten jeden Tag Begrüßungsgeld.

Frühere DDR-Bürgerrechtler liefen Sturm gegen den mit Gerhard Henschel verfassten Roman „Der Barbier von Bebra“. Später entdeckte Wiglaf Droste doch noch seine Liebe für den Osten. 2009 wurde er sogar Stadtschreiber im brandenburgischen Rheinsberg.

„Waschbrettköpfe“: Wiglaf Droste und die Bundeswehr

Die Bundeswehr hatte Wiglaf Droste zeitlebens im Visier. „Ja, wie soll man sie denn nennen?“, fragte er in einem Gedicht: „Faxgeräte, Sackgesichter? Zeugungsfähiges Gelichter? Freddies, die auf Totschlag brennen?“

Im Sommer 1999 versuchten Frauen, ein Gelöbnis für Bundeswehrrekruten vor dem Reichstag zu stören. Sie waren nur mit Slips bekleidet und wurden von Feldjägern überwältigt.

In der „taz“ schrieb Wiglaf Droste, das sei eine neue, rot-grüne Form des Polizeistaats. Feldjäger erkenne man an ihrem „Waschbrettkopf“. Ein Bundeswehr-Offizier erstattete Anzeige wegen Beleidigung. Ohne dass klar gewesen wäre, was ein „Waschbrettkopf“ eigentlich ist.

Gegen den täglichen Shitstorm: Selbst Wiglaf Droste hätte es heute schwer

Könnte es einen Wiglaf Droste heute noch geben? Vielleicht. Aber würde er das lange aushalten? Wohl kaum. Schon während der Jahre ohne Facebook und Twitter hatte Wiglaf Droste hunderte Feinde.

Damals waren es Konkurrenten in der Kulturszene, pikierte Schriftsteller und Journalisten-Kollegen, gut organisierte Initiativen. Heute hätte er es mit gewaltigen Mobs und Shitstorms zu tun, vermutlich nach jedem Artikel, nach jedem öffentlichen Auftritt. Das könnte wohl auch ein Wiglaf Droste nicht aushalten. Nicht einmal er.

Buchkritik Mit Wiglaf Droste die Welt in Schach halten: Eine Biografie zum fünften Todestag

In der Biografie „Die Welt in Schach halten“ von Christof Meueler erzählen viele Wegbegleiter von ihren Erlebnissen mit Wiglaf Droste. Eine faszinierende Chronik.

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