SWR2 lesenswert Kritik

Volha Hapeyeva – Trapezherz

Stand
Autor/in
Beate Tröger

„Trapezherz" heißt der gerade erschienene Gedichtband der belarusischen Lyrikerin und Essayistin Volha Hapeyeva. Seit 2022 lebt sie im deutschen Exil. Der Band versammelt eine Auswahl von Gedichten aus zwei Jahrzehnten in der deutschen Übersetzung von Matthias Göritz.

Aus dem Belarusischen von Matthias Göritz
Droschl Verlag, 112 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-99059-131-4

Volha Hapeyeva, 1982 in Weißrussland geboren, ist promovierte Linguistin. Sie hat schon seit vielen Jahren Berührungspunkte mit dem deutschen Sprachraum, hat Preise gewonnen, Stipendien erhalten und etliche ihrer Werke wurden ins Deutsche übertragen. Seit 2020 lebt sie außerhalb von Belarus, jetzt ist ihr neuer Lyrikband erschienen: „Trapezherz" – Beate Tröger.

Wie schreibt man Gedichte im Exil? Wie schreibt man in der Muttersprache, wenn man das Land nicht mehr betreten kann, in dem man sie gelernt hat?

„und sie träumte von dem wort
und sie erwachte
und sie konnte sich nicht daran erinnern
und das wort war einfach und ganz
machte die welt ruhig und leicht
als wäre jetzt alles offenbar
und alles wurde deutlich klar und offensichtlich
und sie wollte sich an das wort erinnern“

Mit diesen Versen beginnt das erste Gedicht aus Volha Hapeyevas Band „Trapezherz“. Die belarusische Dichterin lebt seit letztem Jahr in Deutschland. Das Gedicht erinnert an die Genesis, in der Gott seine Schöpferkraft durch das Aussprechen von Worten manifestiert, das Licht, den Tag, die Nacht, die Natur und schließlich den Menschen durch sein wiederholtes „Es werde!“ in die Welt holt.

Das Ich dieser Gedichten glaubt, dass man in der Sprache Heimat finden kann, wenn einem die Möglichkeit genommen ist, in sein Land zurückzukehren. In den Gedichten, die innerhalb zweier Jahrzehnte entstanden sind, verweben sich die Erfahrung des Verlusts von Heimat und die Notwendigkeit in einer anderen als der Muttersprache sprechen zu müssen mit dichterischen Traditionsfäden zu feinen Gebilden, die ein sprachmagisches Denken verteidigen. Das Leben in diktatorischen Strukturen zuhause in Belarus und die Notwendigkeit, inzwischen im Exil zu leben, führen aber auch zu einem Sprechen, das Müdigkeit und Unsicherheit mitschwingen lässt.

„vielleicht gab es das wort gar nicht
egal wen sie fragte niemand hatte von ihm gehört
nur einmal sagte jemand
dieses wort wird das letzte wort sein
und wenn sie sich daran erinnert
wird sie alles andere vergessen
und sie wird selbst zum wort“

Selbst zum letzten Wort zu werden, und damit zu dem, was in der Romantik einmal das Welt aufschließende „Zauberwort“ war, ist in Zeiten des Exils keine naheliegende Möglichkeit der Verwandlung. Doch etliche der rund 70 Gedichte des Bandes beleben noch das Kleinste und Unbedeutendste, etwa ausrangierte Schuhkartons, in denen nun andere Dinge aufbewahrt werden und von denen …

„einige glücklich sind
weiter geöffnet und geschlossen zu werden
bewundernde augen zu sehen
und die berührung suchender finger zu spüren
wer dächte wohl, dass kartons
so empfindliche geschöpfe sind
mit einer leere voll von gefühlen“

Der Wunsch, die Welt und die Dinge durch Sprache zu beleben, geht in Volha Hapeyevas Gedichten immer Hand in Hand mit vom Krieg sprechenden Versen von: „zweigen, die auf todesfeldern verstreut sind“, und mit solchen, die von Einsamkeit und Melancholie oder Trauer gesättigt sind. Dadurch entsteht eine intensive Spannung. Diese Spannung hilft, sich vorzustellen, unter welchen inneren Bedingungen die Autorin dieser Gedichte im Exil lebt, die sich spätestens ab August 2020 in Minsk wie eine Exilantin fühlte, nachdem Massenproteste des Volks gegen Alexander Lukaschenko gewaltsam niedergeschlagen wurden.

„was ist mir mir? ich bin allein
was ist mit mir? ich bin nur eine“

Dass Einsamkeit der Erfahrung des Exils wesentlich ist, zeigen diese Verse

„ich bin die heimatlosen gesten meines körpers
ich bin den heimatlosen gesten meines körpers begegnet
im hafen zwischen betrunkenen schiffen“

Am schönsten sind Volha Hapeyevas Gedichte aber da, wo sie die Leser ganz in einen intimen Augenblick des Alltags locken, wo man dem Körper, der zu dieser skrupulösen und sensiblen Stimme gehört, sehr nahe kommen darf:

„die florfliege ruht auf meiner hand aus
ich mache eine pause und höre zu
während sie mir etwas erzählt
das nur sie und ich wissen“

Stand
Autor/in
Beate Tröger