Ein neues Bücherfestival in der Literaturstadt Baden-Baden
SWR Kultur: Denis Scheck, wie kam es zu der Idee, ein neues Literaturfestival in Baden-Baden zu etablieren? Was hat Sie an dieser Stadt gereizt?
Denis Scheck: Baden-Baden besitzt einen Nimbus als große deutsche Literaturstadt wie sonst vielleicht nur noch Weimar. Das Faszinierende an der „Sommerhauptstadt Europas“ des 19. Jahrhunderts ist, dass dieser Nimbus seit den Tagen von Turgenjew und Dostojewski von Anfang an ein internationaler Nimbus war.
Baden-Baden ist ein Ort, an dem Weltliteratur entstand und erlebbar wurde. Natürlich ist es reizvoll, hier an der Oos neben den etablierten Musikfestivals und der lebendigen Kunstszene die Keimzelle zu einem ebenso attraktiven Literaturfestival zu pflanzen.
Als sich die Gelegenheit bot, in Kooperation mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels und Partnern vor Ort in Baden-Baden so eine neue Literaturoase zu gründen, haben Karin Graf und ich als Kuratoren keine Sekunde gezögert.
04.08.1870: In Baden-Baden endet das erste große Schachturnier
SWR Kultur: Welche Vision hatten Sie für das Festival und wie hat sich diese in die Programmgestaltung übersetzt?
Denis Scheck: Wir wollten die Vielfalt und den Themenreichtum der deutschsprachigen zeitgenössischen Literatur zunächst mit einer handvoll Lesungen auffächern, die demonstrieren, dass sich im Medium Buch wirklich die ganze Welt spiegelt.
Mithu Sanyal erzählt in „Antichristie“ wunderbar witzig und informativ zugleich von Postkolonialismus und Identitätspolitik. Anna Katharina Hahn klopft in ihrem hintersinnigen Roman das Singen im Chor auf sein feministisches Potential ab.
Der Fußballstar Thomas Hitzlsperger erläutert in „Mutproben“, warum Lesen in der deutschen Nationalmannschaft keine gern gesehene Freizeitgestaltung ist und welchen Mut ein schwules Comingout im Profisport erfordert. Und Florian Illies bringt uns das Genie Caspar David Friedrich nahe und erschließt uns die Romantik für die Gegenwart.
Im nächsten Jahr möchten wir gern über den nationalen Tellerrand hinausblicken und internationale Literaturstars nach Baden-Baden bringen.
lesenswert Magazin Wer schreibt, lebt gefährlich (und arm) - Kluge Bücher für den Frühherbst
Neue Bücher von Ulrike Draesner, Mithu Sanyal und Marta Barone
Literatur als sinnliche Erfahrung und gemeinsames Erlebnis
SWR Kultur: Nicht nur klassische Lesungen: Welche anderen Formate und Veranstaltungen sind im Rahmen des Festivals geplant?
Denis Scheck: Ganz wichtig ist meiner Co-Kuratorin Karin Graf und mir, dass neben der Lesung des Textes das Erlebnis der Autorinnen und Autoren im Gespräch tritt. Dazu bedarf es einer professionellen und umsichtigen Gesprächsführung, und die haben wir gewährleistet.
Genau dieses persönliche Kennenlernen der Menschen hinter den Werken macht ja die einmalige Atmosphäre eines Festivals aus. Das wünschen wir uns für Baden-Baden jetzt im November: Literatur als sinnliche Erfahrung und gemeinsames Erlebnis.
SWR Kultur: Neben dem gemeinsamen Erlebnis: Was wünschen Sie sich für das Publikum des Festivals und welche Erfahrung sollen die Besucher und Besucherinnen aus Baden-Baden mitnehmen?
Denis Scheck: Für Karin Graf und mich ist Literatur etwas Existentielles, kein bloßer Zeitvertreib. Im Idealfall verändert die Begegnung mit Literatur unsere Sicht auf unser Leben, unsere Weltanschauung. Literatur bietet einen Ausweg aus der eigenen Blase, sie vermag unsere liebgewordenen Selbstgewissheiten zu erschüttern und zu hinterfragen.
Und das Schöne ist, dass dieser Prozess keineswegs schmerzhaft sein muss, sondern im Gegenteil heiter und erhellend zugleich sein kann. Das wollen wir zeigen.
SWR Kultur: Gibt es Gast auf dem Festival oder einen Programmpunkt, der Ihnen ganz besonders am Herzen liegt?
Denis Scheck: Tatsächlich freue ich persönlich mich in diesem Jahr ganz besonders auf Thomas Hitzlsperger, der ein Brückenbauer zwischen der Welt des Profisports und der Literatur ist und auf extrem sympathische und nahbare Art und Weise von seinen Lieblingsautoren wie etwa Oskar Maria Graf zu erzählen vermag.
SWR Kultur: Ist eine jährliche Fortsetzung geplant?
Denis Scheck: Unbedingt – wir arbeiten schon am Programm für 2025! Es soll international werden und mehr Veranstaltungen umfassen.