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Iris Murdoch – Die Souveränität des Guten

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Autor/in
Konstantin Sakkas

Worin besteht Moral? Sicher nicht darin, rationale Entscheidungen in einer wertneutralen Welt zu treffen, meint die angloirische Moralphilosophin Iris Murdoch.

Stattdessen plädiert sie für die Orientierung an der objektiven Idee des Guten. Inmitten des gegenwärtigen Diskurses um Werte und den freien Willen ist "Die Souveränität des Guten" aktueller denn je. Nach 50 Jahren erscheint das Buch jetzt erstmals auf Deutsch.

Iris Murdoch lebte von 1919 bis 1999. Sie promovierte 1948 bei Ludwig Wittgenstein in Cambridge, trat aber überwiegend als Roman-Autorin hervor. Als Philosophin rezipiert wurde sie insbesondere im angelsächsischen Raum, wo sie mit Elizabeth Anscombe, Philippa Foot und Mary Midgley eine Vierergruppe von Moralphilosophinnen bildete, die aktuell in Deutschland wiederentdeckt wird. 1970 veröffentlichte sie The Sovereignty of Good, erst jetzt erscheint es in deutscher Übersetzung, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Eva-Maria Düringer, Philosophin an der Universität Tübingen.

Die alte Frage nach der Idee des Guten

„Die Souveränität des Guten“ ist ein philosophischer Solitär. In Schreib- und Denkstil, aber auch in dem Mangel an strenger Argumentation erinnert es an Hannah Arendt. Murdoch richtet sich gegen die zwei dominanten philosophischen Strömungen ihrer Zeit: Existenzialismus und analytische Philosophie. Und sie stellt eine Frage, die in der westlichen Philosophie nach Kant und Hegel nicht mehr in großem Maßstab gestellt wurde: die nach der Idee des Guten.

Die idéa toû agathoû hatte einst Platon beschrieben, noch Hegel ging in seiner „Wissenschaft der Logik“ auf sie ein. Im 19. Jahrhundert aber verschwand die Frage nach dem Guten zugleich mit Gott und Transzendenz aus dem Denken, und das durch technologische Revolutionen geprägte 20. Jahrhundert verlegte sich darauf, Willen und Moral aus immanenten Bedingungen zu erklären: Was wir gut finden und was wir wollen, ergebe sich nicht aus einer Einsicht in ein Überweltliches, sondern nur aus unseren innerweltlichen Verhältnissen, also unseren ontologischen, soziologischen, psychologischen, neurologischen Bedingungen. Der Mensch wird auf die Empirie reduziert, die seine Entscheidungen und Urteile determiniert.

Gegen Reduktionismus und Determinismus in der Moralphilosophie

Gegen diesen Reduktionismus und Determinismus, der eine Allgemeinverbindlichkeit von Moral ausschließt, wendet sich Murdoch. Ihre Philosophie ist klassische Transzendentalphilosophie, eine Metaphysik des Guten, nicht des Menschen. Denn wenn man, wie sie es Kant und auch Heidegger anlastet, die Transzendenz des Guten an eine Absolutheit des menschlichen Selbst knüpft, dann liefe man Gefahr, doch wieder bei einem radikalen Subjektivismus zu landen.

Auch für Murdoch bleibt der Mensch ein kontingentes Wesen, aber: indem er seine Selbstheit so weit wie möglich aufgibt, interesselos und demütig wird, könne er gut sein. Das erinnert an Schopenhauer, Murdochs größte Inspiration ist allerdings Simone Weil, die 1943 verstorbene große französische Philosophin. Der Erkenntnis zugänglich ist diese universelle goodness für Murdoch am ehesten im Kunstschönen, nicht in einer wie auch immer gearteten Rationalisierung und auch nicht in der Religion.

Was Murdochs Argumentation, so essayistisch und widerlegbar sie ist, aktuell macht, erläutert Herausgeberin Düringer im Nachwort: „Die Annahme, dass die Welt wertfrei ist und Werte, wenn überhaupt, auf irgendeine Weise von uns auf sie projiziert werden, ist seit vielen Jahren die Default- [also Standard]annahme nahezu aller Studierenden, wenn sie mit dem Philosophiestudium beginnen.“

Transzendenz und Universalität des Guten

Einen Schönheitsfehler hat Murdochs Philosophie des Guten aber: Sie setzt das menschliche Selbst pauschal mit dem Ego gleich. Ihre Anthropologie ist eine negative, moralisch und ontologisch: der Mensch doch nur Produkt seiner Verhältnisse, seiner Berechnungen und Triebe. Wie kann ein solcherart transzendenzloser Mensch Träger eines transzendenten Guten sein?

Dennoch: eine Transzendenz und Universalität des Guten, die irgendwie ins Diesseits in seiner Relativität und Kontingenz hineinragten, so kühn zu behaupten, ist eine Leistung, die ihre Aktualisierung durch diese Übersetzung vollends verdient. Von Murdoch ließen sich Verbindungen zu aktuellen universalistischen Ethiken wie denen Patrick Deneens und Omri Boehms ziehen, in ihrer Ego-Ablehnung wandelt sie auf den Spuren Blaise Pascals. Inmitten des Diskurses um Werte und den freien Willen heute kommt „Die Souveränität des Guten“ also wie gerufen.

Düsseldorf

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