Einfühlsam und realistisch erzählt Jennifer Down in ihrem Roman „Körper aus Licht“, welche Folgen das australische Fürsorgesystem auf das Leben einer Frau hat, die Kindheit und Jugend in Heimen und Pflegefamilien verbrachte. Ein Zeugnis der Widerstandskraft und des Überlebenswillens trotz widrigster Umstände – und ein Aufruf zu dringenden Veränderungen.
Eine Reise ans Ende der Nacht – davor warnt die Anmerkung am Anfang von Jennifer Downs Roman „Körper aus Licht“. Vernachlässigung, Verlust, sexualisierte Gewalt, Drogen- und Medikamentenmissbrauch werden als triggernde Inhalte benannt. Nein, dieses Buch ist keine leichte Unterhaltung.
Über mehr als vier Jahrzehnte – von 1975 bis 2018 – folgt die junge australische Schriftstellerin Jennifer Down ihrer Protagonistin Maggie bei deren Versuch, Stabilität in einem Leben zu gewinnen, das seit Kindertagen durch Brüche und Unsicherheit geprägt ist.
Als vierjährige Halbwaise ist Maggie, die Tochter drogenabhängiger Eltern, nach der Inhaftierung ihres Vaters einer quälenden Odyssee durch Heime, Wohngruppen und Pflegefamilien ausgesetzt.
Frühe Traumatisierung
Knappe Dialoge in einer authentisch nachempfundenen Jugendsprache geben den Blick auf Abgründe frei. Im Kinderheim trainiert der Heimleiter die elfjährige Maggie und ihre Freundin Jodie im Tennis. Jodie trennt ihr Zimmer mit einem Perlenvorhang vom Flur ab. Maggie versteht nicht, warum Jodie das Geräusch der Perlen hasst.
Warum nimmst du sie nicht ab? Darum. Sag. Damit ich weiß, wann er kommt. Warum musst du wissen, wann er kommt?, fragte ich. Du solltest dir auch so was besorgen, sagte sie. Und so wusste ich, was mich erwartete, noch bevor das Training in mein Zimmer wechselte. Und wenn ich Jodies Perlenvorhang klackern und zittern hörte, kam mir reflexartig ein Gedanke: wenigstens nicht ich. Ich hängte mir ein Windspiel an die Tür.
Erzählt wird Maggies Geschichte aus der Ich-Perspektive in einem Wechsel aus Rückblende und Gegenwart. Maggie ist Mitte vierzig und lebt unter neuem Namen in den USA, als die Facebook-Nachricht eines Mannes sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.
Die Stationen ihrer Kindheit und Jugend sind nach Orten und Jahreszahlen geordnet. Wobei Ordnung hier eher als staatlich legitimiertes Chaos zu begreifen ist.
Maggie lernt früh, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. „Ich war still und gewieft, und man bemerkte mich kaum“, erinnert sich die Erzählerin an ihre Rolle bei kindlichen Versteckspielen. Mit dieser Taktik überlebt sie das Trauma der Fürsorgejahre.
Spätfolgen der staatlichen Fürsorge
Der Start in ein bürgerliches Leben mit Ehemann und Kind scheitert, als Maggie sich nach dem plötzlichen Tod ihrer Babys mit der Anklage der Kindstötung konfrontiert sieht. Ihre unklare Vergangenheit macht sie verdächtig.
Maggie taucht ab. Sie jobbt unter neuem Namen in Neuseeland, zieht nach Amerika und bewahrt das Geheimnis ihrer Herkunft. Die vertrauensvollen Beziehungen, nach denen sie sich sehnt, verhindert sie selbst immer wieder.
Jennifer Downs präzise Sprache richtet den Blick auf retraumatisierende Details wie Gerüche oder Landschaften, die Maggie bei unterschiedlichen Anlässen immer wieder überwältigen.
Zwei Kritikpunkte mag man bei diesem insgesamt beeindruckenden Roman anführen. Die endlose Serie gescheiterter Beziehungen, Maggies Drogensucht und Obdachlosigkeit erwecken den Eindruck, als wolle die Autorin wie in einer Anklageschrift alle denkbaren Folgen einer verfehlten staatlichen Fürsorge abarbeiten. Hier hat der 540-Seiten-Roman durchaus Längen.
Wenig glaubwürdig ist auch, dass die in Existenzkämpfen gefangene Maggie sich bildungshungrig in öffentlichen Bibliotheken durch die Klassiker liest. Da verlässt die ansonsten so einfühlsam erzählende Jennifer Down die Augenhöhe mit ihrer Protagonistin, um ein höheres Sprachniveau der Hauptfigur zu rechtfertigen.
Hoffnung vermittelt der Roman durch Maggies unglaubliche Resilienz. Und durch den Umstand, dass sich Menschen finden, die ihr die Fürsorge geben, die der Staat ihr in Kindheit und Jugend nicht zuteil werden ließ.
Gute Literatur darf ihren Leserinnen und Lesern etwas zumuten. Von Triggerwarnungen sollte man sich hier also nicht abschrecken lassen.
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