Ausstellung

KI und Sandra Hüller in Pirmasens – Großartige Retrospektive von Boris Eldagsen

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Autor/in
Andreas Langen
Andreas Langen, Autor und Redakteur, SWR Kultur

Der Berliner Künstler Boris Eldagsen zeigt eine große Retrospektive in Pirmasens. Das Spektrum reicht von Zeichnung über Fotografie und Video bis zu KI-generierten Bildern. Zu sehen sind unter anderem Sandra Hüller und etliche lebensecht wirkende Personen, die es nie gab: geschaffen im Computer – und in der Vorstellung des Künstlers.

Mit KI-generierten Bildern wird Eldagsen zum Shootingstar

Dass ein weltweit erfolgreicher Künstler seine erste Retrospektive im Pfälzer Wald veranstaltet, ist nicht gerade naheliegend. Der Berliner Boris Eldagsen, in den letzten eineinhalb Jahren mit KI-generierten, fotorealistischen Bildern zum Shootingstar geworden, breitet seinen künstlerischen Werdegang nun in Pirmasens aus – weil er dort geboren ist und aufwuchs, weil ihn Jugendfreunde gefragt hatten, und weil er ein ironisch-ambivalentes Verhältnis zu seiner Herkunft hat.

„Pirmasens ist ja auf einem gewissen Größenwahn aufgebaut. Der Landgraf von Hessen-Darmstadt hatte hier sein Jagdrevier und hat irgendwann gesagt: Ich möchte hier die drittgrößte Exerzierhalle der Welt bauen. Ich habe ja meine Spielzeugarmee und die lasse ich auf- und abmarschieren und dazu blase ich dann die Flöte“, sagt er.

Schräge Pirmasens-Hommage mit Sandra Hüller blitzt bei der Politik ab

Eldagsen erinnerte diese Gründungsgeschichte schon lange an die Handlung des legendären Werner-Herzog-Films „Fitzcarraldo“. Darin verkörpert Klaus Kinski einen Besessenen, der um jeden Preis mitten im Urwald eine Oper bauen will.

Vor einigen Jahren wollte Eldagsen den Stoff in Pirmasens reinszenieren: „Die Idee war es, ein Remake zu machen mit Sandra in der Hauptrolle, die Klaus Kinski spielt, der wiederum Landgraf Ludwig spielt“, erzählt Eldgasen, dessen schräge Pirmasens-Hommage damals bei der kommunalen Politik abblitzte.

Heute wäre das vermutlich anders, denn die verhinderte Hauptdarstellerin Sandra, eine langjährige Künstlerfreundin von Boris Eldagsen, war niemand anderes als Sandra Hüller. Sie ist nun in anderen Videos von Eldgasen zu sehen.

Zeichner, Fotograf und Philosoph: Boris Eldagsen

Aber auch ohne Promi-Support ist seine künstlerische Arbeit überzeugend. Begonnen hat Eldagsen vor 30 Jahren als exzellenter Zeichner, wechselte dann zur inszenierten Menschen-Fotografie und studierte parallel Philosophie. 

„Wenn man sich diese Ausstellung anschaut, ist das eigentlich auch 30 Jahre Geschichte. Wie ich versuche, mir selbst bewusst zu werden, was ich dort mache und wie ich auch mich immer wieder anders an die Frage herantaste: Wer ist der Mensch? Und wer bin ich?“, sagt Boris Eldagsen.

Mit Stille Post zum kollektiv Unbewussten

Mit C.G. Jungs Konzept des kollektiven Unbewussten unterfütterte Eldagsen gemeinsame Projekte mit anderen Künstlern, lange bevor das Modewort der Kollaboration aufkam.

Mit einem befreundeten Kollegen in Bangladesch betreibt er eine Art Stille Post: Die beiden schicken sich gegenseitig Bilder, überarbeiten sie ohne Rücksprache und betrachten die Resultate als gemeinsame Werke.

„Wir stellen jetzt unsere Hintergründe aus einem anderen kulturellen und religiösen Kontext zusammen. Die Schnittmenge ist näher dran am kollektiven Unbewussten, als wenn das jeder von uns alleine macht“, erklärt er.

Eldagsen will die öffentliche Debatte

Und noch ein ganz anderes Kreativ-Instrument hat Eldagsen für sich entdeckt: die KI. Wie beim Zeichnen kann er hier ganz aus seiner Vorstellung schöpfen, braucht kein Ereignis vor irgendeiner Kamera mehr.

Im vergangenen Herbst lehnte Boris Eldagsen in London spektakulär den Sony-Award für kreative Fotografie ab – seine Einreichung war kein Foto, sondern ein KI-Bild. Eldagsen wollte die öffentliche Debatte. Auch das Nicht-Sieger-Bild, dessen Kunstmarktwert sich längst vervielfacht hat, ist nun in Pirmasens zu sehen.

KI als Spiegelbild der digitalen Gegenwart

Währenddessen denkt sein Urheber bereits an neue Verfahrensweisen: Keine Kleinserien mehr, wie in der Fotografie üblich, sondern ein einziges, aus Fotografie, KI, Zeichnung und Malerei bestehendes Werk.

Und auch jenseits des Materiellen ergibt die Arbeit mit KI für den philosophischen Künstler Boris Eldagsen unbedingt Sinn – als Spiegelbild der digitalen Gegenwart.

„KI arbeitet mit wahnsinnig vielen Bildern als Trainingsmaterial. Und das ist schon etwas wie ein kollektives Unbewusstes und ein Spiegel dessen, was man als unser Abbild im Internet finden kann“, so Eldagsen.