Beim Blick auf die großen NS-Vernichtungslager sind die vielen kleinen Straf- und Arbeitslager aus dem Fokus geraten sind. Die Ausstellung „Das KZ vor der Haustür“ im Stuttgarter Erinnerungsort „Hotel Silber“ erinnert daran, dass allein im heutigen Baden-Württemberg 35 KZ-Außenlager existierten.
Stacheldrahtreste, Keramikisolator, Patronenhülsen
In einem mehrjährigen Prozess hat sich das Landesamt für Denkmalpflege auf Spurensuche begeben, um die ehemaligen Arbeitslager zu dokumentieren und neue Kulturdenkmale auszuweisen.
Zeugen des Terrors: verwitterte Stacheldrahtreste, ein alter Keramikisolator, abgeschossene Patronenhülsen. Gegenstände, die erahnen lassen, was es bedeutet, entrechtet und einem totalitären Staat ausgeliefert zu sein. Die Nazis versahen ihre Straf- und Arbeitslager mit Wachtürmen und zwei Reihen Stacheldraht, die unter Strom gesetzt wurden.
50 Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof
Die wenigen Überreste, die jetzt in der kleinen Ausstellung im ehemaligen „Hotel Silber“ zu sehen sind, stammen aus gleich mehreren Lagern, die zum KZ Natzweiler-Struthof im damals besetzten Elsass gehörten. Ab 1943 entstanden rund 50 Ableger des Stammlagers an strategisch wichtigen Punkten, sagt der Archäologe Christian Bollacher vom Landesamt für Denkmalpflege und Leiter des Inventarisationsprojekts KZ-Komplex Natzweiler.
„Das hat das KZ-System konterkariert, weil man wollte ja die unerwünschten Gesellschaftselemente konzentrieren und der Gesellschaft entziehen. Und nun waren diese Menschen in den Außenlagern allerorten sichtbar. Das waren zwar kleine Außenlager, sagt man immer. Aber eigentlich waren es relativ großflächige Anlagen mit 250 Meter Länge auf 160 Meter Breite. In riesigen Baracken waren die Leute da eingepfercht – das alles hat sich tatsächlich vor den Augen der örtlichen Bevölkerung abgespielt. Getrennt nur durch einen Stacheldrahtzaun, der die Normalität von einer Welt unfasslichen Terrors getrennt hat“, sagt Archäologe Christian Bollacher.
Sieben Lager an der Bahnlinie Tübingen-Rottweil
Sieben Lager wurden ab Juli 1944 allein entlang der Bahnlinie Tübingen-Rottweil errichtet. Das sogenannte Unternehmen „Wüste“ verlangte nach Arbeitskräften. Die Häftlinge mussten dabei Schiefer entlang der Schwäbischen Alb abbauen – zur Ölgewinnung. Vor allem aber kamen die KZ-Insassen in der Rüstungsindustrie zum Einsatz, wobei kriegswichtige Produktionen zum Schutz vor Luftangriffen in Gips- oder Bergwerkstollen verlegt wurden.
Spuren der grausamen Zwangsarbeit dokumentiert
Die Spuren einer grausamen Zwangsarbeit, die zigtausenden Menschen das Leben kostete, sind in der kleinen Ausstellung nüchtern dokumentiert: ein Schraubenschlüssel, der allerdings mehr Behelf als Werkzeug zu sein scheint, ein Spaltkeil. Knöpfe und Schuhsohlen, ein verrosteter Löffel mit eingeritzten Buchstaben geben einen letzten Hinweis auf ihre Besitzer. Und ein verschmolzenes Drahtglas verweist auf die ständigen Gefahren, denen die Häftlinge ausgesetzt waren.
„Das kann nur im Zusammenhang mit einem feindlichen Fliegerbeschuss des Lagers geschehen sein. Diese Rüstungsproduktion war natürlich im Visier der alliierten Luftangriffe. Und so geschah es immer wieder, dass Insassen der Konzentrationslager ums Leben kamen und mit diesem Exponat lässt sich das sehr gut darstellen, in welcher Gefahr diese Leute schwebten“, erklärt Christian Bollacher.
Mit der Dokumentation der Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof habe das Landesdenkmalamt zugleich mehrere neue Kulturdenkmale ausgewiesen, erzählt Bollacher. Das heißt: Bei Bebauungsvorhaben der betroffenen Areale ist der Denkmalschutz zukünftig eingebunden. „Also der historische Ort kann bei der Freilegung seiner Relikte noch einmal zu Wort kommen. Und daran ist uns gelegen.“
Denn die Außenlager sind eben auch stumme, unsichtbare Friedhöfe und das direkt „vor der Haustür“. Und genau so, nämlich mittendrin, liegt auch das „Hotel Silber“ in Stuttgart, die ehemalige Gestapo-Zentrale. Auf einen Raum konzentriert ist dort aktuell die neue Ausstellung untergebracht. So kann man buchstäblich im Vorbeigehen diese wertvolle Dokumentation erkunden.