Junge trifft Junge – dann knistert es gewaltig
Es ist der erste Tag nach den Schulferien und der schwule Zehntklässler Charlie muss erfahren, dass er von seinem Lehrer neben einen Rugby-Spieler gesetzt worden ist. Charlie schwant Übles, doch als Nick sich zu ihm dreht und ihn anlächelt, merkt der Junge schnell, dass dieses Jahr vielleicht doch nicht so schlimm wird wie befürchtet…
Am 22. April 2022 veröffentlichte Netflix die erste Staffel der Serie „Heartstopper“, basierend auf der gleichnamigen Web-Comic-Reihe der britischen Autorin Alice Oseman. Der Erfolg kam schnell: In den ersten drei Wochen allein sahen mehr als 70 Millionen Abonnent*innen die acht halbstündigen Folgen.
Ein großer Erfolg, gerade für eine Jugendserie mit schwulen Hauptfiguren. Die Ankündigung von zwei weiteren Staffeln ließ nicht lange auf sich warten.
In der Serie entwickelt sich die Beziehung von Charlie und Nick, gespielt von Joe Locke und Kit Connor, genretypisch schnell. Aus Sympathie wird schnell Freundschaft und bald kann und will Nick, der sich eigentlich als heterosexuell identifiziert, nicht mehr verleugnen, dass seine Gefühle für Charlie mehr als rein platonisch sind.
Queere Jugend (fast) ohne Selbstfindungsdrama
Das alles liest sich nicht nur wie eine relativ banale Coming-of-Age-Geschichte, das ist es auch. Doch während in anderen Jugendserien queere Figuren meist nur als Randfiguren mit dem immer gleichen Coming-Out-Drama vorkommen, stehen bei „Heartstopper“ queere Themen voll und ganz im Mittelpunkt, auch um die beiden Potagonisten herum.
Nicks erster Schwarm Tara erklärt sich ihm gegenüber als Lesbe und stellt ihm ihre Freundin Darcy vor. Außerdem knistert es zwischen Charlies besten Freund*innen: Elle, seit kurzem als Transgender geoutet, ist in Tao verliebt, für den sie bis vor kurzem noch ein (vermeintlich männlicher) Kumpel war.
Das alles verhandelt „Heartstopper“ ohne Tränen und Weltschmerz, immer mit einer bewusst positiven Grundhaltung und einer erfrischenden Unaufgeregtheit. Alle Figuren sind mit sich, ihrer Identität und ihrem direkten Umfeld im Reinen, sie können ohne Scham und Scheu ihre Gefühle leben.
Sogar für Nick, der sich und seine Sexualität neu entdeckt, läuft das Outing vor seiner Mutter (Olivia Colman) wie die normalste Sache der Welt ab. So wie es sein sollte.
Eine Serie wie eine Umarmung
Für die Fans ist die schüchterne Verlegenheit, mit der Charlie und Nick ihre gegenseitige Verliebtheit entdecken, Balsam für die Seele. Auch viele deutsche Fans teilten ihre Freude über die erste Staffel in den sozialen Medien mit:
Doch es sind nicht nur Jugendliche, die sich durch das Storytelling von „Heartstopper“ angesprochen fühlen. Auch erwachsene queere Personen erkennen sich in den Figuren wieder, mit etwas Melancholie. Gerne hätten sie auch eine Jugend erlebt, in der sie mit solcher Selbstverständlichkeit ihre Gefühle hätten ausleben können:
Was die Serie aber vor allem macht: Sie gibt Mut, zu sich selbst und seinen Gefühlen zu stehen und das Umfeld auch daran teilhaben zu lassen. Gerade jüngere Zuschauer*innen schöpfen aus der Serie die Kraft, sich gegenüber ihren Eltern oder Freunden zu outen:
Fans zwangen Hauptdarsteller zum Coming-Out
Dass es im echten Leben allerdings nicht immer so harmonisch läuft, musste Hauptdarsteller Kit Connor am eigenen Leib erfahren. Nachdem Fotos ihn händchenhaltend mit einer Schauspiel-Kollegin zeigten, attackierten ihn Fans der Serie in den sozialen Medien und warfen ihm „Queerbaiting“ vor: Connor spiele eine queere Rolle, um mehr Publicity zu erhalten.
Connor outete sich daraufhin, mit deutlichen Worten, via Twitter:
„Heartstopper“, Teaser für Staffel 2, ab 3. August auf Netflix
Zweite Staffel: Auf zur Klassenfahrt nach Paris!
Der Ärger über das unfreiwillige Outing scheint angesichts des großen Fan-Zuspruchs allerdings verraucht zu sein. Erst kürzlich marschierte der Hauptdarsteller zusammen mit seinen „Heartstopper“-Kolleg*innen bei der London Pride mit und stellte dabei den neuesten Teaser für die zweite Staffel vor.
In ihrem neuesten Abenteuer begeben sich Nick, Charlie und ihre Freunde auf Klassenfahrt nach Paris. Sofern die Comics ein Indikator für die Storylines sind, werden Nick und Charlie nicht nur immer mehr über die körperlichen Seiten ihrer Beziehung nachdenken, für Nick steht eine Konfrontation mit seinem abwesenden Vater und für Charlie das Eingeständnis seiner Essstörung bevor.
Auch wenn die Welt nicht immer so rosarot ist, wie „Heartstopper“ einen glauben lassen will: Für queere Zuschauer ist es eine willkommene Flucht aus einer Realität, in der Outings nicht immer positiv aufgenommen werden und Kinderbuch-Lesungen von Drag Queens für Entrüstungsstürme sorgen. Ein bisschen Eskapismus hat noch niemandem geschadet.