Männer bei Tag, Diven bei Nacht
Schaumstoff-Polster, üppige Perücken, falsche Wimpern ... einem Männerkörper die Silhouette einer Frau zu geben ist nicht immer leicht. Neben einer Menge Make-Up braucht es vor allem noch deutlich mehr Selbstbewusstsein. „Vieles ist erlaubt oder einfacher“, meint Jonas Müller, der als Drag Queen Macy M. Meyers auftritt. „Sich schön zu fühlen, und sich zu präsentieren, Komplimente anzunehmen und so weiter. Männer kriegen nicht oft Komplimente.“
In der LGBTQ+ Szene sind Drag Queens schon immer feste Größen. In Mannheim trifft man die Königinnen bei Szenepartys wie der Himbeerparty, im Rhein-Neckar-Theater, wo Intendant Markus Beisel regelmäßig als Céline Bouvier auftritt, oder eben einmal im Jahr beim Mannheimer CSD.
Markus Beisel alias Drag Queen Céline Bouvier im Gespräch bei SWR2:
Die fünfteilige Doku-Reihe „Drags of Monnem“, die derzeit in der ARD-Mediathek verfügbar ist, begleitet vier Drag Queens und einen Drag King aus Mannheim zwischen Alltag und Auftritten.
Trailer: „Drags of Monnem – Mannheims König:innen ungeschminkt“
Männer in Frauenrollen: So alt wie das Theater selbst
Männer, die Frauenrollen spielen, gibt es so lange, wie das Theater selbst: Im England zu Shakespeares Zeiten spielten Männer sämtliche Frauenrollen auf der Bühne. In seiner heutigen Form entstand Drag im Vaudeville-Theater des 19. Jahrhunderts. Hier gehörten Frauenimitatoren zu den beliebtesten (und bestbezahlten) Unterhaltungskünstlern.
Das Spiel mit den Geschlechternormen zog dabei natürlich auch immer Menschen an, die sich in ihrer Sexualität oder Gender-Identität nicht der Hetero- und Cis-Norm zugehörig fühlten. In der Pride-Bewegung waren Drag Queens immer Zielscheibe für Anfeindungen, von außerhalb ebenso wie innerhalb der Community – und sind es leider noch bis heute.
Sie sind aber auch mithin die sichtbarsten Vertreter*innen der queeren Gleichberechtigungsbewegung: Berühmt wurde etwa Marsha P. Johnson, die 1969 an vorderster Front bei den Aufständen in der New Yorker Christopher Street gegen Polizeigewalt ankämpfte, um für die Rechte von Schwulen und Lesben einzutreten.
MIt „Ru Paul’s Drag Race“ erobert Drag das Wohnzimmer
Drag als Kunstform ist in den letzten Jahren auch in der breiten Masse immer populärer geworden. Maßgeblich verantwortlich für diesen Erfolg ist die amerikanische Reality-Show „Ru Paul’s Drag Race“. Vom heimischen Sofa verfolgen Millionen Zuschauer*innen, wie Drag Queens in Näh-, Schauspiel- und Tanz-Wettbewerben und bei thematischen Runways um den Titel „Amerikas nächster Drag-Superstar“ und ein Preisgeld von 200.000 US-Dollar kämpfen.
Die Teilnehmer*innen der US-Show haben eine internationale Fangemeinde und füllen auch in Deutschland große Hallen und Arenen. Ein deutscher Ableger der Sendung war lange im Gespräch, nun soll die erste Staffel am 5. September über den Streamingdienst Paramount Plus erscheinen. Die Moderation übernehmen die Berliner Drag-Ikone Barbie Breakout und der schwule Moderator und Autor Gianni Jovanovic.
Im Fadenkreuz konservativer Politiker
Mit der steigenden Popularität gerät die queere Kunstform dabei immer mehr ins Fadenkreuz der konservativen Politik, die in ihr den Inbegriff einer „woken Agenda“ zu erkennen glaubt. Der republikanisch regierte US-Bundestaat Tennessee verbot im März die Darstellung von Drag in der Öffentlichkeit, unter dem Deckmantel des Jugendschutzes. Der Bann wurde Anfang Juni durch einen Bundesrichter als „nicht verfassungskonform“ zurückgewiesen und aufgehoben.
Auch in Deutschland haben Konservative das Thema jüngst für sich entdeckt, vor allem im bayerischen Landtagswahlkampf: Anfang Mai kritisierten konservative Politiker eine geplante Kinderlesung einer Drag Queen und eines Drag Kings an der Münchner Stadtbibliothek.
Bayerns Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) schrieb auf Twitter: „Kinder mit sowas zu konfrontieren ist Kindeswohlgefährdung, nicht 'Weltoffenheit'“. Die CSU-Fraktion im Münchner Bezirksausschuss Bogenhausen sprach sich für ein Verbot aus. Auch die AfD Bayern nutzte die öffentliche Debatte für ihren Wahlkampf und veröffentlichte ein Plakat, das einen Zusammenhang zwischen queeren Menschen und Kindesmissbrauch nahelegt.
„Man spürt einfach den lebendigen Vibe der Community.“
Alle Kritik scheint der Beliebtheit von Drag aber keinen Abbruch zu tun. Den Wandel merken auch die Mannheimer Drag-Performer*innen: „Wie jung die Leute geworden sind, das ist unglaublich für mich“, meint Jonas in der SWR-Doku. „Man spürt einfach den lebendigen Vibe der Community. Es pulsiert. Und darum will ich hier sein.“
Die Geschichten der Queens in „Drags of Monnem“ ähneln sich alle: Sie erzählen von Hänseleien in der Kindheit, vom Wissen irgendwie „anders“ zu sein als die anderen Jungs. Noch lange, bevor sie wussten, was „schwul“ oder „queer“ überhaupt bedeutete. Drag gab und gibt ihnen die Möglichkeit, ihr Anderssein zu feiern und damit sich selbst und anderen Menschen Kraft, Freude und Selbstvertrauen zu schenken.
„Wir hoffen, dass ein Gefühl von Stärke zurückbleibt und Verstandensein“, sagt Jonas. „Der Krieg, der uns und unsere Identität am meisten betrifft, ist immer relevant und wird auch immer relevant sein.“