2019 war Gabriele Tergits großer Familienroman „Effingers“ von 1951 die große Wiederentdeckung. In den Wirtschaftswunderjahren wollte sich kaum jemand mit der Chronik einer deutsch-jüdischen Familie aus der Zeit zwischen 1878 – 1942 auseinandersetzen. Am Badischen Staatstheater ist jetzt die Theaterfassung zu sehen.
Eine erfolgreiche Schraubenfabrik in Berlin
Der junge Kaufmann Paul Effinger träumt davon, Gasmotoren herzustellen. Aber er ist bescheiden und möchte erst einmal mit einer Schrauben-Produktion anfangen. Am liebsten zu Hause, im süddeutschen Kraxheim.
Doch da steht man seinen Plänen ablehnend gegenüber und da bleibt dem jungen Paul nichts anderes übrig, als ins aufstrebende Berlin zu ziehen, wo bereits sein Bruder Karl lebt.
Pauls Schraubenfabrik hat einen schweren Start, aber dann floriert sie. Sein Bruder Karl macht die Bekanntschaft zweier Bankiersfamilien – wie er selbst Juden. Damit beginnt der wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufstieg der Effingers.
Familienroman über vier Generationen
Regisseur Ronny Jakubaschk war von diesem vier Generationen umspannenden Familienroman sofort begeistert. Gut 900 Seiten hat er – und die haben Regisseur Ronny Jakubaschk und Dramaturg Haucke Pockrandt auf dreieinhalb Stunden eingedampft.
Dabei ist die Figur des Paul Effinger die Klammer, so wie auch im Roman. Bei der Bühnenfassung war den beiden Autoren wichtig, dass sie trotz Raffungen und Streichungen das große zeitliche und personelle Panorama beibehalten. Und das in zwei Teilen, die sich sprachlich und ästhetisch stark unterscheiden. Der Bruch liegt bei der Jahrhundertwende.
Geschichte wird aus der Enkel-Perspektive erzählt
Die Geschichte wird auf der Bühne hauptsächlich aus der Enkel-Perspektive erzählt. Gabriele Tergit hat ihren Roman sehr dialogisch geschrieben –was dem Theater natürlich entgegenkommt. Neben kleinen Spielszenen gibt es aber auch lange Erzähl-Passagen.
Im ersten Teil sind es ausführliche Beschreibungen von Kleidern und Möbelstücken, die einem die verschiedenen Milieus vor Augen führen. Gabriele Tergit war Gerichtsreporterin und hatte nicht nur Einblicke in die schillernde Welt des Großbürgertums, sondern auch in die Lebensverhältnisse der kleinen Leute und des Proletariats in Berlin.
„Effingers“ erinnert an die „Buddenbrooks“
In dem Roman „Effingers“ und in der Bühnenfassung wird viel über Handel und Wirtschaft gesprochen. Schließlich sind die Familien Unternehmer und Bankiers. Nicht umsonst wurde „Effingers“ immer wieder mit den „Buddenbrooks“ verglichen. Dass die Effingers Juden sind, spielt anfangs kaum eine Rolle.
Der Fokus des Romans – und der Bühnenfassung – liegt auf den Jahrzehnten vor dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg, also auf der Zeit, die dem Nationalsozialismus den Boden bereitet hat. Und da lassen sich viele Bezüge zu heute finden, ohne dass die Inszenierung einer herbeigezwungenen Aktualisierung bedarf.