Im Prozess vor dem Landgericht Ulm wurde seit Juni der tödliche Messerangriff in Illerkirchberg vor einem halben Jahr aufgearbeitet. Seit der Tat hat sich der Ort verändert, die Aufarbeitung dauert bis heute an. Eine Chronologie der Ereignisse:
- Die Tat in Illerkirchberg
- Die Tage nach dem Angriff
- Schlaglicht auf ein anderes Verbrechen
- Der offene Brief der Eltern des getöteten Mädchens
- Erste Vernehmung des 27-jährigen Eritreers
- Emotionaler Appell beim Bürgerdialog in Illerkirchberg
- Anklage: Einzelheiten zum Motiv
- Abriss der Flüchtlingsunterkunft
- Prozess vor dem Landgericht Ulm
- Urteil: Lebenslange Haft mit besonderer Schwere der Schuld
- Revision: Anwältin legt Revision gegen Urteil ein
5. Dezember 2022 - Der Tattag
Die Tat geschah am frühen Montagmorgen des 5. Dezember im Illerkirchberger Ortsteil Oberkirchberg. Zunächst ist die Rede von zwei schwer verletzten Kindern. Ein bis dahin unbekannter Täter hat die Mädchen auf dem Schulweg angegriffen und sei dann geflohen. Am Nachmittag sorgt die Nachricht für Entsetzen, dass eines der angegriffenen Mädchen im Krankenhaus gestorben ist.
Der Tatverdächtige, ein 27-jähriger Mann aus Eritrea, wird in einer nahe gelegenen Flüchtlingsunterkunft festgenommen. Er wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht, die Verletzungen hat er sich offenbar selbst zugefügt. Ein Messer, das als Tatwaffe gilt, wird sichergestellt.
Noch am selben Abend kommen viele Illerkirchbergerinnen und Illerkirchberger zum Tatort, legen Blumen nieder und trauern mit den betroffenen Familien.
6. Dezember 2022 - Spurensicherung und erste Vernehmung
Die Spurensicherung am Tatort läuft. Außerdem wird der tatverdächtige Eritreer erstmals vernommen. Er macht keine Angaben zur Sache, teilt die Staatsanwaltschaft Ulm mit. Ein Motiv ist nicht erkennbar. Der Mann befindet sich unter polizeilicher Bewachung im Krankenhaus.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) besucht Illerkirchberg und spricht den Angehörigen sein Beileid aus. Er wird vom türkischen Botschafter Ahmet Basar Sen begleitet. Das getötete Mädchen hat einen türkischen Migrationshintergrund. Am Abend kommen hunderte Menschen zu einem Trauergottesdienst in die katholische Kirche nach Illerkirchberg.
7. Dezember 2022 - Beerdigung des Opfers unter großer Anteilnahme
Das getötete Mädchen wird unter der Anteilnahme von mehr als 1.000 Menschen auf dem Friedhof in Illerkirchberg beigesetzt. Mitschülerinnen und Mitschüler, Mitglieder der alevitischen Gemeinde, Bürgerinnen und Bürger von Illerkirchberg sind vor Ort. In die Trauer mischt sich Wut über die Tat.
Getötete 14-Jährige Mehr als 1.000 Menschen bei Beerdigung in Illerkirchberg
Zur Beerdigung der 14-Jährigen aus Illerkirchberg im Alb-Donau-Kreis sind am Mittwochnachmittag mehr als 1.000 Menschen gekommen. Viele trugen ein Foto der Getöteten an der Jacke.
8. Dezember 2022 - Mitbewohner des Tatverdächtigen stirbt
Illerkirchbergs Bürgermeister Markus Häußler (parteilos) wendet sich in einem offenen Brief an besorgte Bürgerinnen und Bürger. Er bittet darum, den in der Gemeinde lebenden Geflüchteten weiterhin offen zu begegnen, sie nicht unter Generalverdacht zu stellen. Es habe vor der Tat keine Warnzeichen gegeben.
Am Nachmittag dieses Tages wird bekannt, dass sich einer der beiden Mitbewohner des Tatverdächtigen das Leben genommen hat. Beide Mitbewohner waren am Tattag ebenfalls festgenommen worden, kamen am Abend aber wieder frei. Der 25-Jährige kam ebenfalls aus Eritrea.
10. Dezember 2022 - Erste Demonstrationen in Illerkirchberg
Zwei Demonstrationen gibt es im Zusammenhang mit dem tödlichen Messerangriff in Illerkirchberg: Die AfD hat zu einer Demonstration gegen die Migrationspolitik aufgerufen. Es kommen 150 Menschen. 80 Anwohnerinnen und Anwohner versammeln sich spontan zu einer Gegendemo. Es sollten nicht die einzigen Demonstrationen bleiben: Es folgen Mahnwachen, Demonstrationen und Friedensgebete.
Eine Woche nach dem Tod der 14-Jährigen So ist die Stimmung in Illerkirchberg nach der Messerattacke
Die kleine Gemeinde Illerkirchberg im Alb-Donau-Kreis ist aufgewühlt. Seit der Bluttat vom 5. Dezember ist quasi nichts mehr, wie es war - die Stimmung gedrückt, gereizt, traurig.
14. Dezember 2022 - Diskussion um Abschiebung straffälliger Asylbewerber
Die Erinnerung an ein anderes, schweres Verbrechen in Illerkirchberg wird wieder ins Bewusstsein gerufen: Im Jahr 2019 haben vier Männer in einer Flüchtlingsunterkunft ein 14-jähriges Mädchen vergewaltigt. Zeitungen berichten, dass einer der verurteilten Männer weiterhin in der Gemeinde wohnt. Der Afghane hatte nach der Verurteilung abgeschoben werden sollen. Die Sicherheitslage in Afghanistan verhinderte das. Es werden wieder Forderungen nach einer Abschiebung laut.
Im Landtag in Stuttgart gibt es an dem Tag eine Schweigeminute nach der tödlichen Messerattacke in Illerkirchberg. Innenminister Strobl fordert eine konsequente Abschiebung straffälliger Asylbewerber.
15. Dezember 2022 - Offener Brief der Eltern des Opfers
Die Eltern des getöteten Mädchens melden sich zu Wort: "Kein Groll und keine Wut sind es wert, unseren gemeinsamen Frieden zu opfern." Das schreiben sie in einem offenen Brief. Sie bitten darum, ihre Situation nicht politisch zu missbrauchen. Der Tatort solle eine Stelle für Trauer und Begegnung sein, nicht für politische Parolen. Sie wünschen sich Frieden für den Ort. Eine Woche später gehen auch die Eltern des verletzten 13-jährigen Mädchens an die Öffentlichkeit. Auch sie wollen Ruhe und Zeit für die Trauer und fordern, dass die Tat nicht politisch instrumentalisiert wird.
4. Januar 2023 - Vernehmung des Tatverdächtigen
Die Staatsanwaltschaft gibt bekannt, dass der verdächtige 27-jährige Mann aus Eritrea im Gefängniskrankenhaus befragt wurde. Der Mann habe demnach zugegeben, am Tattag mehrfach auf ein Mädchen eingestochen zu haben. Er habe die Mädchen nicht gekannt. Ein Motiv nennt die Staatsanwaltschaft nicht.
18. Januar 2023 - Ein Bürgerdialog in Illerkirchberg
Die Gemeinde lädt Bürgerinnen und Bürger ein, über die Folgen der Tat und die Sicherheit im Ort zu sprechen. Während der Diskussion ergreift der Vater des getöteten Mädchens das Mikrofon. Er wendet sich mit emotionalen Worten an die Verwaltung und die Mitbürgerinnen und Mitbürger. Er bittet darum, das Haus, in dem der Tatverdächtige gelebt hat, abzureißen und dort eine Blumenwiese zu pflanzen. Viele äußern an dem Abend ihre Ängste und Unverständnis dafür, dass der verurteilte Vergewaltiger nicht abgeschoben wird.
Nach tödlichem Messerangriff auf 14-Jährige Bürgerdialog in Illerkirchberg: Vater des Opfers spricht
Hunderte Menschen sind nach dem gewaltsamen Tod eines 14-jährigen Mädchens in Illerkirchberg zu einem Bürgerdialog gekommen. Bewegend wurde es, als der Vater des Opfers plötzlich am Mikrofon spricht.
28. Februar 2023 - Anklage wegen Mordes: Einzelheiten zum Motiv werden bekannt
Die Ermittlungen sind abgeschlossen, die Staatsanwaltschaft veröffentlicht ihre Erkenntnisse in der Anklageerhebung. Der 27-Jährige wird wegen Mordes und versuchten Mordes anklagt. Das Motiv der Tat wird bekannt und löst erneut Schrecken aus: Der 27-Jährige hat laut den Ermittlern erklärt, dass er am Tattag mit einem Messer bewaffnet zum Landratsamt des Alb-Donau-Kreises fahren wollte, um einen Pass zu erzwingen. Als er in Illerkirchberg aus der Türe trat, habe er den Verdacht gehabt, die Mädchen hätten das Messer gesehen. Spontan habe er beschlossen, sie zu töten.
Die Erkenntnisse lösen in der betroffenen Behörde in Ulm einen Schock aus. Eine Sprecherin erklärt bei Bekanntwerden der Details, dass nun die Sicherheitsvorkehrungen überprüft werden sollen.
5. April 2023 - Die Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg wird abgerissen
Im April beginnt der Abriss der Flüchtlingsunterkunft, in der der Tatverdächtige lebte. Ein Bauzaun verbirgt die Arbeiten. Zunächst wird das Haus ausgeräumt und entkernt. Anfang Mai ist das Gebäude dann weg. Was auf dem Areal passieren soll, dazu will die Gemeinde auch die Bürgerinnen und Bürger befragen.
10. Mai 2023 - Prozessbeginn steht fest
Der Prozess ist zunächst auf fünf Verhandlungstage angesetzt, es werden zwei Sachverständige und 16 Zeugen gehört. Die Eltern des getöteten Mädchens treten laut Mitteilung des Gerichts als Nebenkläger auf, werden dem Prozess aber fernbleiben. Auch die verletzte 13-Jährige ist Nebenklägerin, vertreten durch ihre Eltern.
2. Juni 2023 - Prozess vor dem Landgericht Ulm startet
Zum Auftakt nennt die Staatsanwältin weitere Hintergründe in der Anklage - unter anderem, dass der 27-jährige Angeklagte für eine Heirat ausreisen wollte. Er habe fälschlicherweise angenommen, die Mädchen hätten am Tattag sein Messer bemerkt und habe verhindern wollen, dass sie die Polizei rufen. Der Eritreer sei bewaffnet auf dem Weg zum Landratsamt des Alb-Donau-Kreises gewesen. Laut Staatsanwältin habe er einen Reisepass erpressen wollen, um nach Äthiopien zu reisen. Dort habe er heiraten wollen. Die Mädchen seien Zufallsopfer gewesen.
13. Juni 2023 - Polizeibeamter sagt am zweiten Prozesstag aus
Am zweiten Verhandlungstag wird der Streifenbeamte in den Zeugenstand gerufen, der zuerst am Tatort in Illerkirchberg gewesen war. Er beschreibt die Situation mit Tränen in den Augen. Es werden weitere Zeugen befragt. Der Angeklagte dagegen schweigt.
20. Juni 2023 - Aussage der Freundin des tödlich verletzten Mädchens wird gezeigt
Vor Gericht wird am dritten Prozesstag die Video-Aussage der 13-jährigen Freundin des getöteten Mädchens gezeigt. Sie hat demnach nicht gesehen, dass der Angreifer ein Messer bei sich trug. Der Angriff sei völlig überraschend gekommen. Ein Gutachter hält den Angeklagten für schuldfähig. Psychische Störungen habe er nicht feststellen können. Auch eine Persönlichkeitsstörung schließt der Gutachter aus, genauso wie eine Tat im Affekt.
Mordprozess vor Landgericht Ulm Illerkirchberg: Staatsanwältin fordert lebenslange Haft
Im Mordprozess von Illerkirchberg sind am Dienstag die Plädoyers gehalten worden. Ein Mann aus Eritrea soll eine 14-Jährige getötet und ihre 13-jährige Freundin schwer verletzt haben.
27. Juni 2023 - Alle Seiten fordern lebenslange Haft
Die Staatsanwältin plädiert auf eine lebenslange Haftstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die beiden Nebenklagevertreter schließen sich in ihren Plädoyers der Staatsanwaltschaft an. Die Verteidigung des Angeklagten fordert ebenfalls eine lebenslange Haft, sieht aber keine besondere Schwere der Schuld. An diesem vierten Verhandlungstag macht der Angeklagte erstmals selbst Angaben zu seiner Person. Schließlich erklärt er, dass er selbst von der Tat schockiert sei und der Familie sein Beileid ausspreche. Er bereue sie und wolle sich entschuldigen.
4. Juli 2023 - Urteil: Lebenslange Haft für den Angeklagten
Das Landgericht Ulm verurteilt den 27-Jährigen wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Richter stellen außerdem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen.
10. Juli 2023 - Anwältin legt Revision gegen Urteil ein
Innerhalb der festgesetzten Ein-Wochen-Frist hat die Anwältin des 27-jährigen Angeklagten Revision gegen das Urteil eingelegt. Man wolle das schriftliche Urteil lesen, bevor abschließend über die Durchführung des Rechtsmittels entschieden werde, so die Begründung. Im September teilte die Anwältin mit, an der Revision festhalten und diese begründen zu wollen. Es gehe um den Punkt "besondere Schwere der Schuld". Damit ist in der Regel eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nahezu ausgeschlossen. Dies habe zur Folge, dass eine Abschiebung ihres Mandanten womöglich erst Jahre später erfolgen könne. Der 27-Jährige habe aber den Wunsch, abgeschoben zu werden.