Das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und der Flughafen Stuttgart müssen sich nicht an den Mehrkosten des Bahnprojekts Stuttgart 21 beteiligen. Das hat das Verwaltungsgericht in Stuttgart am Dienstagnachmittag mitgeteilt. Entsprechende Klagen der Bahn wurden abgewiesen. Das Unternehmen hat auch die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Bahn prüft, Urteil anzufechten
Die Klagen seien teils unzulässig und teils zulässig, aber unbegründet, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern bei der Urteilsverkündung. Seit einem Jahr war vor Gericht verhandelt worden, ob die Bahn die Mehrkosten von aktuell rund sieben Milliarden Euro alleine tragen muss oder ob sich die Projektpartner an den Mehrkosten beteiligen müssen. Insgesamt rechnet die Bahn für das Projekt mit Gesamtkosten von rund 11,5 Milliarden Euro. Die Bahn hatte bereits vor der Gerichtsentscheidung angekündigt, im Falle einer Niederlage das Urteil anzufechten. Nach dem Urteil sagte Bahn-Konzernsprecher Achim Stauß dem SWR, man warte jetzt auf das ausformulierte Urteil und prüfe dann welche weiteren Schritte eingeleitet werden können.
Streitpunkt S21-Mehrkosten und "Sprechklausel"
Wer die Mehrkosten trägt, war bislang unklar. Zwar hatten die Projektpartner eine sogenannte Sprechklausel vereinbart. Was damit aber genau gemeint ist, war aber umstritten. Die Bahn ging von einer "gemeinsamen Finanzierungsverantwortung" aus. Das heißt, die Sprechklausel hätte laut Bahn einen Anspruch auf weitere Finanzierungsbeteiligung begründet. Die Projektpartner sahen das anders und argumentierten, dass Festbeträge vereinbart worden seien.
Gerichtsverfahren geht weiter S21-Mehrkosten: Droht Stuttgart durch Klage ein finanzieller Kollaps?
Wer muss die Mehrkosten für Stuttgart 21 zahlen? Darüber streiten die Bahnprojektpartner vor Gericht. Die Stadt Stuttgart und der Flughafen erklärten nun: Sie können sich das nicht leisten.
Für die Projektpartner hätte eine Beteiligung an den Mehrkosten massive Belastungen bedeutet. Die Stadt Stuttgart hatte in einer Verhandlung vor möglichen negativen Folgen für den kommunalen Haushalt gewarnt. Bei einer Beteiligung müssten die Investitionen auf längere Zeit eingestellt werden, hatte ein Vertreter der Stadt vor dem Verwaltungsgericht betont. Auch die anderen Projektpartner hatten auf mögliche negative Folgen für ihre Haushalte hingewiesen. Auf das Land Baden-Württemberg wären nach Informationen des Verkehrsministeriums im Falle einer Beteiligung Mehrkosten in Höhe von rund 2,8 Milliarden Euro zugekommen.
Vertreter von Stadt Stuttgart und Land begrüßten das Urteil. Sie bezeichneten den Prozess als außergewöhnlich - in vielerlei Hinsicht. So verwies der Anwalt des Landes Baden-Württemberg Henning Berger beispielsweise auf die Prozesslänge: "Die Klage wurde im Jahr 2016 eingereicht, im Jahr 2024 bekommen wir das Urteil. Es gab vier mündliche Verhandlungen im vergangenen und in diesem Jahr. Die Parteien haben unglaublich viel zur Vertragsgeschichte und zur weiteren Entwicklung vorgetragen."
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sprach von "Erleichterung und Zufriedenheit": "Wir waren von unserer Rechtsauffassung überzeugt, dennoch ist uns ein 1,3 Milliarden Stein vom Herzen gefallen", so der Politiker.
Was bedeutet das Urteil für die Bahn?
Dass die gesamten Mehrkosten von sieben Milliarden Euro die Bahn laut Urteil allein tragen muss, könnte Folgen haben. Bahn-Sprecher Stauß blieb nach dem Urteil sehr vage. Er wolle nichts über andere Projekte sagen. Doch klar ist: Die Bahn hat finanzielle Probleme. Dabei darf man nicht vergessen: Die Gesamtkosten in Höhe von 11,5 Milliarden Euro für Stuttgart 21 werden nicht auf einen Schlag gezahlt. Der größte Teil wurde laut Bahn schon verrechnet. Doch das Grundproblem bleibt: Die Bahn muss über die Jahre auch die sieben Milliarden Euro Mehrkosten im Haushalt unterbringen.
Das Urteil muss also auch im Gesamtzusammenhang der Bahn in Deutschland betrachten werden. 12,5 Milliarden Euro sollten ursprünglich aus dem Klima- und Transformationsfondsgesetz in die Bahn fließen. Davon sollten Sanierungsarbeiten und Neubauprojekte finanziert werden. Nach dem Haushaltsurteil fehlen diese Milliarden der Bahn in den kommenden Jahren. Zwar stellt auch der Bund der Bahn im Jahr 2024 mehr Mittel zur Verfügung als im Vorjahr - insgesamt über 17 Milliarden Euro - davon sind für den Neu- und Ausbau aber nur knapp 1,7 Milliarden vorgesehen. Unschwer zu erkennen, dass das Geld knapp wird.
Experten: Bahn muss priorisieren, welche Projekte finanzierbar sind
Experten befürchten, dass die Bahn früher oder später priorisieren muss, welche Neubauprojekte noch realisierbar sind und welche vorerst auf Eis gelegt werden müssen. Betroffen davon könnten auch Projekte in Baden-Württemberg sein wie die Neubaustrecke Frankfurt - Mannheim. Oder bei Stuttgart der Bau des sogenannten Pfaffensteigtunnels (ein Folgeprojekt von Stuttgart 21, das den Süden von Baden-Württemberg nach Fertigstellung des Tiefbahnhofs an die Landeshauptstadt anschließen soll). Ein früherer Bahnmanager erklärte dem SWR, man dürfe nicht erwarten, dass die Verkehrsminister der anderen Bundesländer akzeptieren werden, dass erneut der größte Teil der Investitionen nach Baden-Württemberg wandern werde. Denn auch in Norddeutschland wie zwischen Hamburg und Hannover soll dringend das Streckennetz ausgebaut werden.
Hintergrund zum Milliardenprojekt Stuttgart 21: Chronologie der Kostenexplosion
Seit den ersten Plänen für eine Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs sind die prognostizierten Kosten für das umstrittene Bahnprojekt in die Höhe geschnellt. Wir dokumentieren die Kostenexplosion.
Stuttgart 21: Kosten sind in den vergangenen Jahren explodiert
Um rund sieben Milliarden Euro Mehrkosten geht es aktuell. Denn erst im Dezember 2023 hatte die Bahn bekannt gegeben, dass der Kostenrahmen erneut gerissen wurde. Insgesamt 11,5 Milliarden Euro kostet das gesamte Projekt aktuell. Gleichzeitig wackelt der Eröffnungstermin. Schon jetzt ist klar, dass Stuttgart 21 nicht wie zuletzt geplant im kommenden Jahr eröffnet werden kann. Doch jede Verzögerung bringt automatisch auch weitere Kostensteigerungen mit sich. Kostensteigerungen, die am Ende irgendjemand zahlen muss.