Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat am Freitag in Rottweil vorgestellt, wie mit der Unterbrechung der Gäubahn ab Sommer 2026 umgegangen werden soll. Das Angebot auf dem verbleibendem Streckenabschnitt zwischen Stuttgart-Vaihingen und Singen soll ausgebaut und die S-Bahn von Stuttgart bis Horb (Kreis Freudenstadt) verlängert werden. Alles für die Übergangszeit, bis der Pfaffensteigtunnel fertig ist. Doch kann der überhaupt so schnell gebaut werden, wie aktuell geplant?
Ersatzkonzept Gäubahn: S-Bahn wird nach Horb verlängert, zusätzliche Züge
An Werktagen soll die S-Bahnlinie S1 nicht nur bis Herrenberg, sondern einmal stündlich bis nach Horb fahren, so die Verantwortlichen auf der Pressekonferenz. Damit soll es von Horb aus weiterhin eine durchgehende, umsteigefreie Verbindung bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof geben. Denn die S-Bahn fährt - im Vergleich zu Fern- und Nahverkehr - ab Stuttgart-Vaihingen über den Stammstreckentunnel in die Innenstadt. Für alle anderen Züge aus Zürich und Singen Richtung Stuttgart ist dann aber in Stuttgart-Vaihingen Endstation. Von dort müssen dann Fahrgäste in die S-Bahn oder in die Stadtbahn umsteigen, um weiter in die Innenstadt und zum Hauptbahnhof zu kommen.
Die Verlängerung der S-Bahn während der Unterbrechung wurde in den vergangenen Monaten immer wieder diskutiert:
Unterbrechung durch Stuttgart 21 Gäubahn: Wird die S1 nach Horb verlängert?
Ab 2025 soll für mindestens sieben Jahre die Strecke Zürich - Stuttgart unterbrochen werden. Das sorgt seit Jahren für Ärger. Eine mögliche Lösung: die Verlängerung der S-Bahn bis Horb.
Im Fernverkehr soll auch während der Unterbrechung der stündliche Intercity auf der Gäubahn verkehren. Bisher ist im Intercity auf dem Abschnitt Stuttgart-Singen auch ein Nahverkehrsticket oder das Deutschlandticket gültig. Das soll laut Verkehrsminister Hermann auch so bleiben. Darüber hinaus soll im Nahverkehr eine neue Linie, der Metropolexpress MEX, eingerichtet werden. Der soll halbstündlich zwischen Stuttgart-Vaihingen und Horb und zu den Hauptverkehrszeiten auch bis nach Rottweil fahren.
Darüber hinaus soll auch im Süden der Gäubahn das Angebot ausgebaut werden. Weitere Züge sollen zwischen Rottweil und Tuttlingen sowie zwischen Tuttlingen und Singen und zwischen Singen und Konstanz verkehren. Auch auf der im Süden verlaufenden Schwarzwaldbahn soll ein zusätzlicher Zug fahren und damit weitere Alternativen zur Gäubahn schaffen.
Bauantrag eingereicht: Pfaffensteigtunnel soll Unterbrechung beenden
Die Unterbrechung der Gäubahn soll solange bestehen, bis der sogenannte Pfaffensteigtunnel gebaut ist. Dann können die Züge direkt in den neuen Tiefbahnhof von Stuttgart 21 fahren. Vergangene Woche hat die Bahn die Planfeststellungsunterlagen eingereicht. Die Planung des Tunnels sei im Rekordtempo erfolgt, sagte die Bahn.
Erstmals habe man im Rahmen eines Pilotprojekts die Zeit der Planung beschleunigt. Alle Partner hätten sich bereits von Anfang an in die Entwurfs- und Genehmigungsplanung der Gewerke eingebracht. Dadurch hätte man auch Kosten sparen können, so die Bahn. So könnte bereits 2026 mit dem Bau des Tunnels begonnen werden, eine Inbetriebnahme sei dann für das Jahr 2032 vorgesehen.
Im Sommer 2022 beschlossen die Projektpartner die Änderung des Planfeststellungsbeschlusses von Stuttgart 21 und machten den Weg für den Pfaffensteigtunnel frei:
Wie realistisch ist der Pfaffensteigtunnel?
Während normalerweise bei Stuttgart 21 unter den Projektpartnern viel gestritten wird, herrscht beim Pfaffensteigtunnel über die Umsetzung Einigkeit. Der Tunnel soll kommen. Am neuen Flughafenbahnhof wurden daher auch schon bei den Bauarbeiten Vorkehrungen getroffen, damit später bei Fertigstellung der neue Tunnel angeschlossen werden kann. Alle scheinen davon auszugehen, dass der Tunnel gebaut wird.
Wer wird den Pfaffensteigtunnel bezahlen?
Nur die Frage nach der Finanzierung ist noch nicht geklärt. Aus Bahnkreisen hat der SWR erfahren, dass lediglich die Planungsphase durchfinanziert sei. Also bis zur Einreichung des Bauantrages vergangene Woche. Bisher geht man von einem Kostenrahmen von rund einer Milliarde Euro aus für den Tunnel. Kritiker rechnen mit zwei bis drei Milliarden. Doch erst mit Einreichung der Planung und der daraus resultierenden Kostenberechnung wird sich laut Bahnexperten ein konkreterer Kostenrahmen abzeichnen.
Der Verkehrsclub Deutschland aus Baden-Württemberg (VCD) verweist auf ein ähnliches Tunnelprojekt der Bahn: der Bau des Offenburger Tunnels auf der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel. Ursprünglich mit 1,2 Milliarden einkalkuliert, liegt seit der letzten offiziellen Prognose aus dem Jahr 2020 bei 3,8 Milliarden. Bei solchen Kostenexplosionen dürfte auch Verkehrsminister Hermann klar sein, dass er um den Pfaffensteigtunnel fürchten muss. Am Freitag betonte er in Rottweil erneut: "Ich appeliere an Bund und Bahn, die Planung und den Bau des Pfaffensteigtunnels zügig voranzutreiben und die Finanzierung abzusichern."
Finanzloch: Der Bahn fehlt das Geld
Dabei hat sich die Situation in den vergangenen Monaten drastisch geändert. Denn das Finanzloch, das im Bundeshaushalt seit dem Haushaltsurteil klafft, ist enorm. 12,5 Milliarden Euro fehlen der Bahn für Sanierungs- und Neubauprojekte in den nächsten Jahren. Daher warnte bereits vor drei Wochen der VCD in Baden-Württemberg davor, sich auf den Pfaffensteigtunnel zu verlassen. "Es stehen jetzt bei der Bahn vor allem die Generalsanierungen an. Die werden priorisiert werden und da wird die Bahn zuerst das Geld ausgeben", erklärte Gero Treuner vom VCD dem SWR. Man müsse damit rechnen, dass der Pfaffensteigtunnel wegen fehlender Mittel gestrichen werden muss oder erst viele Jahre später kommt.
Auch andere Verkehrsexperten bestätigten dem SWR: Die Bahn werde das Geld vermutlich zuerst woanders ausgeben müssen. Nicht nur die Generalsanierung, auch andere Neubauprojekte wie die geplante Neubaustrecke zwischen Frankfurt und Mannheim dürften als wichtiger angesehen werden als der Bau des Pfaffensteigtunnels.
Viel Unsicherheit und mehrere Klagen eingereicht
Klar ist: Die Angst, dass die Unterbrechung der Gäubahn ein Dauerprovisorium wird, ist groß, nicht nur wegen der fehlenden Finanzierung. Im Einzugsgebiet entlang der Strecke von Stuttgart nach Singen leben 1,4 Millionen Menschen, die davon betroffen wären. Kritiker und Kommunen entlang der Gäubahn erklären, dass man bei den Erfahrungen rund um Stuttgart 21 nicht davon ausgehen kann, dass der Pfaffensteigtunnel im Zeitplan bleibt und wirklich schon 2032 fertig wird. Sowohl der VCD wie auch zahlreiche Umweltverbände und Kommunen entlang der Gäubahn fordern seit Jahren, dass daher ein Teil des alten Kopfbahnhofes in Stuttgart erhalten bleiben muss, damit die Züge von der Gäubahn weiterhin direkt den Stuttgarter Hauptbahnhof erreichen können.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat daher vergangenes Jahr eine Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim gegen das Eisenbahnbundesamt (EBA) eingereicht. Da ursprünglich nur von einer sechsmonatigen Unterbrechung ausgegangen wurde, es jetzt aber mehrere Jahre dauern wird, sei das ein Verstoß gegen den Planfeststellungsbeschluss von Stuttgart 21, argumentiert die DUH. Zuvor hatte die DUH einen entsprechenden Antrag beim EBA eingereicht, der abgewiesen wurde.
Auswirkungen von Stuttgart 21 Gäubahn-Kappung durch S21: Umwelthilfe will zur Not klagen
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will gegen die geplante Kappung der Gäubahn nach der S21-Fertigstellung vorgehen. Der Verband hofft dadurch auf einen Weiterbetrieb des Kopfbahnhofs.
Erst vor zwei Wochen zog der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV BW) nach. Dieser reichte Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart ein. Begründung: Man habe ebenfalls bereits 2022 beim Eisenbahnbundesamt (EBA) einen Antrag eingereicht, die Kappung der Gäubahn zu unterbinden, da es sich dabei um eine nicht genehmigte Stilllegung der Strecke handle. Auch den Antrag des LNV habe das EBA abgewiesen mit der Begründung, der Verband sei nicht befugt, solch einen Antrag zu stellen. Dagegen will der Landesnaturschutzverband nun gerichtlich vorgehen.
Der Pfaffensteigtunnel - ein Folgeprojekt von S21
Der Pfaffensteigtunnel ist offiziell kein Teil von Stuttgart 21. Ursprünglich war eine Anbindung der Gäubahn über die S-Bahn-Gleise am Flughafen vorgesehen. Das hätte aber zur Folge, dass zwischen Stuttgart, Singen und Zürich der geplante Deutschlandtakt nicht gefahren werden könnte. Daraufhin entschied man sich 2022, den sogenannten Pfaffensteigtunnel als eigenständiges Folgeprojekt zu realisieren, dessen Finanzierung und Umsetzung aus dem Stuttgart-21-Projekt ausgegliedert wurde. Die Kostensumme, die für die ursprüngliche Wegführung vorgesehen war, wurde umgewidmet, um die Vorbereitungen am Flughafenbahnhof für den Pfaffensteigtunnel treffen zu können.