Wohin im Notfall in Randzeiten?

Region Stuttgart: In Kirchheim/Teck schließt die erste Notfallpraxis

Stand

Von Autor/in Kerstin Rudat

Wer zukünftig am Wochenende oder in Randzeiten einen medizinischen Notfall hat, muss sich im Kreis Esslingen und bald auch woanders in der Region auf längere Fahrt- und Wartezeiten einstellen.

Die Notfallpraxis in Kirchheim unter Teck (Kreis Esslingen) muss zum 31. März schließen. Sie ist damit eine der ersten im Land - und in der Region Stuttgart. Es folgen noch Backnang (Rems-Murr-Kreis) und Herrenberg (Kreis Böblingen). Die Oberbürgermeister der betroffenen Kommunen und die seitherigen Träger der Notfallpraxen machen mobil. Zusammen mit zwei weiteren Kommunen hatte die Stadt Kirchheim beispielsweise die Schließung der Praxis vor Ort noch vor Gericht zu verhindern versucht, das Eilverfahren scheiterte aber.

Klage gescheitert: Kirchheims OB ist enttäuscht

"Das ist natürlich enttäuschend", so Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader (parteilos). Es bleibe noch, Beschwerde einzulegen, wegen der geringen Erfolgschancen lasse Kirchheim das aber bleiben. Bader findet jedoch gut, dass sich das Sozialgericht ausführlich mit der Frage beschäftigt hat, ob die Kommunen an den Umstrukturierungs- und Schließungsplänen der Kassenärztlichen Vereinigung BW hätten beteiligt werden müssen.

"Das Gericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine formelle Rechtslage für eine Beteiligung der Kommunen gibt", so Bader. "Das heißt aber auch: Es gibt bisher keine andere Rechtsprechung dazu." Deswegen blickt er dennoch einigermaßen optimistisch nach vorn und hofft jetzt auf das Hauptverfahren, das noch am Sozialgericht anhängig ist. Hier klagen 13 der 18 betroffenen Kommunen gegen die Schließungen. Das kann demnach völlig anders ausgehen als das Eilverfahren. Eine vergleichbare Lage hat das Sozialgericht zuvor noch nie beurteilen müssen.

Kommunen wollen weiter politisch Druck machen

"Zudem werden wir weiterhin politisch Druck ausüben", sagt Bader. Denn schon jetzt zeigten Zahlen aus Landstrichen, wo Notfallpraxen bereits geschlossen wurden, dass durchaus schneller der Rettungsdienst gerufen wird. "Das führt dazu, dass unser Notfallsystem langfristig teurer wird. Und auch der Ansturm auf die zentrale Notaufnahme in Krankenhäusern wird zunehmen."

Darauf stellen sich direkt ab kommendem Dienstag die Medius-Kliniken Nürtingen ein, an deren Standort Kirchheim/Teck die Räumlichkeiten für die Notfallpraxis seither vermietet wurden. "Wir bedauern die Schließung der Notfallpraxis", sagt Jörg Sagasser, Geschäftsführer der Medius-Kliniken. "Wir haben aber leider keinerlei Einfluss auf die Zuständigkeit."

Geschäftsführer Medius-Kliniken: "Personal bereits am Limit"

Man werde jetzt die Patientinnen und Patienten informieren und breit kommunizieren, dass sie in die Notfallpraxis nach Nürtingen oder gegebenenfalls sogar Esslingen fahren sollen, um nicht die Notaufnahme des Krankenhauses zusätzlich zu belasten. "Wir haben die große Sorge, dass die Patienten und Patientinnen nicht diese 15 Minuten längere Fahrt nach Nürtingen auf sich nehmen, sondern in die Notaufnahme unserer Klinik kommen. Dort arbeitet unser Personal aber bereits am Limit", so Sagasser. Er appelliert an die Menschen, im akuten Notfall besonnen zu handeln und nicht ins Krankenhaus zu gehen, wenn es zu vermeiden ist.

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"15 Minuten länger fahren geht ja noch, aber in Oberschwaben oder im Kreis Böblingen sieht es schon dramatischer aus", sagt Florian Wahl. "Wenn die Notfallpraxis in Herrenberg geschlossen wird, müssen die Leute im Akutfall nach Böblingen oder Tübingen, da fährt man länger." In einer alternden Gesellschaft seien solche Lücken in der Gesundheitsversorgung nicht hinnehmbar, viele hätten ja auch gar kein Auto. Wahl ist Landtagsabgeordneter für die SPD, sein Wahlkreis ist Böblingen, wo er auch im Kreistag sitzt. Zudem ist er gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Landtag. Die Schließung der Notfallpraxen beschäftigt ihn seit dem letztem Jahr also auf Landesebene und ganz konkret vor der Haustür durch die Schließung in Herrenberg.

Wie Bader und Sagasser macht Wahl vor allem die Belastung der Notaufnahmen zu schaffen. "Die Pläne bedeuten: In anderthalb Jahren werden 30 Prozent der Notfallpraxen in Baden-Württemberg geschlossen." Von Erhebungen zu bereits geschlossenen Standorten wisse man, dass die Nutzungszahlen in Notaufnahmen um 30 Prozent gestiegen seien und dies auch 30 Prozent längere Wartezeiten bedeute. Neben der größeren Belastung für das Personal habe das auch massive Auswirkungen für die Landkreise. Wahl nennt das Beispiel Böblingen, wo die Kliniken vom Klinikverbund Südwest betrieben werden, den wiederum die Kreise Böblingen und Calw tragen: "Wenn die Notfallpraxen in Herrenberg und Nagold im Kreis Calw geschlossen werden, gibt es ein zusätzliches Defizit von 1,5 Millionen Euro pro Jahr für den Klinikverbund."

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Nach Ansicht von Wahl führt auch die Art und Weise, wie die Schließungen geplant wurden, zu einem Vertrauensverlust in die Kassenärztliche Vereinigung und in Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). "Die Menschen haben sich vorher schon ganz große Sorgen um die medizinische Versorgung gemacht", so Wahl.

Rems-Murr-Kreis wollte alternative Struktur schaffen

Im Rems-Murr-Kreis, wo die Notfallpraxis in Schorndorf bereits 2023 geschlossen wurde, hatte man noch Alternativen versucht, um die Schließung der Notfallpraxis in Backnang Ende Juni etwas zu kompensieren. Zusammen mit der Kreisärzteschaft, den Rettungsdiensten und weiteren Akteuren in der Gesundheitsversorgung wurde im Herbst vergangenen Jahres von den Rems-Murr-Kliniken und dem Gesundheitsamt ein "Konzept Gesundheitspunkte" erarbeitet. Dieses wurde vom Kreistag gebilligt. Es sah Maßnahmen vor, um die akut-medizinische Versorgung in der Fläche zu sichern. Dazu hätten die Gesundheitszentren in Backnang, Schorndorf und Winnenden eingebunden werden sollen, die der Landkreis bereits unterhält. Auch die Einbindung von Telemedizin war angedacht.

Unter anderem sollten Angebote gebündelt, dafür aber andere Beratungsangebote oder die Begleitung von Patientinnen und Patienten vom eigentlichen medizinischen Geschäft getrennt werden. Sogenannte Patientenlotsen sollten dem Plan nach begleiten und schnell Termine oder Hilfsangebote an der richtigen Stelle vermitteln. Dadurch sollten die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte entlastet sowie eine Überlastung der Notaufnahmen in Winnenden und Schorndorf vermieden werden. Auch sei bereits mit Stiftungen die Finanzierung besprochen worden; laut Landratsamt habe es auch schon konkrete Finanzierungszusagen gegeben. Am Montag gab Landrat Richard Sigel (parteilos) bekannt, dass das Konzept der "Gesundheitspunkte" gescheitert sei.

Rems-Murr: Landrat Sigel appelliert an neue Bundesregierung

"Leider haben wir es nicht alleine in der Hand. Eine Entlastung der Ärzteschaft durch praktikable Lösungen scheint nicht gewollt", so Sigel. Zudem stünden aufgrund der unklaren Rechtslage Haftungsrisiken im Raum, die eine Umsetzung aus Sicht der KVBW nicht zuließen - und die Umsetzung damit auch für den Landkreis unmöglich machten. "Die Enttäuschung bei allen Beteiligten ist riesengroß." Deswegen appelliert Sigel an die neue Bundesregierung, für alternative Konzepte einen Rechtsrahmen zu schaffen.

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Es müsse möglich sein, neue Wege in der Gesundheitsversorgung zu gehen. SPD-Politiker Florian Wahl sieht auch auf Landesebene schon Stellschrauben: "Es ist seit Jahren versäumt worden, die gesamte gesundheitliche Versorgung in Baden-Württemberg aktiv anzupassen und dem Ärztemangel entgegenzusteuern, wie andere Länder es getan haben." Deswegen sei neben der Kassenärztlichen Vereinigung auch weiterhin das Land in die Pflicht zu nehmen.

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