Hintergrund zum Milliardenprojekt

Stuttgart 21: Chronologie der Kostenexplosion

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Frieder Kümmerer
Susan Pfahlbusch

Seit den ersten Plänen für eine Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs sind die prognostizierten Kosten für das umstrittene Bahnprojekt in die Höhe geschnellt. Wir dokumentieren die Kostenexplosion.

Als 1995 erstmals eine Rahmenvereinbarung über das Projekt Stuttgart 21 geschlossen wurde, standen 2,5 Milliarden Euro Kosten im Raum. Als der offizielle Finanzierungsvertrag im Jahr 2009 unterzeichnet wurde, gingen die Verantwortlichen von 4,53 Milliarden Euro aus. Inzwischen liegt der Finanzierungsrahmen offiziell bei 9,79 Milliarden Euro. Weitere Kostensteigerungen zeichnen sich bereits ab. Eine Chronologie der Kostenentwicklung:

Von der ersten Rahmenvereinbarung bis zum Finanzierungsvertrag

Stuttgart 21 historisch: Ein Archivbild von 1995 zeigt aus der Luft das Gelände des Stuttgarter Bahnhofes.
So sah der Hauptbahnhof 1995 aus, als die Rahmenvereinbarung über das Projekt Stuttgart 21 geschlossen wurde. Das Archivbild zeigt aus der Luft das Gelände des Stuttgarter Bahnhofes.


  • November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung. Die Gesamtkosten für das Projekt werden mit 4,893 Milliarden Mark (knapp 2,5 Milliarden Euro) veranschlagt.
  • September 2006: Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der Bahn gibt die neuen Kosten von Stuttgart 21 mit 2,8 Milliarden Euro an.
  • Juli 2007: Risikopuffer und Zahlungsmodalitäten werden in einem "Memorandum of Understanding" festgelegt.
  • 19. August 2008: Die Landesregierung räumt Mehrkosten bei Stuttgart 21 ein. Das Vorhaben soll jetzt 3,076 Milliarden Euro kosten.
  • 3. November 2008: Der Bundesrechnungshof prophezeit Mehrkosten von mehr als zwei Milliarden Euro. Die Prognose des Finanzkontrolleure für Stuttgart 21 lautet auf mehr als fünf Milliarden Euro.
  • 2. April 2009: Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), Bahn-Vorstand Stefan Garber sowie für den Flughafen Georg Fundel und Walter Schoefer unterzeichnen den Finanzierungsvertrag Stuttgart 21. Kostenstand für Stuttgart 21: gut drei Milliarden Euro. Zuzüglich eines Risikopuffers von 1,45 Milliarden Euro (also insgesamt rund 4,5 Milliarden Euro)

Bahn definiert "Sollbruchstelle" für Stuttgart 21


  • 8. November 2009: Bahn-Chef Rüdiger Grube legt die "Sollbruchstelle" für Stuttgart 21 mit 4,53 Milliarden Euro fest. Werde diese Grenze überschritten, müssten die Projektträger erneut über die Finanzierung sprechen.
  • 10. Dezember 2009: Nach dem Bahnaufsichtsrat stellen auch die anderen Geldgeber Land, Stadt und Region Stuttgart trotz einer Kostensteigerung auf jetzt 4,1 Milliarden Euro die Weichen für Stuttgart 21.

Die Bauarbeiten beginnen im Februar 2010


  • 27. Juli 2010: Bahn-Chef Grube gibt für die Schnellbahntrasse nach Ulm eine Kostensteigerung um 865 Millionen Euro auf 2,9 Milliarden Euro bekannt.
  • 11. August 2010: Ein Gutachten für das Umweltbundesamt wird bekannt, das für Stuttgart 21 und die neue Schnellbahntrasse eine weitere Kostenexplosion auf bis zu elf Milliarden Euro vorhersagt.
  • 8. September 2010: Auch nach einem neuen Gutachten des Münchner Ingenieurbüros Vieregg & Rössler droht eine Kostenexplosion. Danach werden sich die Ausgaben für die neue ICE-Trasse auf mindestens 5,3 Milliarden Euro belaufen. Für die Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart kamen sie auf 6,7 bis 8,7 Milliarden Euro.
  • 30. November 2010: Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler gibt der Bahn Nachbesserungen an Stuttgart 21 mit auf den Weg, deren Kosten sich nach Ansicht von Gegnern auf bis zu 500 Millionen Euro summieren könnten. Die Befürworter erwarten dagegen nicht mehr als 100 Millionen Euro Zusatzkosten.
  • 7. Dezember 2010: Die Bahn hat nach einem Zeitungsbericht schon bei der Unterzeichnung der Finanzierungsverträge für Stuttgart 21 im April 2009 deutliche Kostensteigerungen verschwiegen. Statt der im Vertrag genannten 3,076 Milliarden Euro hätten die Bahnplaner bereits Ende 2008 Kosten von 3,93 Milliarden Euro ermittelt.
  • 1. April 2011: Ein Brief des damaligen Bahn-Chefplaners Hany Azer an seinen Arbeitgeber nährt neue Zweifel an der Finanzierbarkeit. Geplante Einsparungen von 900 Millionen Euro, mit denen die Bahn die Kosten auf 4,1 Milliarden Euro drücken will, seien nur schwer realisierbar. Bekannt wird ebenfalls eine bahninterne Liste mit 121 Risiken in Höhe von 1,2 Milliarden Euro.
  • 14. August 2011: Das grüne Verkehrsministerium stellt Rechercheergebnisse vor, nach denen schon die schwarz-gelbe Koalition Zweifel an der Kalkulation der Bahn hatte. Demnach ist in einem Aktenvermerk von November 2009 festgehalten, die Kosten lägen nahe an fünf Milliarden Euro.
Der Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler (links) mit Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und dem damaligen Bahn-Technikvorstand Volker Kefer.
2010: Der Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler mit Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und dem damaligen Bahn-Technikvorstand Volker Kefer (von links nach rechts). Die Schlichtungen sind ein wichtiger Bestandteil der Stuttgart-21-Historie. Die Fronten von Gegner und Befürworter blieben aber bestehen.

Grün-Rot: keine Finanzierung von Mehrkosten oberhalb des Kostendeckels


  • 13. September 2011: Das grün-rote Kabinett macht mit einem Beschluss deutlich, dass das Land maximal 930 Millionen Euro zahlt, selbst wenn der Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro gesprengt werden sollte.
  • 16. September 2011: Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) gibt in einer Sondersitzung des Landtags die Stuttgart-21-Kosten erneut mit bis zu sechs Milliarden Euro an.
  • 23. März 2012: Die Bahn gibt bekannt, dass der Bahnhof voraussichtlich erst mit einem Jahr Verzögerung im Jahr 2020 in Betrieb geht - und sieht die Bausumme nach wichtigen Vergaben bei 4,3 Milliarden Euro.
  • 23. Oktober 2012: Der Flughafenbahnhof wird teurer. Die Bahn beziffert die Kosten für den sogenannten "Filderbahnhof plus" auf 760 Millionen Euro, 224 Millionen Euro mehr als bisher genannt.
  • 3. Dezember 2012: Aus Kreisen des Bahn-Aufsichtsrats heißt es, Stuttgart 21 könne rund eine Milliarde Euro teurer werden.
  • 6. Dezember 2012: Noch einmal 500 Millionen Euro mehr. Ein Vertreter des Bahn-Konzerns sagt dem Hessischen Rundfunk: "Insgesamt läuft es auf Kosten von sechs Milliarden hinaus."

Stuttgart 21: Mehrkosten in Milliardenhöhe


  • 12. Dezember 2012: Nach einer Neukalkulation räumt die Bahn offiziell ein, das ursprünglich auf 4,5 Milliarden Euro gedeckelte Vorhaben könne jetzt um bis zu 2,3 Milliarden Euro teurer werden. Ungeklärt ist, wie die prognostizierten Mehrkosten verteilt werden.
  • 16. Oktober 2013: Kurz vor dem Beginn des Planfeststellungsverfahrens für die Anbindung des Flughafens samt Fern- und Regionalbahnhof erwartet die Bahn deutlich höhere Kosten für diesen Abschnitt. Statt rund 530 Millionen Euro sind nun 716 Millionen Euro veranschlagt.
  • 16. Dezember 2015: Vieregg & Rössler legt im Auftrag des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 ein neues Gutachten vor. Demnach kommt allein die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs auf 9,8 Milliarden Euro - wegen nicht einkalkulierter Kosten für Grundwassermanagement und Brandschutz. Die Bahn dementiert.
  • Juni 2016: Aus einem internen Bericht der Bahn geht hervor, dass der finanzielle Puffer fast aufgebraucht ist. Der Finanzierungsrahmen liegt für den neuen Tiefbahnhof in Stuttgart und mehrere Tunnel demnach bei 6,526 Milliarden Euro. Die Kostenprognose bei 6,511 Milliarden Euro. Laut Bahn-Gutachten sind seit 2012 durch externe Faktoren Kostenrisiken in Höhe von 623 Millionen Euro hinzugekommen.
  • 5. Juli 2016: Es geraten Inhalte des Prüfberichts des Bundesrechnungshofes zu Stuttgart 21 an die Öffentlichkeit. Demnach könnte das Vorhaben bis zu zehn Milliarden Euro kosten.
  • 23. Dezember 2016: Die Bahn reicht Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart gegen die anderen Projektpartner ein. Sie will damit erreichen, dass sich das Land und die Stadt an den Mehrkosten beteiligen müssen. Diese lehnen das bislang ab.
  • 29. November 2017: Die Bahn gibt bekannt, dass sie nun einen Kostenrahmen von 7,6 Milliarden Euro für das umstrittene Projekt erwartet - also eine Milliarde Euro mehr als bekannt. Die Gesamtsumme einer noch unsicheren Finanzierung liegt damit bei 3,4 Milliarden Euro. Als Grund nennt die Bahn gestiegene Baukosten und Kosten für den Artenschutz. Die Fertigstellung verzögert sich außerdem auf Ende 2024.
Der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 wurde im Jahr 2009 von den Projektpartnern unterzeichnet.
Der Finanzierungsvertrag von 2009 sorgt immer wieder für Streit. Nicht zuletzt deswegen, weil er zum Thema Mehrkosten nur einen kurzen unklaren Passus beinhaltet. Die Bahn klagt deswegen gegen ihre Projektpartner.

Größerer Finanzrahmen und Risikopuffer für S21


  • 26. Januar 2018: Der Aufsichtsrat der Bahn stimmt in Berlin einem größeren Finanzrahmen für Stuttgart 21 zu. Der Grund: Jetzt ist von 8,2 Milliarden Euro und 2025 als Eröffnungstermin die Rede.
  • 7. Juni 2019: Wegen Preissteigerungen im Baubereich wird öffentlich, dass die Bahn einen Risikopuffer von rund einer halben Milliarde Euro nutzen möchte. Sie versichert aber, dass es bei den veranschlagten Gesamtkosten von 8,2 Milliarden Euro bleiben soll.
  • 11.11.2019: Nach zahlreichen Preissprüngen erwartet die Bahn keine weiteren Kostensteigerungen bei S21.

Betrugsvorwürfe und weitere Kostensteigerungen

Stuttgart 21 Baustelle Hauptbahnhof für Chronologie der Kosten
So sieht die Baustelle in Stuttgart aktuell (2022) von oben aus.
  • 25. Dezember 2021: Die britische Tageszeitung "Financial Times" schreibt über einen mutmaßlichen Betrug bei Stuttgart 21. Sie verweist dabei auf zwei "Whistleblower" bei der Bahn. Konkret geht es darum, dass Mitarbeitende 2016 intern Hinweise zu Korruption und Missmanagement beim Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 gegeben hatten. Diese Hinweise wurden laut Bahn untersucht, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC (PricewaterhouseCoopers) aber nicht darüber informiert.
  • 18. Januar 2022: Das Großbauprojekt "Stuttgart 21" verteuert sich mutmaßlich um weitere 950 Millionen Euro - und wird nach aktuellen Annahmen insgesamt rund 9,15 Milliarden Euro kosten. Zuzüglich eines Risikopuffers würden sich dann die Kosten auf 9,79 Milliarden Euro belaufen. Gründe sind Preissteigerungen bei Baufirmen, Lieferanten und Rohstoffen, so die Bahn.
  • Der Finanzierungsrahmen vom Bahnprojekt Stuttgart 21 liegt nach einem Beschluss des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn AG vom 18. März 2022 offiziell bei 9,79 Milliarden Euro. Als Eröffnungstermin wird weiterhin der Dezember 2025 genannt.

Anzeichen für weitere Kostensteigerungen

  • 10. Dezember 2022: Die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm geht in Betrieb. Sie gilt als wichtiges Schwesterprojekt von Stuttgart 21 zum Bestandteil des Gesamtprojekts Stuttgart - Ulm. Mit rund 4 Milliarden Euro ist die neue ICE-Strecke doppelt so teuer geworden wie ursprünglich geplant.
  • August 2023: Die Bahn teilt mit: "Alle großen Bauvorhaben der DB in Deutschland sind von der stark gestiegenen Inflation im Baubereich betroffen." Daher werde im zweiten Halbjahr eine Überprüfung der Kosten- und Terminplanung für Stuttgart 21 stattfinden.
  • 13. Oktober 2023: Das Magazin "Der Spiegel" berichtet, dass das Projekt laut DB-Unterlagen 600 Millionen Euro teurer wird. Diese Mehrkosten würden damit den bisherigen Risikopuffer von 640 Millionen Euro nahezu ausreizen.
  • 1. Dezember 2023: Bei einer Pressekonferenz nach der Sitzung des S21-Lenkungskreises teilen die Projektpartner in Stuttgart mit, dass das Projekt definitv teurer wird. Außerdem zeigt eine SWR-Recherche vom 6. Dezember 2023, dass der Eröffnungstermin im Dezember 2025 für den Tiefbahnhof nicht zu schaffen ist.
  • 7. Dezember 2023: Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass sich laut Insiderkreisen der Bahn das Projekt Stuttgart 21 auf etwa 11 Milliarden Euro verteuert. Mit einem Risikopuffer würden sich die Gesamtkosten dann auf 11,5 Milliarden Euro belaufen.

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