Manchmal versteht Christoph Schlegel die Welt nicht. Sein Familienunternehmen mit 250 Mitarbeitenden ist in 88 Ländern auf der Welt mit seinen Schaltern aktiv: Schlegel Elektrotechnik aus dem oberschwäbischen Dürmentingen (Kreis Biberach). Die Firma arbeitet auch an Projekten mit Künstlicher Intelligenz (KI), ist auf Wachstumskurs. Schlegel würde die Firma gerne erweitern, aufs Nachbargründstück. Doch da, wo früher die Vierzigtonner einer Spedition gewendet haben, Kühlanlagen und eine Tankstelle in Betrieb waren, muss Schlegel für seinen Neubau ein Lärmgutachten vorlegen - für ein Bürogebäude. "Es wird definitiv viel leiser werden, trotzdem brauchen wir jetzt dafür eine teure Berechnung", sagt der Unternehmer.
Bürokratie: Selbst BW-Wirtschaftsministerin schüttelt den Kopf
Auch Baden-Württemberg Wirtschaftsministerin, Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), die in dieser Woche zu Besuch bei der Firma ist, schüttelt den Kopf über das notwendige Lärmgutachten. "Wir müssen wieder zu mehr Eigenverantwortung kommen", lautet ihr Appell. Nicht alles könne bis ins Kleinste geregelt sein.
Früher habe es gereicht, wenn man sich an die Regeln gehalten hat, sagt Senior-Firmenchef Schlegel. "Heute ist es, als ob du im Straßenverkehr ständig bestätigen müsstest, dass du rechts fährst und mit 50 unterwegs bist."
Schlegels Mühen mit der Bürokratie sind nur ein Beispiel. Sie zeigen aber, warum Unternehmerinnen und Unternehmer manchmal gefrustet sind, erst recht, wenn sie wie bei Schlegel gar nicht abwandern, sondern vor Ort weiter wachsen wollen, während andere Produktionen oder ganze Firmen verlagern. Situationen, die deutlich machen, warum gerade jetzt eine kluge Wirtschaftspolitik dringend notwendig ist.

FDP-Mittelstandsexperte lobt "Wille zum Bürokratieabbau"
Erik Schweickert (FDP) sitzt im Landtag von Baden-Württemberg in der Opposition und ist daher naturgemäß weit davon entfernt, die Landesregierung übermäßig zu loben. Trotzdem sagt er anerkennend, ein "Wille zum Bürokratieabbau" sei erkennbar. Immerhin 315 Vorschläge wurden im Rahmen der sogenannten Entlastungsallianz eingereicht. Die soll dafür sorgen, dass bürokratische Hürden in Baden-Württemberg abgebaut werden. Doch Schweickert warnt: Das dürfe nicht der Schluss sein. Unternehmen hätten es ohnehin gerade schwer - 2025 könnte das dritte Jahr in Folge mit schrumpfender Wirtschaft in Deutschland werden. Da dürfe der Staat nicht auch noch denjenigen Knüppel zwischen die Beine werfen, die innovativ vorangehen wollten.
Wir sind mittlerweile so weit, dass gewisse Regeln von Behörden gar nicht mehr angewandt werden, weil sie keinen Sinn ergeben.
Der FDP-Mann kritisiert deshalb, dass die Landesregierung sich nicht mit allen Vorschlägen zum Bürokratieabbau befassen wolle. Jeden fünfte Vorschlag, so Schweickert, wolle die grün-schwarze Landesregierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gar nicht erst angehen. Im Dezember kam das bislang dritte und letzte "Entlastungspaket" - ob und wann ein weiteres folgt, ist unklar. Der Bürokratieabbau müsse mit Augenmaß und Konsequenz weitergeführt werden, fordert der FDP-Mann, es gebe keinen Grund dafür aufzuhören.
Schlechte Stimmung in der Wirtschaft bremst Innovation aus
Auch bei der Firma Leonhardt Präzisionstechnik aus Hochdorf (Kreis Esslingen) hat man gerade Sorgen. Und das, obwohl sie immer wieder unter Deutschlands Top-Innovatoren gelistet wird. Die kleine Firma mit 23 Mitarbeitenden mitten in einem schwäbischen Wohngebiet arbeitet in einer Nische, die keine Abwanderungssorgen kennt. Trotzdem sei die schwierige Stimmungslage spürbar: Keiner wolle mehr eine Entscheidung treffen, jeder mache lieber nochmal ein Meeting, als zu entscheiden zu investieren. Jeder warte in gewisser Weise auf den anderen, bis sich die zähe Masse bewege, das bremse Investitionen und Innovationen aus.
Firmenchef Wolfgang Leonhardt tüftelt seit Jahren an der Brennstoffzelle. Die könnte in Zukunft zum Beispiel aus grünem Wasserstoff Strom erzeugen - und CO2-neutral Lkw antreiben. Leonhardt ärgert sich: Viel weiter könnte man schon sein in diesem Bereich, viel besser als die Batterien mit ihren seltenen Erden. Sein Ziel ist es, die Brennstoffzelle so klein und so leistungsstark wie möglich zu machen. Dazu hat er die einzelnen Bauteile so dünn und so korrosionsbeständig gemacht, wie nirgendwo sonst: 0,3 mm.

Um seine Innovation voranzutreiben, brauche er einfach nur einen Förderkredit, sagt Leonhardt. Von Förderprogrammen halte er wenig. Die seien in der Regel so gemacht, dass das nur für große Firmen etwas sei, die die Auflagen für solche Programme erfüllen können. Zum Tüfteln reiche ihm ein Kredit der landeseigenen Kreditbank L-Bank.
Forschung: Für innovative Start-ups braucht es Platz und Geld
Im Labortrakt am Institut für Biotechnologie der Universität Stuttgart brodelt eine braune, schaumige Flüssigkeit in verschiedenen Apparaturen vor sich hin. Mikrobakterien, die sich von Zucker ernähren und gentechnisch verändert wurden, können aus CO2 Acetate herstellen - eine Vorstufe von Biokunststoff. Solche Forschungen hätten nicht nur das Potenzial, das Klima zu schützen, erklärt Institutsleiter Ralf Takors. Sie könnten auch die Grundlage für ein erfolgreiches Geschäftsmodell sein.
Takors, der ursprünglich auch Maschinenbau studiert hat, sieht Potenzial für neue Möglichkeiten und Technologien gerade dort, wo Ingenieurswissenschaften und Biotechnologie zusammenspielen. Voraussetzung sei allerdings, dass an seinem Institut die Start-up-Infrastruktur entwickelt werde. Junge Menschen, die für ihre Idee brennen, bräuchten Raum und Infrastruktur, Dinge zu probieren und sich auszutauschen. Egal, ob er in den USA oder in Europa sei, überall werde das im Bereich der Biotechologie gefördert.
Auch beim Umweltministerium setzt man große Hoffnungen in die Start-up-Idee. Gegenüber dem SWR erklärt eine Sprecherin: Forschungsbasierte Start-ups könnten besser neue Ideen aufgreifen und umsetzen als etablierte Unternehmen und daraus dann neue Produkte entwickeln. Die jungen Unternehmen seien damit essenziell für die Weiterentwicklung der Wirtschaft und ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Das BW-Wirtschaftsministerium fördert außerdem schon seit Jahren junge Start-ups mit zwei Programmen. Neben finanzieller Förderung gibt es dort auch die Möglichkeit, die Infrastruktur von Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu nutzen. Ein Ausbau der Forschungsinfrastruktur ist damit allerdings nicht verbunden.
Trotzdem könne das Land hier noch mehr investieren, findet Takors, sonst laufe Baden-Württemberg weiterhin die Gefahr, dass innovative Ideen woanders verwirklicht werden. In drei Jahren habe er das bereits bei vier Projekten erlebt, sagt Trakors: Heute seien das erfolgreiche Start-ups, unter anderem im Saarland und in Rheinland-Pfalz.

Ohne gute Infrastruktur kommt auch die Wirtschaft nicht voran
Doch nicht nur Start-ups brauchen die richtigen Voraussetzung, um wachsen zu können. Wie entscheidend eine gut ausgebaute Infrastruktur sein kann, zeigt ein anderer Standort: Merklingen im Alb-Donau-Kreis. Neuer Bahnhof, Autobahnanschluss und Breitband-Internet - viele Firmen haben hier investiert. Bürgermeister Sven Kneipp (parteilos) erklärt: Firmen freuen sich nun mal, wenn Infrastruktur da ist. Auch Restaurants gehörten da dazu. Viele Flächen seien in und um Merklingen allerdings nicht mehr frei. Andernorts müssen die Firmen mit dem zurechtkommen, was da ist. Oder eben nicht.
Rosemarie Häussler-Mayer, Chefin der Karl-Heinz-Häussler GmbH für Bäckereizubehör und Backwaren mit eigenem "Backdorf" in Heiligkreuztal (Kreis Biberach), sieht dringenden Handlungsbedarf bei den Energiepreisen. "Wir können nicht alles auf die Preise legen, irgendwann kauft es uns keiner mehr ab." Es gehe auch um die Qualität des Stroms. "Wenn ich Ladesäulen vor dem Backparadies installieren will, reicht die Stromstärke im Moment nicht aus, um ein Auto zu laden."
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Baden-Württemberg bleibt ein Land mit viel Forscherinnen- und Tüftlergeist. Doch bei wichtigen Entscheidungen wird im Moment auch viel abgewartet. Unternehmer Christoph Schlegel aus Dürmentingen, der auch Vizepräsident der IHK Ulm ist, erklärt es so: "Viele Unternehmen haben Projekte in der Schublade, aber jeder wartet auf den anderen." Er prognostiziert einen "Mikado-Effekt". Wenn sich einmal etwas bewegt, dann wird es leichter. Dann könne eine Investitionskette in Gang kommen. Und vielleicht hilft dabei auch das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen, das in der Vorwoche beschlossen wurde. Immerhin 100 Milliarden daraus sollen ja auch die Bundesländer bekommen.
"Entscheidend ist, dass das nun beschlossene Sondervermögen für Investitionen gezielt und wirksam eingesetzt wird", erklärt der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, Jan Stefan Roell, dem SWR. "Werden die Mittel richtig genutzt, kann daraus ein Impuls für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum entstehen. Wenn jedoch grundlegende Probleme wie überlastete Verwaltungen oder langwierige Verfahren nicht angegangen werden, besteht die Gefahr, dass das Geld versickert, ohne die gewünschte Wirkung zu entfalten."
Seine Firma werde in jedem Fall investieren und das neue Bürogebäude bauen, sagt Christoph Schlegel. Alle Gutachten seien jetzt nach Monaten zusammen. Gekostet habe alles zusammen 35.000 Euro. Jetzt könne man tatsächlich loslegen.