Drei Monate nach dem tödlichen Messerangriff in Mannheim halten Menschen noch immer am Marktplatz inne. Am Tatort, mitten in der Stadt, mitten in den Mannheimer Quadraten wurde der Polizist Rouven Laur so schwer mit einem Messer verletzt, dass er kurz darauf starb. Ein 25-jähriger Afghane hatte außerdem fünf Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bewegung Pax Europa (BPE) mit einem Messer verletzt. Auf politischer Ebene wird seitdem - von Mannheim bis nach Berlin - über mögliche Folgen und Konsequenzen debattiert. Im Bundestag ging es nach dem Angriff um schärfere Abschieberegeln.
Anschlag in Solingen: Konsequenzen gefordert
Die politischen Debatten zur Asylpolitik reißen nicht ab. Denn für den Anschlag auf das Stadtfest in Solingen (Nordrhein-Westfalen) mit drei Toten und mehreren Verletzten am Freitag soll ein Mann aus Syrien verantwortlich sein. Seine Abschiebung war im vergangenen Jahr gescheitert. Nun werden erneut Konsequenzen gefordert - vor allem in Bezug auf Abschiebungen und das Waffenrecht.
"Marktplatz Mannheim" - ein symbolischer Ort
In Mannheim hat sich seit der Messerattacke im Mai etwas verändert. Besonders greifbar wird das vor Ort - am Marktplatz. Der Tatort wurde nach dem Angriff von der Stadt zum Ort der Trauer umgewidmet. Mittlerweile ist dennoch so etwas wie Alltag zurückgekehrt, aber nur solange man nicht über den 31. Mai spricht. Händler auf dem Marktplatz vermissen das Lächeln ihrer Kundschaft, Menschen erzählen vom eigenen Sicherheitsempfinden, das sich verändert habe. Und noch immer gibt es Passantinnen und Passanten, denen am Tatort Tränen in den Augen stehen. Andere trauen sich nicht mehr auf den Wochenmarkt, der nicht nur Mannheimerinnen und Mannheimer anzieht, sondern Menschen aus der ganzen Region.
Wo ist der tatverdächtige Afghane untergebracht?
Der Tatverdächtige sitzt seit Ende Juni 2024 in Untersuchungshaft - in welcher Justizvollzugsanstalt genau, wollte die Bundesanwaltschaft dem SWR nicht sagen. Zuvor war er im Mannheimer Theresienkrankenhaus behandelt worden und galt lange Zeit als nicht ansprechbar. Er war bei seiner Tat auf dem Mannheimer Marktplatz durch einen Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten schwer verletzt worden. Laut einer Sprecherin hat sich der 25-Jährige gegenüber den Ermittlern noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Ihm werden Mord, versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn, weil die Behörde von einer religiös motivierten Tat ausgeht. Es gebe aber keine Hinweise auf eine Verbindung zum IS (Islamischer Staat) oder einer anderen islamistischen Organisation oder Gruppierung, so die Sprecherin. Generalbundesanwalt Jens Rommel hatte zuvor erklärt, der Beschuldigte habe zu massiver Gewalt gegriffen, vermutlich, um Kritik am Islam zu unterbinden. Es handele sich um einen "individuellen Fall", der sich von anderen islamistisch-geprägten Fällen unterscheide.
Nach Messerattacke in Mannheim: Politische Fragen von Sicherheit und Integration
Seit der Tat gibt es unzählige Forderungen und Debatten, nicht nur in der Mannheimer Politik. Dass sich nachhaltig etwas verändert hat, spürt man auch auf Landes- und Bundesebene: Gibt es Orte, die für politische Versammlungen eingeschränkt werden sollten? Welche Fehler oder Versäumnisse wurden in den vergangenen Jahren beim Thema Integrationsarbeit gemacht? Sind Polizistinnen und Polizisten ausreichend auf Einsätze wie diesen vorbereitet? Das sind nur einige Fragen, die beispielsweise der Mannheimer Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) in den vergangenen Monaten immer wieder gehört hat. Erste Antworten gibt es.
Ob die Ideen und Vorstellungen am Ende auch politisch umsetzbar sind, steht auf einem anderen Blatt. Beispielsweise hatte die Stadt Mannheim bereits vor der angemeldeten Versammlung durch den Verein Bürgerbewegung PAX Europa (BPE) Bedenken über den gewählten Ort vorgebracht. Doch der Versammlungsleiter habe auf den Ort bestanden, so Specht. Das Recht auf Versammlungsfreiheit wiege so hoch, dass es kaum möglich sei, dieses einzuschränken.
Konkrete Maßnahmen in Mannheim nach dem Tod von Rouven Laur
Mannheims Oberbürgermeister Specht berichtet über verstärkte Streifen der Polizei in der Stadt, über die Videoüberwachung in Mannheim oder die Waffen- bzw. Messerverbotszone. Er will unterstreichen: Die Frage von Sicherheit ist ihm wichtig. Auch er spüre: Diese Frage ist von zentraler politischer Bedeutung in den kommenden Monaten. Und erst recht im kommenden Jahr, wenn ein neuer Bundestag gewählt wird.
Das weiß auch Isabel Cademartori (SPD), Bundestagsabgeordnete aus Mannheim. Gegenüber dem SWR sagte sie, es werde beim Thema Abschiebungen von Straftätern Verschärfungen geben. Dennoch sei es schwierig, in Länder wie Afghanistan abzuschieben. Der Täter kam als jugendlicher unbegleiteter minderjähriger Flüchtling und lebte in Lorsch und Heppenheim (Kreis Bergstraße). Allerdings sind die juristischen Hürden für Abschiebungen hoch. Die sogenannte Drittstaaten-Regelung ist umstritten. Dennoch werde nach Lösungen gesucht, wie man beispielsweise schwere Straftäter über Landwege abschieben könnte. Cademartori sagte aber auch: Man müsse mit "Augenmaß und rechtlich sicheren Mitteln agieren."
Familie und Freunde des Polizisten: Zwischen Schmerz und Andenken
Für die Familie des getöteten Polizisten Rouven Laur kommen die inhaltlichen Debatten zu spät. Sie wünschen sich, dass politischen Forderungen und Aussagen auch konkrete Maßnahmen folgen. In Neckarbischofsheim (Rhein-Neckar-Kreis), dem Heimatort des Polizisten, ist die Tat weiter präsent. Die Familie hat sich nach der Trauerfeier für ihren Sohn weitgehend zurückgezogen, gibt keine weiteren Interviews mehr. Rouven Laurs Eltern und seine zwei Schwestern verarbeiten ihren Verlust ohne große Öffentlichkeit. Auch bei Freunden sitzt der Schmerz tief. Sie berichten, dass sie sein Andenken wahren wollen. Seine Motivation, sein Lachen.
Polizei Mannheim will Erinnerung an Rouven Laur wach halten
Trotz aller Trauerbewältigung und Aufarbeitung: Der Alltag ließ für die Mannheimer Polizei keine echte Pause zu. Politische Versammlungen mussten geschützt werden, Demonstrationszüge wurden begleitet. Auch der 31. Mai ist nach wie vor Thema. Im SWR-Interview sagte die Präsidentin des Polizeipräsidiums in Mannheim, Ulrike Schäfer, über den Tod von Rouven Laur: "Es gibt ein Davor und ein Danach."
In Bezug auf den Einsatz sagte die Polizeipräsidentin, werde immer wieder geprüft, welche Ausrüstung und Ausbildung für Polizistinnen und Polizisten notwendig sei. Allerdings räumt Schäfer auch ein: Bei bestimmten Einsätzen stößt die Polizei an ihre Grenzen. Nicht jede Tat lässt sich verhindern. Die Diskussionen zu Waffen- und Messerverbotszone hält Schäfer beispielsweise nicht für Scheindebatten. Im Gegenteil, sie sagt: Sie können ein Baustein sein, der zu mehr Sicherheit beitragen kann.
Psychologische Betreuung für Mannheimer Polizei
Einige Mannheimer Polizistinnen und Polizisten wurden nach der Tat aus dem Dienst genommen und psychologisch betreut. Manche seien wieder im Dienst, so Schäfer, weil ihnen der Arbeitsalltag helfe. Andere können bis heute nicht zurück in den Dienst. Der Einsatz sei für alle Mitarbeitenden eine "große emotionale Herausforderung" gewesen. Viele kannten Rouven Laur, die Tat ließ sich online mitverfolgen. Die Polizeipsychologin Anna Koch sagte im SWR-Interview: "Je dichter man an einer Situation dran ist, desto eher braucht man eine Unterstützung. Nähe birgt also eine größere Gefahr für Traumata."
Drei Monate nach der Messerattacke in Mannheim Mannheim: Wie steht es um die psychologische Beratung bei der Polizei?
Im Mai ist ein Polizist nach einem Einsatz auf dem Marktplatz in Mannheim gestorben. Ein großer Schock - auch für seine Kollegen. Wie werden sie psychologisch betreut?
In Baden-Württemberg ist Mannheim das einzige regionale Präsidium, das eine Psychologin zur Verfügung hat, so Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer. Mannheim ist dabei mit rund 2.750 Mitarbeitenden das größte regionale Polizeipräsidium in Baden-Württemberg. In allen anderen Präsidien gibt es auch psychosoziale Beratungsstellen - allerdings übernehmen hier eigens dafür geschulte Beamtinnen und Beamte diese Aufgabe.
Deutsche Polizeigewerkschaft: "Kompetenzen der Polizei ausweiten"
Hier will Ralf Kusterer von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) ansetzen. Man müsse die Kompetenzen der Polizei dafür allerdings ausweiten, so der Gewerkschafter. Nur so ließen sich Messer auch finden und sicherstellen. Grundsätzlich mangelt es ihm aktuell aber am politischem Willen, mehr für die Sicherheit der Polizistinnen und Polizisten zu tun. Kusterer spricht offen darüber, dass Einsätze von Elektrotasern oder Gummigeschossen geprüft werden müssten. Nicht zuletzt greift Kusterer aber auch das härtere Vorgehen gegen ausländische Straftäter auf. Es müsse konsequenter abgeschoben werden.
Das Attentat von Mannheim wirkt nach. Auf ganz unterschiedlichen Ebenen: Politisch, gesellschaftlich und zwischenmenschlich. Noch ist die Trauerbewältigung nicht abgeschlossen. Vielleicht wird sie das aber auch nie endgültig sein.