Anna Koch arbeitet seit 2019 als Polizeipsychologin in der Rhein-Neckar-Region.

Nach tödlicher Messerattacke auf Marktplatz

Mannheim: Wie steht es um die psychologische Beratung bei der Polizei?

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Autor/in
Sarah Hennings
Sarah Hennings, SWR-Regionalstudio Mannheim

Im Mai ist ein Polizist nach einem Einsatz auf dem Mannheimer Marktplatz gestorben. Ein großer Schock - auch für seine Kollegen. Wie werden sie psychologisch betreut?

Polizistinnen und Polizisten haben oft belastende Einsätze. Hilfe bekommen sie und ihre Familien bei der psychosozialen Beratungsstelle der Polizei. Dort können sie Erlebtes aufarbeiten. Nach dem Messerangriff in Mannheim Ende Mai, bei dem der Polizist Rouven Laur tödlich verletzt wurde, hatte Anna Koch gemeinsam mit ihrem Team mehr als sonst zu tun. Die studierte Psychologin ist seit 2019 beim Polizeipräsidium Mannheim. Damit ist sie laut Justizministerium die einzige offiziell bekannte Psychologin an einem regionalen Polizeipräsidium in Baden-Württemberg.

Gegenüber dem SWR spricht Anna Koch davon, wie der Tod von Rouven Laur den Alltag in der psychosozialen Beratung verändert hat und wie sich diese künftig vielleicht verbessern könnte.

Einsatz in Mannheim sei eine "emotionale Herausforderung" gewesen

Ende Mai hatte ein Afghane sechs Männer in Mannheim mit einem Messer verletzt. Der Polizist Rouven Laur starb später. Dieser Einsatz sei für alle Mitarbeitenden eine "große emotionale Herausforderung" gewesen - vor allem, weil viele Kolleginnen und Kollegen Rouven Laur persönlich kannten und weil die Tat im Internet zu sehen war. Nach Einschätzung der Polizeipsychologin gilt als Risikofaktor für eine Traumatisierung: Je näher man an einer Situation dran ist, desto eher braucht man Unterstützung.

Die Brutalität live zu sehen, das macht schon viel, das ist einfach kein Film. Das ist die Realität.

Diese "unvermittelte Gewalt" in einer Situation, in der man nicht damit gerechnet hat, habe die Beamtinnen und Beamten auch im Nachhinein beschäftigt, berichtet die Polizeipsychologin. Sie und ihr Team waren vor Ort am Marktplatz, in den Dienststellen und haben - sofern die Einsatzkräfte das wollten - erste psychologische Hilfe geleistet. Auch in den Wochen danach wurden sie in der Beratung betreut. Eine genaue Zahl, wie viele Polizistinnen und Polizisten die Beratungsstelle besucht haben, darf Anna Koch nicht nennen.

Auch geschulte Polizeibeamte übernehmen psychosoziale Beratung

So eine "hohe Spitze an Unterstützungsbedarf" gebe es aber nicht immer, so Koch weiter. Die Psychologin berät gemeinsam mit sieben speziell geschulten Polizeibeamtinnen und -beamten die traumatisierten Kolleginnen und Kollegen. Bis auf eine psychosoziale Beraterin machen sie das im Nebenamt und sind ansonsten ganz normal im Polizeidienst. In einer mehrwöchigen Schulung an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg (HfPolBW) haben sie sich auf diese Beratungen vorbereitet. Dieses Team sei bislang ausreichend gewesen, sagte die Polizeipräsidentin des Polizeipräsidiums Mannheim, Ulrike Schäfer, dem SWR. Vor allem, weil nach solchen Einsätzen - wie der Messerattacke auf dem Marktplatz - Unterstützung aus dem ganzen Land kommen würde.

Tatsächlich müssen wir prüfen, ob das [die psychosoziale Beratung] ausreichend ist oder ob wir da gegebenenfalls nachsteuern müssen.

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Mannheimer Polizeipsychologin über ein "zukunftsfähiges Modell"

In Baden-Württemberg ist Anna Koch die einzige öffentlich bekannte Psychologin an einem regionalen Polizeipräsidium. Mit insgesamt rund 2.750 Mitarbeitenden ist Mannheim das größte regionale Polizeipräsidium in Baden-Württemberg. In allen anderen Präsidien gibt es zwar auch psychosoziale Beratungsstellen - allerdings nur mit geschulten Beamtinnen und Beamten.

Wie das Justizministerium auf SWR-Anfrage mitteilte, gibt es auch noch weitere Polizeipsychologinnen und -psychologen. Zu ihnen könne man aus polizeitaktischen Gründen keine näheren Auskünfte geben, weil diese "teilweise in sensiblen Einsatzbereichen tätig" seien, heißt es. Wenn es nach der Mannheimer Polizeipsychologin Anna Koch geht, ist ein Team aus beidem - also aus Psychologinnen und Psychologen und psychosozialen Beraterinnen und Beratern - hilfreich in der Beratung.

Die einen bringen Expertise aus dem Beruf selbst mit und ich bringe Fachkenntnisse mit. Gemeinsam ergänzen wir uns wahnsinnig gut.

Das könnte für Anna Koch ein "zukunftsfähiges Modell" sein, wie sie selbst sagt. Auch, wenn in der psychosozialen Beratung (PSB) bei der Polizei keine Diagnosen gestellt werden und sie keine Psychotherapie anbieten können. In den Gesprächen werden je nach Situation auch psychologische Anlaufstellen und Psychotherapien vermittelt.

Nach Einschätzung des Justizministeriums reichen allerdings "in den meisten Fällen (...) die Gespräche mit den PSB aus, um Schwierigkeiten hinter sich zu lassen und Erlebtes besser zu verarbeiten". Braucht es doch noch eine Psychotherapie, gebe es bei der Polizei ein sogenanntes "Vertragstherapeutensystem für im Dienst geschädigte Beamtinnen und Beamte". Damit könne man zeitnah einen Platz bei einer Psychotherapeutin oder -therapeuten anbieten.

Polizei in BW: Nachfrage an psychologischer Beratung steigt leicht

Die psychosozialen Beratungsgespräche haben bei der Polizei im Land in den vergangenen Jahren leicht zugenommen. Das teilte das Justizministerium auf SWR-Anfrage mit. Dennoch sei eine "adäquate Hilfestellung für die Beschäftigten der Polizei BW seit Jahren durchgängig gewährleistet".

Nach Angaben des Justizministeriums gibt es in Baden-Württemberg insgesamt 103 nebenamtliche psychosoziale Beraterinnen; im Hauptamt sind es 37 Mitarbeitende. 26 Psychologinnen und Psychologen werden demnach im Polizeivollzugsdienst und an der HfPolBW für die Lehre eingesetzt. Das System der psychosozialen Notfallversorgung werde "stetig weiterentwickelt", heißt es vom Ministerium weiter.

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