Netflix-Strategie: Konkurrieren um jede freie Minute vor dem Bildschirm
„Fortnite bedeutet für uns eine größere Konkurrenz als HBO“, erklärte Netflix-Chef Reed Hastings bereits 2019 und gab damit einen Einblick in seine Auffassung der Unternehmensstrategie: Netflix solle „Freizeit“, beziehungsweise „Entertainment-Zeit“, von anderen Aktivitäten hinzugewinnen — keine Xbox, kein Youtube, kein HBO, Netflix solle das bessere und werbefreie Erlebnis bieten.
Nach ersten Ausflügen in interaktive Serien mit „Black Mirror: Bandersnatch“ und Spinoffs mit „Carmen Sandiego“ und „Stranger Things“ will sich das Unternehmen nun vor allem auf Mobile Gaming konzentrieren — und das Gaming-Angebot ohne Zusatzkosten in die regulären Netflix-Abos integrieren, wie ebenfalls im Quartalsbericht zu lesen ist.
Videospiele gehören zum digitalen Zeitalter
„Für mich bestätigt das eigentlich, was wir hier schon seit Jahren machen“, erklärt Gilles Freissinier, verantwortlich für die digitale Entwicklung und Webproduktion bei Arte France: „Wenn man das digitale Angebot nutzerzentriert betrachtet — wie leben und erleben Nutzer*innen das Digitale —, dann kommt man kaum an Videospielen vorbei.“
Videospiele nähmen bei den Nutzer*innen relativ viel Zeit in Anspruch und vor allem sei Gaming inzwischen weit verbreitet: „In Frankreich etwa liegt der Altersschnitt der Spieler*innen, bei Frauen und Männern, bei 40 Jahren“. Gerade die Entwicklungen im Bereich Mobile Gaming auf dem Smartphone hätten Videospiele populär gemacht, so Freissinier — „jede*r hat ein Spiel auf dem Smartphone“.
Filme und Serien haben schon lange Verbindungen zum Gaming-Universum
Die Pläne von Netflix sieht er vor allem als „Diversifizierung des Angebots“ — Spinnoffs von Serien als Videospiel oder Videospiele als Filme oder Serien würden bereits seit langem produziert. Disney, Netflix-Konkurrent auf dem Streaming-Markt, ist hier seit Beginn der Videospiel-Ära vertreten. Trotzdem schließt Gilles Freissinier nicht aus, dass bald auch neue, eigenständige Spiele von Netflix produziert werden.
„Wenn man eine starke Welt entwickelt, kann diese sowohl in einer Serie funktionieren, wie auch in einem Videospiel“, findet er — damit könne man die möglicherweise teure Entwicklung einer Serie rentabler machen. In diese Richtung gehen auch die nun gestarteten Merchandise Angebote des Streaming-Dienstes Netflix.
Leidenschaft für Videospiel-Entwicklung
Eine Strategie, die man bei Arte so nicht verfolgt: „Wir wollen innovative Kreationen anbieten, die der digitalen Nutzung angepasst sind“, sagt Gilles Freissinier. Es gehe vor allem darum, in einer Gaming-Szene, die von US-amerikanischen und asiatischen Großkonzernen dominiert werde, kleinere Studios bei der Produktion und Edition ihrer Spiele zu unterstützen und so europäische Produktionen mit prägnanten, innovativen Sichtweisen und Geschichten einem großen Publikum zur Verfügung zu stellen.
Inzwischen kann man dort auf einen Katalog von zehn Spielen verweisen, hauptsächlich am Computer spielbar — aber auch, wie das kürzlich erschienene „Unmaze“ als Mobile Game auf dem Smartphone oder wie „Vectronom“ mit Nintendo Switch. Alle sind über verschiedene große Spielplattformen wie Steam, Playstation, den Apple Store oder Google Play verfügbar.
Konkurrenz-Druck wächst
In welcher Form Netflix seine Spiele anbieten wird — als Online-Stream, zum Download, auch auf anderen Plattformen — ist noch nicht bekannt. Sicher scheint aber, dass langfristig nur eine eigene Plattform mit ausreichend exklusiven Inhalten den eingangs genannten Zielen des Unternehmens gerecht werden kann.
Google, Apple und Microsoft haben selbst bereits in eigene Game-Abo-Angebote investiert, eines der populärsten ist Apple Arcade. Während die Streaming-Konkurrenz bei Amazon Prime also das Hollywood-Studio MGM kauft, ist die nächste Investition bei Netflix möglicherweise eine Game-Produktionsfirma oder -Studio, das eigenen Content liefert.
Die Zahl der Abonnements steigt nicht wie erwartet
Netflix' Ankündigung könnte auch mit den im Quartalsbericht vorgelegten Abo-Zahlen zusammenhängen: Die Zahl der Neukund*innen des Streaming-Dienstes ist so niedrig wie nie zuvor — lediglich 1,5 Millionen konnten dazugewonnen werden, die Gesamtzahl der Abonnement*innen stieg damit auf 209 Millionen weltweit.
Netflix leidet dabei unter seinem eigenen Erfolg: Besonders in den USA sind spätestens seit dem Pandemie-Jahr 2020 vor allem die jüngeren Zielgruppen schon größtenteils abonniert. Zwar wird nun versucht, auch gezielt ältere Personen für den Service zu gewinnen, aber eine Ausweitung des Angebots auf Games könnte auch in den bisherigen Zielgruppen noch Unentschlossene überzeugen.
Gaming ist der Pandemie-Gewinner
„Videospiele haben am meisten profitiert während der Lockdown-Zeit“, bestätigt auch Gilles Freissinier: „Nicht nur Fortnite oder Animal Crossing — wir konnten mit unserem im Frühling 2020 veröffentlichten Spiel 'Homo Machina' 400.000 Downloads mehr als vorher verzeichnen.“
Die hohen Abrufzahlen hätten schon beim ersten, 2013 veröffentlichten Game „Type:Rider“ gezeigt, dass die Spiele ein ganz neues Publikum erreichen könnten, die bisher noch nicht mit Arte in Kontakt gekommen waren.
Der Erfolg muss sich langfristig zeigen
Der Start ins Gaming-Business für Netflix ist also durchaus vielversprechend — eine Verbindung von Film- und Serienangebot und Videospielen ist bereits seit vielen Jahren erprobt. Fraglich bleibt, ob es Netflix gelingen wird, langfristig überzeugenden Game-Content anzubieten und ob sich die Erweiterung des Angebots auch tatsächlich in konkretem Nutzerzuwachs niederschlagen kann.