Salzburger Festspiele

Herausragender „Macbeth“ bei den Salzburger Festspielen: Verdi-Oper als schwarzes Loch

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AUTOR/IN
Bernd Künzig

Nach kurzer Zeit steht Giuseppe Verdis frühes Meisterwerk „Macbeth“ nach der finsteren Tragödie William Shakespeares erneut auf dem Programm der Salzburger Festspiele, diesmal in einer Inszenierung von Krzysztof Warlikowski. Mit Spannung erwartet wurde dabei der Auftritt von Starsopranistin Asmik Grigorian als Lady Macbeth, SWR2-Kritiker ist begeistert: „Ein sensationelles, zu Recht gefeiertes Debüt.“

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Asmik Grigorian als Lady Macbeth – fast zu schön!

Wer Macbeths Frau mit Asmik Grigorian besetzt, könnte auch den Titel der Oper leicht modifizieren. Bei den Salzburger Festspielen kann Giuseppe Verdis düsteres Frühwerk durchaus „Lady Macbeth“ heißen. Denn die litauische Sopranistin ist das Epizentrum dieser Aufführung mit einer Stimme wie ein kostbarer Kristall. Glasklar, transparent, geschliffen in der Höhe, voll dramatischer Intensität.

Ein sensationelles, zu Recht gefeiertes Debüt. Es ist fast zu schön. Vielleicht fehlt Asmik Grigorian noch jener Mut zum Hässlichen, den Verdi insbesondere für die große Wahnsinnsszene fordert.

Macbeth 2023: Asmik Grigorian (Lady Macbeth)
Macbeth 2023: Asmik Grigorian (Lady Macbeth)

Lady Macbeths Kinderlosigkeit ist Ausgangspunkt der Inszenierung

Auch für Regisseur Krzystof Warlikowski ist Verdis Meisterwerk die Oper der Lady. Die Inszenierung nimmt klug ihren Ausgang in einer Andeutung in der Vorlage William Shakespeares. Sie kann keine Kinder bekommen. Der Gynäkologe bestätigt ihr das pantomimisch in der Eingangsszene der Hexen.

Die sind wahrhaft blind wie das Schicksal und prophezeien Macbeth, dass er kinderlos die Macht an den fruchtbaren Gefährten Banco abgeben wird. Aus dem schicksalhaft erzwungenen Verzicht auf den Lustgewinn erwächst ein ebenso zwanghafter Todestrieb, der das Ehepaar alles Fruchtbare mörderisch aus dem Weg räumen lässt und in der Machtgier Ersatzbefriedigung sucht.

Ein veritabler Albtraum

Für diesen tiefenpsychologischen Ansatz baut Malgorzata Szezsniak einen symbolisch aufgeladenen Raum zwischen riesiger Wartehalle, Festsaal, Turnhalle und Klinikum. Links steht von Anfang an das Waschbecken, in dem die Lady am Ende versucht, ihre blutbefleckten Hände zu reinigen und sich die Pulsadern aufschneiden wird.

Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Statisterie der Salzburger Festspiele
Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Statisterie der Salzburger Festspiele

Es ist ein veritabler Albtraum. Kinder mit der Gesichtsmaske Bancos, treiben Macbeth und nicht nur die Lady, in den Wahnsinn. Das Paar endet im geistigen und körperlichen Verfall. Als übles Museumsstück wird es von den Siegern Macduff und Malcolm dem Chor im Trauerkostüm vorgeführt, bevor tödliche Rache an ihnen vollzogen wird.

Surrealer Bildraum mit Pasolini-Filmeinspielungen und Projektionen des Bühnengeschehens

Es ist ein surrealer, weit gedachter Bildraum, den Warlikowski zeigt. Filmeinspielungen aus Pier Paolo Pasolinis „Ödipus“-Film und seinem „Das Evangelium Matthäus“ bannen den Kinderwusch und den biblischen Kindermord auf die Leinwand. Letzterer wird im Chor der Flüchtlinge besungen, ersterer ist die Triebfeder des mörderischen Paares.

Die live gefilmten Projektionen des Bühnengeschehens sind mit unsichtbaren Kameras elegant als Bausteine dieses Psychogramms in den Bühnenraum eingefügt. Am Ende sehen wir Bancos überlebenden Sohn in einem Animationsfilm. Er tanzt mit Hexen durch die Luft. Die Geschichte des unterbewussten Bösen kann sich wiederholen.

Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Asmik Grigorian (Lady Macbeth)
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Macbeth 2023: Asmik Grigorian (Lady Macbeth)
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Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
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Macbeth 2023: Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Vladislav Sulimsky (Macbeth), Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
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Macbeth 2023: Caterina Piva (Kammerfrau der Lady Macbeth), Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Vladislav Sulimsky (Macbeth), Jonathan
Macbeth 2023: Caterina Piva (Kammerfrau der Lady Macbeth), Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Vladislav Sulimsky (Macbeth), Jonathan Bild in Detailansicht öffnen
Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Statisterie der Salzburger Festspiele
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Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Grisha Martirosyan (Erste Erscheinung), Statisterie der Salzburger Festspiele
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Macbeth 2023: Vladislav Sulimsky (Macbeth), Statisterie der Salzburger Festspiele
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Macbeth 2023: Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Vladislav Sulimsky (Macbeth)
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So abgrundtief  hat man diese Oper als schwarzes Loch bisher kaum erlebt

Gegen die stimmliche Verkörperung von Leiden und Leidenschaft der Lady von Asmik Grigorian ist schwer anzukommen. Aber der Macbeth von Vladislav Sulimsky steigert sich zu tragischer Größe, dem sein letzter, kurzer Abgang erschütternd gerät. Jonathan Tetelman als Macduff bestätigt alle Hoffnungen, die in diesen aufstrebenden Tenor gesetzt werden. Tareq Nazmi ist ein nobler Banco.

Wie Dirigent Philippe Jordan am Pult der Wiener Philharmoniker Verdis Partitur zu einer sogartigen Sonnenfinsternis werden lässt, ist wahrhaft unerhört. So abgrundtief hat man diese Oper als schwarzes Loch kaum zuvor erlebt. Der Staatsopernchor ist gut, die Hexenchöre könnten aber akzentuierter in der Verkörperung des gefühllosen Bösen sein. Insgesamt ist es ein wichtiger und herausragender Abend, ein bedeutender Baustein der Interpretation und der Verdi-Pflege bei den Salzburger Festspielen.

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