Salzburger Festspiele

Slapstick der schlechten Art: Christoph Marthalers „Falstaff“ in Salzburg

Stand
Autor/in
Bernd Künzig
Onlinefassung
Dominic Konrad

Die Inszenierungen von Regisseur Christoph Marthaler sind in der Regel von skurrilen Individuen bevölkert. Verdis Oper „Falstaff“ sollte da eigentlich eine Steilvorlage für ihn sein. Doch bei den Salzburger Festspielen wirkt Verdis spätes Meisterwerk lustlos und langweilig. Auch Bariton Gerald Finley und Dirigent Ingo Metzmacher gelingt an diesem Abend kein Glanzstück.

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Salzburger Festspiele 2023: Falstaff von Giuseppe Verdi
Hommage an einen der berühmtesten Filmregisseure des 20. Jahrhunderts: Marc Bodnar steht als Orson W. der eigentlichen Hauptfigur der Oper, Falstaff (Gerald Finley), gegenüber.

Christoph Marthaler versucht eine Hommage an Orson Welles

Orson Welles (1915 - 1985) war der geniale Regisseur der Shakespeare-Verfilmung „Chimes at Midnight“ und spielte im Königsdrama „Heinrich IV.“ die Rolle des feisten, aber weltklugen Ritters Falstaff. Welles war aber auch Regisseur mehrerer scheiternder Filmprojekte. Christoph Marthaler konfrontiert in seiner Salzburger Neuinszenierung von Verdis „Falstaff“ nun Rolle und Regisseur miteinander.

Für die Oper ist nicht Shakespeares Königsdrama die Vorlage, sondern seine Komödie „Die lustigen Weiber von Windsor“. Für das Libretto griff Arrigo Boito allerdings auch auf Falstaffs Verse aus „Heinrich IV.“ zurück.

In Marthalers Inszenierung taucht ein Regisseur namens Orson W. als Statist auf, der die Falstaff-Geschichte in einem heruntergekommenen Filmset dreht. Links hat die Bühnenbildnerin Anna Viebrock ein kleines Kino mit Sesseln gebaut, in der Mitte eine Filmbühne, rechts einen Swimmingpool, in den diverse Figuren versehentlich hineinplumpsen.

Salzburger Festspiele 2023: Falstaff von Giuseppe Verdi
Falstaff (Gerald Finley) hofft, dass Alice (Elena Stikhina) seinem Charme erliegen wird.

Slapstick der ermüdenden Art

In der Falstaff-Figur findet der wohlbeleibte, zigarrenqualmende Regisseur Orson W. sein abgemagertes, darstellerisch recht unbegabtes Gegenüber. Überhaupt ist alles chaotisch und aus dem Ruder laufend.

In der großen Verschwörung- und Versteckszene des zweiten Aktes, mit der Falstaffs unlautere Heiratsabsichten auflaufen, wird am Ende nicht der im Wäschekorb versteckte Ritter in die Themse gekippt, sondern der Regisseur in den Pool geschubst. Nicht erst von da an übernehmen die Frauen die Regie auf dem Set und stellen den Ritter dann noch einmal mit wirklich schlechtem Gespensterspuk bloß.

Salzburger Festspiele 2023: Falstaff von Giuseppe Verdi
Regisseur Marthaler widmet sich Verdis Shakespeare-Adaption mit humorigen Einfällen, der Funke will allerdings nicht überspringen.

Marthalers Inszenierung wirkt lustlos und unverständlich

Der Falstaff-Darsteller behauptet, ohne ihn wär’s nicht gegangen und alle setzen zur berühmten Schlussfuge an: „Alles ist Spaß auf Erden“. Nur diese Inszenierung von Christoph Marthaler ist es nicht.

Mit diesem filmhistorischen Irrsinn ist sein surreal abgründiger Humor auf dem Tiefpunkt angelangt. Derart langweilig, gequält, lustlos und unverständlich war es noch kaum. Und wie einst ein höherer, melancholischer Blödsinn, ist es bei weitem nicht geworden.

 

Salzburger Festspiele 2023: Falstaff von Giuseppe Verdi
Ausladendes Inszenierung auf der enormen Bühne des Salzburger Festspielhauses.

Humorlosigkeit bestimmt auch das Dirigat

Geradezu im Gleichklang mit dem Regiekonzept dirigiert Ingo Metzmacher am Pult der Wiener Philharmoniker. Er ist die andere, schmerzhafte Hypothek des Abends. Auch hier ist Humorlosigkeit Programm.

Da steht „Allegro vivace“ über den ersten Takten, also dynamische Lebendigkeit. Mehrfach verlangt Verdi Leichtigkeit, der Sprachwitz muss messerscharf sein, die Instrumentation ein stetig wechselnder Wirbel. Von all dem ist hier nichts zu hören. Stattdessen herrscht schwerblütige Behäbigkeit. Das tut dem Vokal-Ensemble nicht gut und es klappert enorm zwischen Graben und Bühne.

Salzburger Festspiele 2023: Falstaff von Giuseppe Verdi
Stimmlich angeschlagen und in der Darbietung deutlich reduziert kann der Falstaff von Bariton Gerald Finley (rechts) nur bedingt übertzeugen.

Gerald Finley wirkt als Falstaff matt

Gerald Finley, ohnehin gesundheitlich angeschlagen, ist als Falstaff matt, singt zumeist mit den Händen in den Hosentaschen. Tanja Ariane Baumgartner als Mrs. Quickly oder Elena Stikhina als Alice sind eigentlich hervorragende Sängerinnen, bleiben aber weit unter ihren Möglichkeiten.

Die junge Giulia Semenzato als Nannetta und der Fenton von Bogdan Volkov könnten ein wunderbares junges Liebespaar abgeben. Aber es bleibt steril. Denn es wird musiziert, als gelte es eine Leseprobe abzuliefern. Das passt zur Idee der Regie.

Der Dirigent schafft es damit aber, Verdis Partitur zugrunde zu richten. Wäre der „Falstaff“ so uraufgeführt worden, er wäre als gescheitert in die Operngeschichte eingegangen und nicht als jenes geniale Spätwerk, das er eigentlich ist. In Salzburg ist er so ein Festspiel-Desaster geworden.

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