Glosse

René Sydow entdeckt die Orgel für sich

Stand
Autor/in
René Sydow

Der Kabarettist René Sydow, frisch gekürt mit dem Kleinkunstpreis des Landes Baden-Württemberg, kann Orgeln eigentlich nicht ausstehen. Aber wie so oft: Wenn man sich etwas näher mit einer Sacher beschäftigt, kann sie ungeahnte Reize gewinnen. Wie gut also, dass sich Sydow von seinen Freunden zum Orgelsommer nach Karlsruhe lotsen ließ.

Orgelsommer statt feuchtfröhlichem Weinfest

Der Mensch muss ja ab und zu auch mal seine Vorurteile überprüfen. Meine Freunde Marc, Tom und Kai haben mich jetzt zum 28. Orgelsommer in Karlsruhe eingeladen.

Ich dachte zuerst, dass es darum ginge, uns gemeinsam auf dem Durlacher Weinfest ordentlich einen wegzuorgeln, aber meine Freunde meinten tatsächlich richtige Orgelkonzerte. Mit Kirchenorgeln. Genauer: Einer Remy-Mahler und einer Steinmeyer-Orgel, die übrigens nichts mit unserem Bundes-Grüßaugust zu tun hat, der in diesem Land die Mehrzweckhallen einweihen darf.

Aufsicht hinauf zur Orgel in der Kathedrale von Nancy.
Majestätisch sieht die Orgel aus, wie sie Kirchen und Kathedralen in Deutschland und Westeuropa schmückt. Doch gerade ehemalige Konfirmanden verbinden mit den Orgelklängen quälende Sonntagsgottesdienste.

Ein Instrument für minderbegabte Tastenquäler?

Ich habe dann lange überlegt, wie ich es meinen Freunden sage: Orgeln sind bei mir sehr negativ besetzt. Bei Orgeln muss ich immer an die Hochzeiten von Marc, Tom und Kai denken, bei denen eher minderbegabte Tastenquäler die jeweils ungestimmte Kirchenorgel mit „Oh Happy Day“ oder Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“ in solch dilettantischer Art belästigten, dass dagegen das Blockflötenkonzert der Kindergartengruppe Wurzelwichtel wie das Gipfeltreffen von Virtuosen anmutete.

Desweiteren sehe ich bei dem Wort Orgel immer den seligen Vincent Price als Dr. Phibes in irgendeinem Horrorfilm mit schallendem Gelächter an einer Heimorgel peinigende Akkorde greifen, während seine Opfer in einem Kühlschrank zu Tode frieren müssen... nur um meine Orgelerfahrungen klarzumachen. Und bei dem Begriff „Orgel“ fällt mir unweigerlich auch der Begriff Orgelpfeifen ein. So nannte unser Sportlehrer Marc, Tom, Kai und mich regelmäßig nachdem wir unsere Übungen am Reck vorgezeigt hatten.

Rührende Hingabe für die Kirchenorgel

Die einzige Orgel, deren Spiel ich erträglich finde ist jene, die in Halberstadt 639 Jahre lang das John-Cage-Stück „As slow as possible“ spielt und nur alle 2 Jahre den Ton wechselt.

John Cage - As Slow As Possible (The Complete Organ Works in one Concert)

Als ich mich dann aber über Orgeln informierte und lesen konnte, dass eine Dame aus Hildburghausen in Thüringen für den Erhalt der örtlichen Kirchenorgel Socken strickt und verkauft und mittlerweile sogar 500 Euro zusammen hat, rührte mich doch die Hingabe zu diesem Instrument, so dass ich mich dann doch einmal näher mit ihr beschäftigen wollte.

Männliche Hände spielen an einer Orgel
Bachs Musiktradition verpflichtet: Mit rund 50.000 Pfeifenorgeln hat Deutschland die höchste Dichte an Orgeln weltweit.

Es gibt richtig coole Orgelmusik!

Und nach eingängiger Recherche in einschlägigen Musikportalen stelle ich fest, dass es ziemlich gute und sogar richtig coole Orgelmusik gibt, die es zu entdecken gilt: Was der Minimalist Philipp Glass 1982 für Koyanisquatsi aus diesem unhandlichen Instrument rausgeholt hat, ist wahrhaft berauschend.

Philip Glass - Koyaanisqatsi

Die Orgelstücke vom fast vergessenen Barockkomponisten Dietrich Buxtehude, der übrigens aus Helsingborg oder Bad Oldesloe, aber nicht aus Buxtehude stammte, sind wirklich zum Niederknien schön und ja ja…die Toccata von Bach…großartig! Der Orgelspieler weiß: Kein Tach ohne Bach! Und das zurecht.

Ich jedenfalls traue mich jetzt mal mit meinen Kumpeln zu den Orgeltagen und lausche den erhabenen Klängen. Und wenn ich dann wieder in meinem profanen Alltag angekommen bin, bleibt mir immer noch die Orgel des kleinen Mannes: Die Mundorgel. 

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René Sydow