Zur Zeit arbeitet die Bonner Orgelbaufirma Klais im Großen Saal der Würzburger Musikhochschule an der finalen Intonation eines neuen Instruments. Seit 2016 wurde die neue Orgel in zwei Phasen gebaut, sie ist nicht nur sehr registerreich und hat eine durchdachte Disposition, sondern ist mit ihrer digitalen Schnittstelle bislang welt- oder zumindest deutschlandweit einmalig.
Der Organist kann auch zu Hause bleiben
Dass man den Organisten beim Orgelkonzert erst bei der Schlussverneigung zum Applaus sieht, ist eigentlich ein ziemlich normales Phänomen. Im Großen Saal der Würzburger Musikhochschule könnte Konzertbesuchern künftig aber noch eine ganz andere Erfahrung dräuen: Der Organist bleibt gleich zuhause — spielt aber trotzdem.
Die neue, insgesamt 2,5 Millionen Euro teure Orgel der Hochschule macht es möglich. Aber das ist nur einer der Reize dieses multipotenten Instruments. Christoph Bossert, Professor für dieses Instrument in Würzburg, und Leiter der Abteilung Kirchenmusik, bezeichnet es als „eierlegende Wollmilchsau“.
Sein künstlerisch-ästhetisches Konzept für die Orgel: „Genau das ist die Herausforderung, deshalb habe ich versucht dafür zu sorgen, das wir einen klar definierten Kern haben, der sich insbesondere an der Ästhetik von Johann Sebastian Bach festmacht, aber auch mit den süddeutschen Barocktraditionen zu tun hat, aus denen sich die süddeutsche romantische Tradition weiterentwickelt hat.“
Orgel mit digitaler Schnittstelle
Mitentwickelt und umgesetzt hat dieses Konzept Andreas Saage, Intonateur bei Klais und besonders glücklich über eine technische Neuerung: „Das ist eines der wenigen Instrumente in Europa, das über eine elektronische Proportionaltraktur verfügt. Das heißt, da arbeitet im Inneren ein Magnet, der genau vollzieht, was der Organist an der Taste macht, was ein Organist normalerweise bei einer mechanischen Verbindung mit einer Taste tun kann.“
Der gerade für Laien wohl revolutionärste Aspekt dieser Orgel ist aber sicher ihre digitale Schnittstelle, die, platt gesagt, künftig ermöglichen würde, dass der Organist zu Orgelkonzert und Meisterklasse nicht mehr anreisen muss, sondern von zu Hause auf einem vernetzten Keyboard oder einem anderen Instrument mit entsprechender Schnittstelle orgelt. Zum Beispiel, wenn die Bahn streikt.
Technische Möglichkeiten über das Analoge hinaus
Für diesen digitalen Aspekt ist in Würzburg Hannes Ritschel zuständig, Professor für Orgelkunst, Kreativitätskonzepte und Künstliche Intelligenz an der Hochschule, außerdem promovierter Informatiker.
„Es geht darum, technische Möglichkeiten zu schaffen, wie man dieses Instrument durch Technik neu erleben kann“, so Ritschel, „welche Möglichkeiten jetzt machbar sind, die man analog nicht hätte, weil man hat nur zehn Finger hat und nur zwei Füße.“
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(SWR 2018)
Nun werden Orgeln traditionell für Jahrhunderte gebaut. Ein digitales Telefon kann man dagegen nach fünf Jahren nicht mehr updaten. Wird man diese digitalisierte Orgel also in 30 Jahren überhaupt noch reparieren — und sichern — können?
Ja, sagt Hannes Ritschel, denn die Orgel funktioniere über Microcontroller: „Wir haben da nicht die Komplexität, die in einem Betriebssystem drinsteckt. (...) Da kann es gut sein, dass es in 30 Jahren nicht mehr genau die Hardware gibt, die im Moment verbaut ist, aber dafür wird es irgendeine andere Lösung geben.“
Ab 2025 Vernetzung mit Hamburg und Passau möglich
Bislang allerdings gibt es weltweit nur eine Handvoll anderer Orgeln, mit denen sich die Würzburger zum gemeinsamen Spiel vernetzen könnten, keine davon in Deutschland, gibt Christoph Bossert zu.
Aber das wird sich hoffentlich bald ändern: „Wir haben im Blick, dass wir in etwa bis 2025 in Hamburg, Passau und Würzburg drei Orgeln zusammenschalten können, die dann diese Technik haben, und mit denen wir dann etwas tun können“, so Borrert weiter. „Also, da ist sehr viel denkbar und mit Sicherheit wird es sehr lebendig sein und sehr spannend!“
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