Podium-Festival Esslingen

Ein Requiem für Alice Weidel

Stand
Autor/in
Silke Arning

Was tun gegen einen Rechtspopulismus, der auch die Demokratie zunehmend in Frage stellt? Das Podium-Festival Esslingen stellt sich am ersten August-Wochenende im Kloster Bebenhausen der Herausforderung.

Das Projekt „Atonal für Deutschland“

Neben Konzerten und musikalischen Erkundungen steht das Thema „Widerstand, Musik und Demokratie“ auf dem Programm. Dazu zählt vor allem auch das Projekt „Atonal für Deutschland“, ein Kunstprojekt gegen Rechtsextremismus, für das ein erstes Musikvideo entstanden ist: „Requiem für Alice“ des Komponisten Elia Rediger.

Die Wahlschweizerin Alice Weidel beschäftigt Elia Redinger schon jahrelang. Denn der Komponist ist keiner, der sich mit seiner Musik nur im Elfenbeinturm bewegt. Für seine Kandidatur zum Basler Oberbürgermeister trat er 2012 mit einem ersten „Urdemokratisch komponierten Wahlsong“ an. Nun hat er ein „Requiem“ für die AfD-Chefin geschrieben.

„Requiem für Alice“ auf YouTube

Weidels Feldzug gegen die Bundesregierung

„Es brennt in Deutschland“ – Alice Weidel zieht im Deutschen Bundestag gegen die Regierung zu Felde. Es ist der 31. Januar 2024, die Haushaltsdebatte gerät zu einem Duell schriller Töne.

In ihrer Rede zündet die AfD-Politikerin einen ganzen Reigen abenteuerlicher Wortkaskaden, spricht von „Planwirtschaftssubventionierungsmonster“, von „NGO-Günstlingen“ und „Insolvenz-Tsunami“. Und – so ihre Drohung: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner werden unseren Wohlstand nicht sichern“.  

Musik in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung

Joosten Ellée, künstlerischer Leiter des Podium Forum Esslingen, meint, dass wohl allen bewusst sei, wie sehr wir in Zeiten leben, die von extremer Spaltung und einer unwirtlicheren politischen Landschaft geprägt ist.

So habe sich nicht nur der Diskurs in der Klassik, sondern in der Kunstszene allgemein extrem verhärtet, wenn es darum ginge, ob Kunst, ob Musik eine Antwort auf politische Gegebenheiten geben könne.

Musik kann mehr als ein unverfängliches Konzertevent sein. Davon überzeugt, hat Joosten Ellée mit dem Kunstprojekt „Atonal für Deutschland“ ein Zeichen gesetzt und Künstlerinnen und Künstler eingeladen, sich mit einem zunehmenden Rechtsextremismus experimentell auseinanderzusetzen.

Ein Requiem zum Nachdenken

Bei Elia Rediger mündete diese Beschäftigung in einem Requiem:

Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn man ungefragt ein Requiem schreibt – wenn man Leuten solche Gedanken widmet, ohne ihnen den Tod zu wünschen, sondern um ein Nachdenken anzuregen.

Das Requiem für Alice gestaltet sich zu einem Läuterungsszenario. „In tiefer Reu“ lautet dann auch der Untertitel zu dem Musikvideo, in dem eine digital deutlich gealterte Alice Weidel im Jahr 2044 zu sehen ist, wie sie vor dem Fernseher sitzt und sich noch einmal ihre flammende Rede vom Januar 2024 vor Augen hält.

Musik als „parlamentarisches Gegenüber“

Redinger hat versucht ein „parlamentarisches Gegenüber“ von dieser Rede zu komponieren. „Manchmal ergeben sich Oppositionen, aber dann gewinnt leider auch wieder diese Propaganda.“

Mit Streichquartett, Bassposaune und Gesang treibt Elia Rediger das Wechselspiel zwischen Rede und Rhythmus von einer Welle zu nächsten, wobei sein Requiem aus zwei deutlich unterscheidbaren Teilen besteht: einem Miserere, das die Bundestagsrede umfasst und einer Curie, einer Reue-Arie, die der Komponist selbst eingesungen hat.

Ich finde schon, dass da ein Denkraum entsteht, den wir Künstlerinnen und Künstler eigentlich öfters aufmachen können. Diese Zukunftsreisen sind ein wichtiges Irritativ.

Raus aus der Beobachterrolle

Eine zutiefst erschütterte Alice Weidel singt von Reue und Buße – eine erfrischende, aber wohl wenig realistische Fantasie, meint Joosten Ellée vom Podium Esslingen. „Ich höre da immer noch eine ironische Distanz“.

Das gut 12-minütige Werk von Komponist Elia Rediger und Videokünstler Michael von zur Mühlen ist ein geistreicher, auch witziger Versuch, rechtspopulistischen Geplärre eine künstlerische Position entgegenzusetzen.

Das ist nur ein erster Versuch in der Reihe „Atonal für Deutschland“. Musik hat immer ein politisches Potential, betont Joosten Ellée. Das müsse man stärker nutzen. Sein Plädoyer: raus aus der Beobachterrolle.

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Silke Arning